Berufsorientierung im Ganztag: eine Handreichung für mehr Praxis : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Konkrete und praxisnahe Tipps hält die Handreichung „Ganztag an Schulen zur Berufsorientierung nutzen“ der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände parat. Eine empfehlenswerte Lektüre.

Aus dem Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kommt eine kompakte und übersichtliche Handreichung mit dem Titel „Ganztag an Schulen zur Berufsorientierung nutzen“. Die Autorinnen und Autoren plädieren dafür, die Zeit im Ganztag dezidiert dafür zu nutzen, Berufsorientierung im Schulkonzept zu verankern. Insbesondere ein hoher Praxisanteil liegt dem Netzwerk am Herzen. Schulen, die ihrem Ganztag diesen Akzent hinzufügen oder ihn ausbauen möchten, bietet das Netzwerk Unterstützung an.

Getreu dem Wunsch des Netzwerks nach mehr Praxis im Rahmen der Berufsorientierung, besteht das Herzstück der 40seitigen Publikation aus Praxisbeispielen. An acht Schulen zeigen die Autorinnen und Autoren auf, wie ein hoher Praxisbezug in den Ganztag eingebettet werden kann. So ist es der Martin-Luther-King Schule im Saarland, einer Gemeinschaftsschule in Saarlouis, zum Beispiel gelungen, die Kooperation mit den Berufsbildungszentren in den Ganztag zu integrieren. Schulleiter Bernd Schmitz lässt sich dazu mit den folgenden Worten zitieren: „Berufsorientierung muss in Zukunft noch stärker als Aufgabe der Schule gesehen werden und deshalb integrativer Bestandteil schulischer Arbeit sein. Gerade der Ganztag eröffnet hierfür vielfältige Möglichkeiten.“ (S.9)

Lerncoaching und Exkursionen

Ein weiteres Beispiel: In Sachsen verknüpft die Oberschule Brand-Erbisdorf ihr Berufsorientierungskonzept mit individueller Förderung in offenen Unterrichtsformen. Dabei sorgt die verbindliche Kooperation mit Unternehmen verschiedener Branchen in der Region und der Agentur für Arbeit dafür, dass im Ganztag Zeit und Gelegenheiten geschaffen werden, sich um die individuelle Ausbildungsreife der Jugendlichen zu kümmern. Dazu gehören zum Beispiel Lerncoachings, Praktika, Exkursionen, Lernwerkstätten und noch vieles mehr. Dass Berufsorientierung an der Oberschule viele Fächer durchdringt, zeigt sich etwa am Fach Ethik: Dort geht es auch um angemessene Verhaltensformen in der Arbeitswelt.

Mauer bauen
© Britta Hüning

Die Handreichung verzichtet auf eine umfassende theoretische Einführung in die aus ihrer Sicht notwendige Priorisierung berufsorientierender Angebote für Schülerinnen und Schüler sowie auf den dringend gebotenen Ausbau des Ganztags. In einem lockeren, übersichtlichen und bebilderten Layout stellt sie heraus, wie verschiedene Schulformen aus unterschiedlichen Bundesländern ihren Weg zur Berufsorientierung im Ganztag gehen.

Aus dem Quellenverweis auf die Publikation „Mehr Schule wagen. Empfehlungen für guten Ganztag“ lässt sich jedoch ableiten, wie sich das Netzwerk einen guten Ganztag vorstellt: Vor- und Nachmittag müssen aus einem Guss sein und zur Rhythmisierung des Lernens genutzt werden. Konkret liest sich dieses Anliegen in der Handreichung so: „Mehr Zeit wird zu mehr klug genutzter Lernzeit, in der die Schülerinnen und Schüler ihre Lernerfolge steigern können, wenn der Ausbau der Ganztagsschule Hand in Hand geht mit einer inneren Strukturentwicklung und die Gestaltungsräume genutzt werden.“ (S.3)

Curriculum für Berufsorientierung

Dass Berufsorientierung in diese Strukturentwicklung eingepasst und die Gestaltungsräume genau dafür genutzt werden sollen, zieht sich als roter Faden durch die Publikation. Die Praxisbeispiele zeigen sehr gut auf, wie Berufsorientierung im Ganztag gelingen kann. Anhand der Beschreibungen der Mittelschule an der Elisabeth-Kohn-Straße in München lässt sich zum Beispiel nachvollziehen, dass das gesamte Kollegium einbezogen werden sollte, wenn Berufsorientierung einen Schwerpunkt im Ganztag werden soll. Die Schule entwickelte vor rund fünf Jahren ein eigenes Berufsorientierungscurriculum und schreibt: „Das gesamte Kollegium hat zur Vorbereitung an zwei Wochenendfortbildungen zur Kompetenzwerkstatt teilgenommen, die vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft ausgerichtet wurden. Dieses Konzept stellt das Gerüst für unsere Berufsorientierung dar. Die Besonderheit liegt dabei auf Fähigkeiten entdecken, benennen und fördern.“ (S. 20)

Eltern sind mit im Boot

Auch die Eltern gehören mit ins Boot der Berufsorientierung. Die Familie nicht außen vor zulassen, das hat sich die Kooperative Gesamtschule (KGS) Schneverdingen (Niedersachsen) auf die Fahnen geschrieben. Jeweils zu Beginn des Schulhalbjahres finden im Ganztagsbereich umfassende Schüler-Eltern-Gespräche statt. Teilnehmende sind neben den Lernenden die Beraterin der Bundesagentur für Arbeit, die Klassenlehrkraft, ein Mitarbeiter des JoBwärts-Teams und die Erziehungsberechtigten. Hierbei werden die Wünsche der Schülerinnen und Schüler und ihrer Erziehungsberechtigten besprochen und mit den Einschätzungen der Lehrkräfte bzgl. der Berufsperspektiven abgeglichen.

Werkunterricht
© Britta Hüning

Zur Stärkung der Schülerinnen und Schüler des Realschulzweigs hat die KGS Schneverdingen ein weiteres Projekt der Berufsorientierung unter Einbeziehung der Eltern implementiert: Die Schülerinnen und Schüler des 10. Realschuljahrgangs entscheiden sich auf der Basis von Schüler-Eltern-Gesprächen, ob sie zu Beginn des 10. Jahrgangs beabsichtigen, nach der 10. Klasse in eine Ausbildung oder in die gymnasiale Oberstufe wechseln zu wollen. „A(ZU)BIwärts“ hat die Schule den Baustein genannt. Zunächst soll lediglich eine Tendenz festgehalten werden. Von einem verpflichtenden Langzeitpraktikum erhofft sich die Schule aber auch, dass durch den „Klebe-Effekt“ mancher junge Mensch einen Ausbildungsvertrag abschließen kann.

Politik, Service und Kontakt

Als besonderen Service für interessierte Leserinnen und Leser bietet die Handreichung einen Überblick, welche Bausteine es bereits zur Berufsorientierung an Schulen gibt bzw. welche Instrumente besonders gut geeignet seien, Ganztagsschulen darin zu unterstützen, Berufsorientierung „auch im Sinne innerer Schulentwicklung anzugehen“. (S.26) Zur Sprache kommen das Berufswahlsiegel, JUNIOR Schülerfirmenprogramme, das Programm Starke Schule und MINT-Bildung, etwa mit dem zu vergebenen Zertifikat „Haus der kleinen Forscher“; alles Bausteine, die – das liegt nahe – das Anliegen der Wirtschaft aufgreifen, für den Arbeitsmarkt gut vorbereitete junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. In Zeiten des Fachkräftemangels und angesichts der Konkurrenz durch praxisorientierte Studiengänge an Fachhochschulen sind Betriebe und Unternehmen vielleicht mehr als jemals zuvor darauf angewiesen, mit Schulen zu kooperieren.

In diesem Sinne kommt eine Vertreterin der Wirtschaft auch selbst zu Wort. Die Geschäftsführerin der Günter Papenburg aG, Angela Papenburg, engagiert sich seit vielen Jahren bei SCHULEWIRTSCHAFT und führt konkrete Projekte zu Berufsorientierung mit Schulen durch, zum Beispiel die AG „Betonarbeiten“ an der 2. IGS in Halle (Saale). Sie sagt: „Das Besondere an der AG ist das ‚Ergebnis zum Anfassen‘ und die Nähe zur echten Arbeitswelt. Wir fördern die Begeisterung für ‚MINT‘, so dass Mädchen und Jungen ihre Fähigkeiten und Stärken in technischen Bereichen gerne ausloten. So ist die AG ein erster Wegweiser für Schritte zur frühen Berufsorientierung.“ (S.39)

Fazit: Empfehlenswert

Wer beim Lesen und Blättern durch die ansprechend gestaltete Handreichung interessiert ist, zum Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT oder zu einer der Praxisbeispiele Kontakt aufzunehmen, findet hier alle Kontaktdaten. Auch die Websites der Programme zur Berufsorientierung und zum Thema Ganztag sind aufgeführt. Insgesamt ist die Publikation ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich Praxisbeispiele, wirtschaftspolitische Anliegen und fachliche Informationen sowie Serviceorientierung kompakt verbinden lassen.

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