Hamburg macht Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Die Zeitschrift „Hamburg macht Schule“ hat das Thema Ganztag in den Mittelpunkt einer ihrer Ausgaben gestellt und rückt vor allem engagierte Personen und ihre Konzepte in den Fokus. Eine Leseempfehlung!
Kein Zweifel: Die Hamburger Schulen sind der bundesweiten Schullandschaft einen Schritt voraus, zumindest was den offiziellen Ausbau und den Umfang des Ganztags betrifft. In Hamburg gilt bereits seit etwa 10 Jahren der „Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung, der 2026 bundesweit eingeführt wird. (…) Von der Vorschulklasse bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres haben die Schülerinnen und Schüler des Stadtstaates Anspruch auf eine umfassende Bildung und Betreuung zwischen 8 und 16 Uhr. Zudem haben sie das Recht auf Betreuung in den Schulferien und in den Randzeiten zwischen 6 und 8 Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr.“
Diese Informationen haben die Autoren Dr. Andrea Albers und Dr. Arne Offermanns an den Anfang ihres gemeinsamen Textes gestellt, mit dem sie eine übersichtliche und kompakte Einführung in das Schwerpunktthema „Ganztag“ geben. Publikationsort ist die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Hamburg macht Schule“ (Ausgabe 04/2021, S. 5). Der Artikel zum Einstieg schlägt den großen Bogen und umreißt kurz und knapp die Stellschrauben, an denen sich guter Ganztag entscheidet. Dazu gehören die „Klassiker“: Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe, Schulverpflegung und Hausaufgaben, multifunktionale Räume und Koordination bzw. Steuerung.
„Mein Lieblingsplatz ist das Sofa, weil es so gemütlich ist.“
Doch wenn eine Zeitschrift dem Ganztag eine ganze Ausgabe widmet, dann bleibt noch viel Raum für anderes, für Tipps zur Metakommunikation und zum Konfliktmanagement etwa (S. 22) oder für ein besonderes Angebot zum Thema „Digitale Zivilcourage“ (lesenswert der Bericht zum Bootscamp, S.45). Zur Kindersicht auf Ganztag (S. 30) zwei O-Töne: „Der Basketballplatz ist so schön, weil dort so viele Kinder sind. Ich fühle mich da wohl, wo viele Kinder sind.“ – „Mein Lieblingsplatz ist das Sofa, weil es so gemütlich ist.“
Wenn man so möchte, dann fokussieren diese beiden Zitate anschaulich auf eines der typischen und in der Praxis immer wieder diskutierten und abgewogenen Spannungsfelder: den unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern, je nach Alter und Persönlichkeit, gerecht zu werden. Quer durch alle Beiträge zieht sich deshalb auch in der Zeitschrift die Frage danach, wie Hamburger Schulen dem Bedürfnis nach Ruhe und Rückzugsmöglichkeit ebenso entgegenkommen können wie dem nach vielfältiger Anregung und Zusammensein.
Ganztag als guter und vertrauter Ort
An der Beantwortung dieser Frage scheint sich auch zu entscheiden, ob Schülerinnen und Schüler nach der 7. Jahrgangsstufe noch gerne an der Schule verweilen. Das ist in Hamburg nicht anders als in anderen Städten: „Etwa ab der 7. Klasse mögen die meisten Jugendlichen über das Pflichtprogramm hinaus kaum mehr in der Schule bleiben“, beobachtet etwa Detlef Peglow (S. 20). Der Ganztagskoordinator der Erich Kästner-Schule organisiert im Ganztagsreferat der Hamburger Schulbehörde auch die Ganztagskoordinations-Netzwerke in Hamburg.
Peglow überlegt: „Vielleicht wäre es anders, wenn Schulen mehr Orte bieten würden, die jugendliche Lebenswelt spiegeln und ihnen Selbstbestimmung erlauben; die die Qualitäten von Jugendzentren hätten oder gar die eines Cafés oder Bistros, wo Schulaufgaben heute lieber erledigt werden.“ Seine Aufgabe und die seiner Kolleginnen und Kollegen sieht er darin, Kindern einen „Heimathafen“ zu geben. Gerade Schulen in Großstädten, die für alle Kinder an den Wochentagen eine Haupt-Lebenswelt seien, sollten die „emotionalen Funktionen eines Zuhauses“ anbieten können. Deshalb sei es eine wichtige Aufgabe von Ganztagskoordinatoren, „gute Orte und Vertrautheit zu schaffen“.
Die Person hinter dem Thema – eine emotionale Komponente
Eine ganze Ausgabe zum Ganztag – der Redaktion der Zeitschrift ist es durch diese Schwerpunktsetzung gelungen, nicht nur über viele inhaltliche Facetten fachlich fundiert zu informieren, sondern sie gleichsam durch engagierte Personen zum Leuchten zu bringen. Die meisten Autorinnen und Autoren sind durch Fotos sichtbar, und auch die Bebilderung der Seiten zeigt ansprechende, großformatige Porträts. In einem Podiumsgespräch unter der gelungenen Überschrift „Raum als Diener von Lernen und Lehren“ kommen gleich mehrere Expertinnen und Experten zu Wort, die sich engagiert über Wert und Notwendigkeit flexibler Schulräume und Architekturkonzepte austauschen (ab S. 41).
Es ist überhaupt ein in den vergangenen Jahren immer stärker zu beobachtendes journalistisches Phänomen, dass inhaltliche Themen gerne mit Personen verknüpft werden. Dadurch erhalten fachlich-sachliche Aspekte zwangsläufig eine emotionale Komponente, die gerade im Feld Schule mehr als berechtigt erscheint. Fast beiläufig gewinnen die Leserinnen und Leser außerdem Einblicke in die Umsetzung der fachlichen Arbeit, ohne dass ein Text eigens als „Best practice-Beispiel“ anmoderiert werden muss.
Die Chefin der „Schaltzentrale“
Janna Behler zum Beispiel (S. 21) leitet das Schulbüro in der Grundschule Müssenredder. Sie ist die Chefin der „Schaltzentrale“ – so die Überschrift – und hat großen Anteil daran, dass die Organisation des Ganztags möglichst reibungslos läuft, alle Beteiligten für ihre jeweiligen Funktionen Planungssicherheit haben, mit dem Caterer abgerechnet wird und Familien mit ihren unterschiedlichen Fragen und Bedarfen eine Anlaufstelle finden.
Schließlich brauchen Eltern, bevor ihre Kinder manche Ganztagsangebote überhaupt sorgenfrei annehmen können, Informationen. Ohne das Engagement von Janna Behler würde vermutlich das eine oder andere Elternteil gar nicht wissen, worauf es in Hamburg Anspruch hat, ganz zu schweigen davon, wie es den Anspruch geltend machen kann. Behler schreibt selbst: „Insbesondere Eltern mit Sprachbarrieren haben häufig Probleme bei der Antragstellung und suchen Beratung und Unterstützung zu Gebühren-Rabattstufen und anderen Fragen.“
Manchmal erfahren Eltern erst hier im Schulbüro, dass ihnen bzw. ihren Kindern ein kostenloses Mittagessen, die kostenlose Teilnahme an Ausflügen oder sechs Wochen Ferienbetreuung zustehen. Im Schulbüro wird somit eine Basisarbeit geleistet, die angesichts großer bildungspolitischer Debatten häufig unsichtbar bleibt. Ein Dank an die Redaktion, auch dieser Arbeit ein Gesicht gegeben zu haben.
Ganztagsbaustelle Gymnasium und …
Seit fast einem Jahrzehnt treibt Hamburg den Ganztag voran, er ist flächendeckend ausgebaut. Da stellt sich die Frage, ob es noch „Baustellen“ gibt. Obwohl der Ausbau des Ganztags an Gymnasien in Hamburg besonders früh begonnen hat, aber möglicherweise jetzt die Ansprüche gestiegen sind, heißt es im Inhaltsverzeichnis: „Ganztag an Gymnasien – noch ein Entwicklungsfeld?“ (S. 28)
Zu dieser Frage wird Christiane von Schachtmeyer interviewt. Die einstige Schulleiterin leitet heute das Referat Personalentwicklung beim Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI). Sie plädiert dafür, dass Gymnasien den Ganztag unter dem Blickwinkel der Unterrichtsentwicklung betrachten und sich auch in ihrer zeitlichen Struktur flexibler zeigen sollen: „Gerade an Gymnasien müsste es mehr darum gehen, andere Rhythmen zu schaffen. Es wäre jetzt an der Zeit, die Gymnasien zeitlich wieder mehr zu öffnen.“
… ein Paradebeispiel
Ein Paradebeispiel wird einige Seiten vorher beschrieben. Pia Brüntrup ist die Schulleiterin des Gymnasiums Hoheluft, das aufgrund seiner Konzeption – Gymnasium mit gebundenem Ganztag – als ungewöhnlich für die Hamburger Schullandschaft gilt. Das Team der Autorinnen um die Schulleiterin greift in dem Bericht unter aanderem den Aspekt auf, den sich auch Christiane von Schachtmeyer von Gymnasien wünscht: den Unterricht mit weiteren schulischen Lernsettings zu verbinden und Unterricht dadurch weiterzuentwickeln.
Am Gymnasium Hoheluft geht das so weit, dass ab der 9. Jahrgangsstufe eigens geschulte Schülerinnen und Schüler als Lernlotsen eigenverantwortlichen Kleingruppenunterricht für Jüngere (die „Matros:innen“) übernehmen (S. 15) und damit die Lernzeiten im Ganztag maßgeblich mitbestimmen und gestalten. Damit erfüllt die Schule eines von 14 Merkmalen, die aus Sicht von Kindern und Jugendlichen einen guten Ganztag beschreiben (S. 30): an der Gestaltung beteiligt zu sein. Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass diese Jugendlichen an dem guten und vertrauten Ort Ganztagsschule gerne länger verweilen.
Wer sich ausführlicher über diese und andere Konzepte und ihre Umsetzung informieren möchte, dem sei die Ausgabe der lesenswerten Zeitschrift als Lektüre sehr empfohlen. Und wer danach noch mehr wissen will, der findet unter jedem Artikel einen Kontakt mit E-Mail-Adresse – ein hilfreicher Service der Redaktion.
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