Spielen, spielen, spielen oder: „Ganztag lebt vom sozialen Lernen“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Impulse für soziales Lernen hat das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München erarbeitet. Referatsleiterin Stefanie Pistor ist überzeugt, dass die Spielesammlung dazu beiträgt, noch mehr non-formales Lernen im Ganztag zu integrieren.

Aus Bayern kommt eine kompakte, über 90 Seiten starke Spieleanleitung für mehr soziales Lernen im Ganztag. Mehr soziales Lernen – da könnte man auch ein profundes Fachbuch mit viel Wissen über den Zusammenhang von sozialem und kognitivem Lernen erwarten und die Bedeutung des Spiels. Bei dieser Spielanleitung im DIN A5-Format geht es aber tatsächlich „nur“ um viele Spiele. Getreu der Weisheit von Friedrich Schiller, die das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung der Sammlung vorangestellt hat: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.

Die Beweggründe für die Herausgabe der Spiele-Sammlung erklärt die Referatsleiterin für den Ganztag, Stefanie Pistor, so: „Nicht zuletzt in der Pandemie wurde es wie unter einem Brennglas deutlich: Non-formales Lernen wird formalem Lernen oft untergeordnet. Wir haben gesehen, dass der Distanzunterricht, was das reine Lernen anbetrifft, gut funktioniert hat, aber soziales Lernen ist deutlich zu kurz gekommen. Dabei ist gerade das non-formale Lernen die Voraussetzung für gelingendes formales Lernen, insbesondere der Ganztag lebt vom sozialen Lernen.“

Sieben Themen und viele Spiele

Im Distanzunterricht, so die Beobachtung im Staatsinstitut, konnten die Schülerinnen und Schüler zu wenig Gemeinschaft erfahren. Es fehlte ihnen die Möglichkeit, als ganze Person, als Mensch, gesehen zu werden; und es fehlten ihnen ebenso die Gelegenheiten, Anerkennung zu erfahren und auch über Schwierigkeiten sprechen zu können. Deshalb verbindet Stefanie Pistor die Spielesammlung mit dem Wunsch, noch mehr Gelegenheiten für non-formales Lernen in den Ganztag zu integrieren.

Jenga
© Britta Hüning

Schaut man sich die sieben Themen an, die als Leitmotive die Spiele-Sammlung strukturieren, wird gut verständlich, worum es den Autorinnen und Autoren geht. Die Themen tragen Titel wie z. B. Respekt-Meisterinnen / Respekt-Meister; Friedens-Stifterinnen / Friedensstifter; Wohlfühl-Agentinnen / Wohlfühl-Agenten; Not-Helfer / Not-Helferinnen. Zusammengefasst stehen Gemeinsamkeit, Zuverlässigkeit, Anerkennung des anderen und Offenheit füreinander im Zentrum der spielerischen Impulse. Dazu nun drei Beispiele, die leicht umzusetzen sind und ohne oder zumindest mit wenig Material auskommen:

Ein Spiegel, eine Dusche und eine Knalltüte

„Mein Spiegel“ aus der Rubrik Respekt-Meisterinnen / Respekt-Meister: Hier bilden Schülerinnen und Schüler Paare. Zunächst macht die eine Person einfache Bewegungen, die die andere versucht, möglichst genau nachzumachen. Danach werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, Stimmungen darzustellen und nachzuahmen. Anschließend folgt ein Paar-Gespräch darüber, wie sich beide Personen bei dieser Stimmung gefühlt haben. 

„Warme Ganztagsdusche“ aus der Rubrik Friedens-Stifterinnen / Friedens-Stifter: Eine Schülerin oder ein Schüler wird für die warme Dusche ausgewählt. Dann sagen die Mitschülerinnen und Mitschüler ihr bzw. ihm etwas Nettes, Freundliches, Wertschätzendes. Folgende Satzanfänge helfen beim Formulieren: Du kannst besonders gut …, Ich mag an dir, dass …, Schön, dass du … Alternativ können die wertschätzenden Äußerungen aufgeschrieben und der ausgewählten Person als schöne Erinnerung mitgegeben werden.

„Knalltüte“ aus der Rubrik Not-Helferinnen / Not-Helfer: Alle erhalten den Auftrag, etwas, worüber sie sich geärgert haben, auf eine Brotzeittüte zu schreiben. Haben alle ihren Ärger aufgeschrieben, wird die Papiertüte aufgeblasen und laut zum Platzen gebracht.

Wer sich nun angeregt fühlt, zukünftig (mehr) Spiele in den Ganztagsschul-Alltag zu integrieren, findet auf den ersten Seiten eine knappe Anleitung, wie sich die Spielleitung Aufmerksamkeit verschafft, wie sie die Regeln präzise erklärt und welche Rituale hilfreich sind, um Orientierung und Sicherheit zu vermitteln. Ganz wichtig: Die Spielleitung soll Freude an den Spielen haben und zeigen.

Zum Ausschneiden: die Spiele als Kartenset

Beim Blättern durch die Seiten der Broschüre fällt auf, dass jedes Spiel zum Ausschneiden vorbereitet ist und eine Vorder- und Rückseite besitzt. Auf der einen Seite steht das Oberthema, auf der anderen die Spielanleitung. So können pädagogische Fachkräfte oder Lehrkräfte aus der Broschüre ein Kartenset herstellen, welches sich mit wenig Aufwand in den Unterricht, in Projekte oder alle möglichen Anlässe einbinden lässt. Ein unkomplizierter und schneller Einsatz ist der Referatsleiterin wichtig: „Lehrkräfte und pädagogisches Personal haben keine Zeit, erst lange Erklärungen zu lesen. Sie müssen sofort loslegen können.“

Das Kartenset richtet sich an Klassen bis einschließlich Jahrgang 9. Die sieben verschiedenen Themen auf den Karten sprechen genau die Faktoren an, die für gelingende Beziehungen wichtig sind und unterstützen den Auftrag des sozialen Lernens, so wie es der bayerische Lehrplan vorsieht. Dort heißt es: „Im Sinne der obersten Bildungsziele der Bayerischen Verfassung achten die Schülerinnen und Schüler die Würde anderer Menschen in einer pluralen Gesellschaft. Sie üben Selbstbeherrschung, übernehmen Verantwortung und zeigen Hilfsbereitschaft. Sie gestalten Beziehungen auf der Grundlage von Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Toleranz und Selbstbestimmtheit; sie haben Respekt vor anderen Standpunkten und sind fähig, Kompromisse zu schließen, die der Gemeinschaft nützen.“

Magische Mappe und eine Rallye

Zu den Stichworten Selbstbeherrschung, Verantwortung und Hilfsbereitschaft ein Beispiel aus der Rubrik „Wohlfühl-Agentinnen / Wohlfühl-Agenten“: Dort legen die pädagogischen Fachkräfte oder Lehrkräfte „unsere magische Mappe“ an. Sie liegt immer griffbereit im Raum. Dort hinein darf alles hineingeschrieben werden, was jemanden gerade bedrückt oder ängstigt. So können alle Kinder und Jugendlichen ihren Kummer loswerden, ohne dass eine AG oder der Unterricht unterbrochen wird. „Magisch“ heißt die Mappe deshalb, weil sich bereits durch das Hineinschreiben (und die Reaktionen der Lesenden) ein Kummer erledigen kann. Wenn nicht, wird nach einer gewissen Zeit darüber gesprochen.

Mikado
© Britta Hüning

Alle Spiele wurden auf ihre Einsatztauglichkeit und ihre Wirksamkeit überprüft. Das haben der Spieletherapeut Dr. Alois Hechenberger und Elke Pusl (systematische Therapeutin und Schauspielerin) übernommen. Sie haben sich auch angesehen, ob die mit den Spielen verbundene Rallye gut funktioniert, denn zu dem Kartenset bzw. der Broschüre gibt es ein Poster, das vorgibt, in welcher Reihenfolge die einzelnen Oberthemen gespielt werden können, wenn man aus den Spielen eine „Gemeinschafts-Rallye“ organisieren möchte. Dazu wählt die Spielleitung aus dem Oberthema, welches gerade an der Reihe ist, jeweils eines der zur Auswahl stehenden Spiele aus.

Die Rallye kann als Projekt, aber auch in einzelnen Unterrichts-/AG-Einheiten eingesetzt werden. Sie dauert insgesamt ca. drei Stunden und wird für eine Gruppengröße von max. 20 Personen empfohlen. Zum Abschluss der Spiele-Rallye sollte den Schülerinnen und Schülern eine „Belohnung“ winken – etwa gemeinsam Eis essen, Lieblingsfilm schauen etc.

Fazit: Empfehlenswert 

Die Broschüre „Impulse für sozialen Lernen im Ganztag“ mit dem daraus produzierbarem Kartenset mitsamt Poster ist eine – aufgrund der Variabilität – ungewöhnliche und gelungene Idee, spielerische Aktionen in den Alltag von Gruppen zu bringen. Die Impulse können sowohl ganz allgemein und intuitiv genutzt werden, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken oder eine Lernphase aufzulockern, als auch als kompakte Rallye durchgeführt werden. Die knappen pädagogischen Begründungen und Anleitungen sind gut verständlich. Das Eingebettet-Sein in das komplexe pädagogische Anliegen, im Ganztag mehr Zeit für alle Formen des Lernen zu haben, gibt dem Material zudem einen übergeordneten sinnstiftenden Rahmen.

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