Schule, Hort, Ganztag: an einem Strang ziehen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Studien zeichnen ein bedrückendes Bild: Die Pandemie hat Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Das Staatsministerium für Kultus (Sachsen) reagiert mit einer Handreichung zur individuellen Förderung von Grundschulkindern.

Nach und nach zeichnen immer mehr Studien ein bedrückendes Bild: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben Kinder in ihrer körperlichen, psychischen und kognitiven Entwicklung beeinträchtigt, je nach sozialem Hintergrund mehr oder weniger. Das Staatsministerium für Kultus in Sachsen reagiert darauf mit einer Handreichung zur individuellen Förderung von Kindern in der Grundschule.

Die „Reflexions-und Planungshilfe zur Bewältigung pandemiebedingter Herausforderungen“, so der Untertitel der Publikation, vermeidet jeden Pathos. Sie beschreibt auch nicht die entstandenen Lerndefizite oder Förderbedarfe, sondern verweist knapp und sachlich darauf, dass es bereits ausreichend gesetzliche Grundlagen zur Umsetzung von individuellen Förderangeboten gibt, die in der aktuellen Situation noch einmal besonders zum Tragen kommen.

Folgen der Pandemie bei Kindern

Insgesamt sechs Gesetze mit ihren entsprechenden Paragrafen werden gleich zu Beginn der Publikation herangezogen, um eindeutig zu signalisieren, dass die individuelle Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler – man mag hinzufügen: nun erst recht – professionell in den Blick genommen und gefördert werden muss. Zu den knappen Prämissen zählt auch die Forderung, dass „bei der Gestaltung des Lehrens und Lernens an Grundschulen, der Gestaltung des Schul- und Horttages sowie der Zusammenarbeit mit Horten und weiteren Akteuren“ besonders zu berücksichtigen ist, dass „die Entwicklungsunterschiede von Schülerinnen und Schülern (…) infolge der Pandemie grö­ßer geworden“ sind. (S.3)

Schulhof Klettergerüst
© Britta Hüning

Das deckt sich mit der aktuellen Forschungslage, vor allem mit den repräsentativen Längsschnittdaten der COPSY-Studien des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, aber auch anderer Studien, etwa aus dem Deutschen Jugendinstitut (DJI, „Kind sein in Zeiten von Corona“). Aktuell (Juli 2022) hat das wissenschaftliche Institut der AOK die Ergebnisse einer Umfrage publiziert, deren Resümee lautet: „Wie ein roter Faden zieht sich durch fast alle Ergebnisse unserer Untersuchung, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien deutlich stärker durch die Pandemie belastet waren“ (Klaus Zok, Studienleiter im Forschungsbereich Gesundheitspolitik und Systemanalysen).

Schule, Hort, Ganztag: an einem Strang ziehen

Das Land Sachsen setzt zur Reduzierung der – sich unter Pandemiebedingungen noch einmal verschärften – Polarisierung des Aufwachsens von Kindern auf die Zusammenarbeit von Grundschulen und Horten. Diese Kooperation ist „gesetzlich geboten und sollte bei der Bearbeitung pandemiebedingter Herausforderungen entsprechend genutzt, angepasst bzw. modifiziert werden. Die Zusammenarbeit ist gemeinsam und in intensiver Absprache zu gestalten.“ Mit Blick auf Ganztagsangebote sprechen die Autorinnen und Autoren von einem „qualitativen Zusatzgewinn“.

Soweit ist die Botschaft also präzise formuliert, der Anspruch des Landes Sachsen an die Pädagoginnen und Pädagogen im Primarbereich verstanden. Alle sollen zugunsten der Kinder an einem Strang ziehen. Nun stellt sich die Frage der Umsetzung. Hier geht die Publikation einen effektiven Weg. Sie verweist auf das, was es schon gibt. Das klingt schlichter, als es ist. Die Autorengruppe hat vielmehr recherchiert und zusammengestellt, zu welchen Themen im Rahmen der individuellen Förderung von Grundschulkindern bereits Material erarbeitet wurde. Allein die „Fachstelle Ganztagsangebote“ verfügt über einen Pool an Praxisbeispielen, auf den sinnvollerweise verwiesen wird.

Gewusst wo! Denn vieles gibt es schon

Um diesen Service sichtbar und schnell erkennbar zu machen, wurden im Layout der 16 Seiten umfassenden online aufbereiteten Broschüre farblich grundierte „Kästen“ angelegt, in denen auf Links verwiesen wird. Hinter diesen sind unter anderem Broschüren hinterlegt, die in ein Thema einführen, aber auch weitere Formate aufbereitet. Lesende, die zum Beispiel daran interessiert sind, etwas über pädagogische Diagnostik und präventive Förderung zu erfahren, können sich ein knapp zehnminütigen Video ansehen. Mit schnellen Strichen entstehen dort Szenen und gut verständliche Erläuterungen – etwa zu den Methoden der pädagogischen Diagnostik für unterschiedliche kindliche Entwicklungsbereiche.

Schreiben üben
© Britta Hüning

Trotz der eher minimalistisch anmutenden Handreichung verzichten die Autorinnen und Autoren nicht auf praktische Tipps. Relativ umfassend geraten zum Beispiel die Anregungen, wie und auf welcher der drei Präventionsebenen Schülerinnen und Schüler gefördert werden können. Diese Präventionsebenen werden als gut geeignete Strukturierung von Förderangeboten bewertet und den Lesenden als hilfreiches Tool an die Hand gegeben. „Bei der Etablierung von Maß­nahmen zur individuellen Förderung aufgrund pandemiebedingter Entwicklungsunterschiede können diese Ebenen mit Blick auf die jeweiligen Zielgruppen berücksichtigt werden.“ (S.4) Konkret als Tipp benannt werden etwa für Ebene 1 (universelle Ebene) Bewegte Pausen und Konfliktlotsen, für Ebene 3 (indizierte Förderung) Training von Lern- und Gedächtnisstrategien.

Tipps und Anregungen zu Kooperationen

Noch konkreter wird es, wenn im Kapitel „Ressourcen“ aufgelistet wird, welche Personen Förderangebote durchführen können. Das Tableau ist vielfältig und nennt Lehrkräfte und Studierende ebenso wie externe Fachkräfte, Mitarbeitende in den Horten oder Lernende selbst (Lernpatenschaften). Was im Detail ja nicht unbedingt neu ist, erhält durch die fast eine ganze DIN A4-Seite umfassende Tabelle (S. 7) dennoch eine gewisse Wucht. Der Reflex mancher Lehrkraft („Was soll ich denn noch alles machen?“) kann angesichts dieser vielen Möglichkeiten, Aufgaben zu delegieren, vielleicht relativiert werden.

Auch die umfassende, konkrete und an gemeinsamen Konzepten orientierte Zusammenarbeit mit Horten und Ganztagskräften gilt landauf landab und nach wie vor nicht immer als der Lehrkraft liebstes Kind. Aber auch hier bleibt der Text fordernd und klar: „Eine partnerschaftliche Kooperation (…) nimmt die Gestaltung der Bildungsbegleitung der Kinder am Vor- und Nachmittag gemeinsam in den Blick. Regelmäßige Treffen, Dienstberatungen und gemein­same Fortbildungen sind zentrale Bestandteile einer auf Dauer angelegten und abgestimmten Zusammenarbeit.“ (S.8) Der dazugehörige Link verweist auf die Publikation „Grundschule und Hort im Dialog. Arbeitsmaterial für eine gelingende Kooperation“. Und in dieser Broschüre gibt es wiederum eine eigene, lebendig anmutende Handreichung zu der Aufgabe „Gemeinsam den Bildungstag entwickeln“.

Klare Haltung, präzise Recherche

Werkunterricht
© Britta Hüning

Damit zeichnet sich eine klare inhaltliche Struktur der Publikation ab: Anspruch formulieren, gesetzliche Grundlage heranziehen, kurze Erläuterung zur Sache sowie Tipps, wo sich die Lesenden fundiert informieren können. Wie umfangreich und präzise das Autorenteam die Tipps und Hintergrund-Materialien recherchiert hat, zeigt sich insbesondere im Kapitel 4 „Inhaltliche Förderangebote“. Die beiden Seiten (S.12/13) lesen sich wie eine kommentierte Literaturliste zu den Themen

  • Sicherung der Grundlagen im Anfangsunterricht,
  • Gestaltung eines förderlichen Miteinanders in der Klasse,
  • Sicherung der Grundlagen in Deutsch und Mathematik mit dem Blick auf die Bildungsstandards,
  • Anregung zur individuellen Förderung in den Fächern.  

Selbst Lern- und Testaufgaben sind in den Links hinterlegt, ebenso spezifische Hinweise zu Inklusion oder der Vorbeugung von Rechenschwierigkeiten.

Pandemie: Förderkonzepte anpassen

Die Autorinnen und Autoren verfolgen – das wird im Fließtext durch Unterstreichungen deutlich – ein fachliches Ziel. Sie weisen die Leserinnen und Leser daraufhin, dass zu jeder professionellen Förderung eine dezidierte Diagnostik und ein mit Hort und Ganztagskräften abgestimmtes Förderkonzept gehören – dies verbunden mit dem Auftrag, „aufgrund der Feststellung pandemiebedingter Bedarfe und der Bearbeitung der krisenhaften Erfahrungen (…) die Förderkonzeption entsprechend zu prüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten.“

Kurzes Fazit: Wer wenig Zeit oder Geduld hat, zu recherchieren, was es zum Thema Individuelle Förderung von Grundschulkindern in Sachsen bereits gibt oder wer die eigene Arbeit optimieren möchte, wird gut informiert und in das Thema eingeführt. In diesen Zeiten der Informationsflut und Publikationsdichte eine hilfreiche Idee.   

Kategorien: Forschung - Berichte

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