Bildungsbericht: Grundlage für eine Bildungsnation : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Bildung in Deutschland“ 2022 bietet zuverlässig alle wichtigen Daten zum Bildungssystem. Das Schwerpunktthema „Bildungspersonal“ dürfte viele interessieren: Ein „Must-have“ für alle, die in der Bildung Verantwortung tragen.

Alle zwei Jahre informiert der nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“ mit Hilfe amtlicher Statistiken und sozialwissenschaftlicher Studien über die Entwicklungen in sämtlichen Bildungsbereichen. Jetzt ist es wieder soweit. Der in jeder Hinsicht schwergewichtige 9. Bericht Bildung in Deutschland 2022 liegt online und gedruckt vor. Und gleich ein Fazit vorweg: Er gehört unbedingt in die Hände aller Menschen, die in Deutschland mit Bildung befasst sind. Der Bildungsbericht führt eine Fülle an wissenschaftlichen Befunden zusammen und generiert daraus Trends und Herausforderungen, die für ein Land, das sich als Bildungsnation versteht, als Lebenselixier gelten sollte.

Beteiligt sind an der Erarbeitung des Bildungsberichts immer mehrere, durchweg renommierte wissenschaftliche Institutionen, federführend das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Eine besondere Rolle spielen auch die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (alle beteiligten Institute sind am Ende dieses Textes genannt).

Umfangreich, verständlich, detailreich

Den Autorinnen und Autoren, auch denen der Grafiken, gelingt es nicht nur, einen beeindruckend detailreichen Kenntnisstand in einer fast durchweg verständlichen Sprache vorzulegen. Sie bieten die knapp 400 Druckseiten auch bemerkenswert gut strukturiert, farbig konturiert, auch durch Marginalspalten und Hervorhebung im Text, mit zahlreichen lebendigen Grafiken als inspirierendes Gesamtwerk zum Lesen und Studieren an. An den Anfang des Berichts sind „Wichtige Ergebnisse im Überblick“ (S. 5ff.) gestellt, sodass Leserinnen und Leser zielgerichtet entscheiden können, zu welchen Befunden sie sich das Erhebungsmaterial in den einzelnen Kapiteln (und Bildungsthemen) genauer ansehen möchten.

Unterricht
© Britta Hüning

Wie in den Vorgängerberichten auch, beruhen die Analysen in sämtlichen Bildungsbereichen – von der „Frühen Bildung, Betreuung und Erziehung“ bis hin zur „Weiterbildung im Erwachsenenalter“ – auf einer dezidierten und umfassenden Datenquellenlage, deren Aufzählung und Beschreibung in diesem Band allein zehn Seiten umfasst. Die alphabetische Reihung startet mit dem Absolvent:innenpanel des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), bezieht die Statistik zu Ganztagsschulen der Kultusministerkonferenz (KMK) mit ein und endet mit dem wb-personalmonitor des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) .

In jedem Bildungsbericht gibt es ein vertiefendes Schwerpunktthema (Kapitel H), das problemorientiert Fragen des Bildungssystems behandelt, die für alle Bereiche von Bedeutung sind. Diesmal heißt das Schwerpunktthema „Bildungspersonal: Struktur, Entwicklung, Qualität und Professionalisierung“ (S. 251-327). Damit will der Bildungsbericht 2022 eine zentrale Voraussetzung erfolgreicher Bildungsprozesse und der Qualität des Bildungssystems in den Blick nehmen. Es geht um qualifiziertes Personal ebenso wie um Ausbildungswege, Fort- und Weiterbildung und schließlich den so wichtigen „Personalbestand und -bedarf“.

Schwerpunktthema „Bildungspersonal“

Nicht nur in der Bildung im Schulalter (S.121-163) kommt dem Professionswissen besondere Bedeutung zu: bei Lehrkräften dem pädagogisch-psychologischen Wissen, dem Fachwissen und den berufsbezogenen Einstellungen. Noch immer gibt es dazu vergleichsweise wenige Daten. Eine Kernkompetenz von Lehrerinnen und Lehrern ist das leistungsdifferenzierte Unterrichten, womit auch das Thema der Fort- und Weiterbildung angesprochen ist (S. 301).

Ein aktuelles Thema sind die von der KMK herausgegebenen Modellrechnungen zum Einstellungsbedarf: „Nach aktueller Berechnung stehen in Deutschland bis 2035 einem durchschnittlichen jährlichen Bedarf von knapp 34.100 allgemeinbildenden und beruflichen Lehrkräften voraussichtlich nur 32.500 Neuabsolvent:innen (...) gegenüber.“ (S. 315). Voraussichtlich fehlen – bei regionalen, schulart- und fachspezifischen Unterschieden – rund 23.500 Lehrkräfte, 1.600 Lehrpersonen jährlich. Während in der Sekundarstufe II mit einem „Überhang“ gerechnet wird, zeigen die übrigen Lehrämter teils erhebliche Lücken, trotz Seiteneinsteigern, deren Anteil sich von 2015 bis 2020 von 4 auf 10 Prozent erhöht hat (S. 316). Der weitere Ganztagsausbau erfordert ebenfalls Personal, wobei hier wegen fehlender Daten der Ersatzbedarf nicht wie bei den Lehrkräften prognostiziert werden kann (S. 318).

Einflussgrößen für die Entscheidung, Lehrerin oder Lehrer zu werden, sind individuelle Interessen, Fähigkeiten und Wertvorstellungen. Höchst interessant sind daher auch die Motive für die Wahl des Lehrerberufs oder Gründe für Unzufriedenheit im Beruf. Immerhin 18 Prozent der befragten Lehrkräfte im Nationalen Bildungspanel (Sekundarstufe I) gaben das „geringe gesellschaftliche Ansehen des Berufes“ als Grund für Unzufriedenheit an (S. 317).

Herausforderung: Entwicklung einer „Qualifizierungsmentalität“

Zu dem angesichts des Fachkräftemangels brisanten Thema beschreiben die Autorinnen und Autoren komplexe Herausforderungen, insbesondere für den Bereich Personalgewinnung und ‑qualifizierung – eine „vordringliche Aufgabe, die Bund, Ländern und Kommunen große Anstrengungen abverlangt.“ (S. 27) Dabei werfen sie bezüglich des Zugangs zu pädagogischen Berufen die Frage auf, ob „eine stark versäulte Ausbildung mit einer eher spezialisierten Aufgabenteilung“ das Risiko beinhalte, „den flexiblen Einsatz vorhandenen oder neu zugewinnenden Personals zu erschweren“. Das Autorengremium regt u. a. auch vorausschickend an, Fortbildungsstrukturen dahingehend neu zu justieren, dass sich eine „Qualifizierungsmentalität“ entwickeln kann, „in der individuelle Professionalisierung selbstverständlich als ein lebenslanger Lernprozess betrachtet wird“ (S. 27).

Besprechung
© Britta Hüning

Damit sich eine solche Mentalität entwickeln kann, dürfen – so das Autorenteam – die Fortbildungsbedarfe nicht vorgegeben, sondern sollten „kooperativ erschlossen“ werden. Ziel der Kultur einer kontinuierlichen Fortbildung sei es, „einer Überforderung entgegenzuwirken und die Berufszufriedenheit zu fördern“ – sodass daraus eine stärkere Strahlkraft für pädagogische Berufszweige entstehen kann. Dies ist nicht zuletzt angesichts des immensen Ausbaus von Ganztagsschulplätzen durch das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz - GaFöG) relevant. Der voraussichtliche Bedarf an zusätzlichen Plätzen zieht einen entsprechenden Bedarf an Fachkräften nach sich. Die Autorinnen und Autoren sprechen von einem neuen Berufsfeld mit „eigenen fachlichen Grundsätzen“ (S. 138).  

Corona-Pandemie: „exogener Schock“ mit einigen positiven Konsequenzen

Wer den Band mit seinen knapp 400 Seiten zunächst nur durchblättert oder online scrollt, stößt hin und wieder auf ein Symbol am oberen Bildrand, welches bei genauem Hinsehen dem allseits bekannten Virus nachgebildet sein könnte. Und so ist es auch. Das Symbol verweist darauf, an welchen Stellen die pandemiebedingten Veränderungen der Lehr-, Lern- und Betreuungsbedingungen – soweit es dazu eine geeignete Datengrundlage gibt – aufgegriffen werden. Die Autorinnen und Autoren bewerten die Pandemie insgesamt als einen „exogenen Schock, auf den das Bildungssystem nicht angemessen vorbereitet war“ und der „bereits bekannte Problemlagen noch stärker zutage treten“ ließ (S. 24).

Andererseits kann für die Weiterbildung im Erwachsenenalter als positive Konsequenz festgehalten werden, dass hybride Lernformate „von den Teilnehmenden am positivsten bewer­tet werden – vermutlich, weil zeitliche und örtliche Flexi­bilität mit pädagogischer Begleitung und sozialem Austausch verknüpft werden können“ (S. 13). Das scheint eine Konsequenz zu sein, die sich auch in anderen Bildungsbereichen mit Zahlen erhärten lässt. An den Hochschulen wurde nach anfänglicher Euphorie über gelungene digitale Formate beobachtet, „dass (…) im Laufe der Pandemie der Wunsch nach einer Rückkehr zum Präsenzbetrieb in der Hochschullehre immer lauter wurde“, vonseiten Studierender ebenso wie Lehrender und Hochschulleitungen (S. 200). Da neben der Sehnsucht nach Präsenz dennoch die Zustimmung zu den hybriden Formaten hoch ist, geht der Bericht davon aus, dass die vollständige Rückkehr zum Lehr-Lern-Betrieb vor der Pandemie „aktuell eher unwahrscheinlich“ erscheint (ebd.).

Kompetenzen in Lesen und Mathe korrespondieren mit Lebenszufriedenheit

Für alle Leserinnen und Leser des nationalen Bildungsberichts, die sich täglich mit Schule und Unterricht befassen, finden sich schließlich unter dem Stichwort „Nichtmonetäre Erträge“ interessante Details zum Zusammenhang von Lernen und Lebenszufriedenheit von Schülerinnen und Schülern, die – was nicht verwundert – auch von guten Noten abhängt, wenn auch nicht im einfachen Ursache-Wirkung-Mechanismus. Beide bedingen sich, und zufriedene Schülerinnen und Schüler sind motivierter, ihre Lernanstrengungen zu steigern (S. 351f).

Collage basteln
© Britta Hüning

Davon abgesehen arbeiten die Autorinnen und Autoren aber einen Zusammenhang heraus, der sich im Erwachsenenalter zeigt und eine direkte Konsequenz aus dem persönlichen Lernerfolg in bestimmten Bereichen zu sein scheint: „Je höher die Lesekompetenz, desto höher die Lebenszufriedenheit“ (S. 353). Mathematische Kompetenzen weisen bei den Erwachsenen zwar diesen Zusammenhang nicht auf, aber interessanterweise ist er für die Jahrgangsstufen 5 bis 9 zu beobachten: „Bei einer Verbesserung der durchschnittlichen Jahresabschlussschulnoten in Mathematik und Deutsch (…) des jeweiligen Vorjahres um eine Schulnote“, erhöhe sich die Lebenszufriedenheit der Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler dieser Klassenstufen „signifikant“ ( S. 353, Abb. 14-1).

Soweit ein mehr als knapper Blick auf den diesjährigen nationalen Bildungsbericht, der von der Kultusministerkonferenz (KMK) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2005 initiiert wurde und sich seitdem in Deutschland institutionalisiert hat. Die angeführten wenigen Detailbefunde können lediglich als „Appetizer“ für eine ausführliche Lektüre eines Berichts dienen, der ein „Must-have“ für alle pädagogischen Professionen, aber auch alle an Bildung und am Bildungssystem Interessierten sein sollte.

Bildung in Deutschland 2022. Ein Indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal. Gefördert mit Mitteln der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Bielefeld 2022.

Beteiligte Institutionen:

DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für lebenslanges Lernen e. V. (DIE), Deutsches Jugendinstitut (DJI), Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), Soziologisches Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI), Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Destatis, StLÄ).

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