Mit dem Berliner Ganztagsstern die Qualität beleuchten : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die neue Broschüre „Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule“ ermöglicht nicht nur Ganztagsschulen in Berlin und Brandenburg, den eigenen Stand zu beleuchten und sich weiterzuentwickeln.

Die Zahl der Publikationen zur Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen ist enorm. Es gibt kaum kaum ein Bundesland, das nicht für Schulen Qualitätsstandards und Rahmenkriterien eines „guten Ganztags“ entwickelt hat, und kaum eine Bildungsinstitution, die sich nicht umfassend damit auseinandergesetzt hat. Angesichts dessen, dass die Bundesregierung den Ausbau der Ganztagsbetreuung in Grundschulen vorantreibt und ab dem Schuljahr 2026/2027 für jedes Grundschulkind sukzessive ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz bestehen soll, ist und bleibt das Thema ein bildungspolitischer Dauerbrenner.

Eine Broschüre, die es in sich hat

Nun liegt eine neue Publikation auf dem Tisch, die es in sich hat. Herausgeber ist das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). Der Titel: „Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule“. Allein der Anspruch der Berlin-Brandenburger Prozessgruppe, welche sich um die Publikation verdient gemacht hat, ist hoch. Die Autorinnen und Autoren möchten nicht weniger, als den Status quo bundesweiter Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung mit dem Berliner Bildungsprogramm und den Berliner Eckpunkten für eine gute Ganztagsschule zu verknüpfen. Auf dieser Grundlage soll allen Berliner Schulen eine Art Arbeitspapier an die Hand gegeben werden, mit dem sie den Ist-Zustand ihres Ganztags sowohl abgleichen als auch weiterentwickeln können.

Die Serviceagentur Ganztag Berlin bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), die zur Prozessgruppe gehört, schreibt dazu auf ihrer Webseite: „Die Qualitätsstandards fassen nicht nur das Qualitätsverständnis guter Ganztagsschule für Berlin zusammen, sondern sie können Schulleitungen, Steuergruppen und multiprofessionelle Kollegien dabei unterstützen, den Ist-Stand zu analysieren und Stellschrauben für die Weiterentwicklung des Lernens über den ganzen Tag herauszufinden.“

Verständnis für Struktur und Übersicht

Genug Stoff für ein dickes Handbuch, könnte man meinen. Aber die Autorinnen und Autoren kommen tatsächlich mit etwas über 50 Seiten aus. Und, das sei vorweg gesagt, sie haben ihre Sache sehr gut gemacht. Dies liegt selbstverständlich an der inhaltlichen Qualität, aber nicht minder – und dies soll hier ausdrücklich vermerkt werden – an Aufbau, Layout und Struktur.

Lehrerzimmer
© Britta Hüning

Zum Glück scheinen die Zeiten endgültig vorbei zu sein, als nur der Inhalt einer Publikation zählte und „Bleiwüsten“ von Texten das Erfassen komplexer Bildungsprozesse zu einer schwer verdaulichen Kost machten. Es hat sich in den vergangenen Jahren ein Verständnis dafür durchgesetzt, dass angesichts der Fülle von Publikationen im Bildungsbereich die Lesenden auch durch Lesefreundlichkeit und gestalterische Attraktivität bewogen werden können, sich in ein Produkt hineinzuarbeiten. Dass dabei die Form dem Inhalt folgt, sollte im Bildungsbereich selbstverständlich sein.

Im Fall der vorliegenden Broschüre (Gestaltung & Layout: Ulrike Jung) fungieren zum Beispiel knallrote Stichworte an einem großzügig bemessenen Seitenrand als sogenannter Eyecatcher, als Blickfang, sie leiten das Auge und strukturieren die überaus komplexe Materie. Einen grafischen Überblick über das große Ganze gibt der neue „Berliner Ganztagsstern“. Er leuchtet – und beleuchtet, um im Bild zu bleiben – Qualitätskriterien, Handlungsrahmen und Ziele und führt facettenreich zusammen, woraus sich Qualität im Ganztag nach dem Verständnis der Prozessgruppe zusammensetzt.

Kernbereiche mit Reflexionsimpulsen

Der Untertitel der Broschüre „Mit Instrumenten zur Analyse von Entwicklungsstand und ‑zielen“ verrät, dass das Heft mit einem Arbeitsauftrag verbunden wird. Die Instrumente zur Analyse machen den Großteil des Seitenumfangs aus und sind der wahre Schatz der Publikation. Wie kann man sich das vorstellen?

Die Qualitätskriterien werden anhand von Checklisten konkretisiert, die es den Lesenden ermöglichen, den Ist-Stand sowie Handlungsbedarfe zu identifizieren. Für die interne Entwicklungsarbeit sind Entwicklungsskalen dargestellt, anhand derer der eigene Prozessfortschritt abgebildet werden kann (vgl. S. 14). Diese Instrumente zur Analyse umreißen insgesamt die drei Rahmenbereiche „Steuerung der Einzelschule“, „Partizipative Praxis“ und „Ganztagsschulprofil“ sowie die fünf Kernbereiche „Kooperation“, „Zeit“, „Bildungselemente“, „Verpflegung“ und „Raum“. Daraus wiederum kann jede Schule ihre Ziele und Kriterien ableiten.

Wie das umgesetzt werden kann, zeigt ein Blick auf den Kernbereich „Zeit“, der wiederum unterteilt ist in die Qualitätsmerkmale Z1 (Tages-, Wochen- und Jahresablauf), Z2 (Zeiten für Zusammenarbeit), Z3 (partizipative Entwicklung der Zeitstrukturen) und Z4 (u.a. verlässliche Sprechzeiten). Im Kernbereich „Zeit“ werden für das Qualitätsmerkmal Z1 z. B. folgende Anforderungen formuliert: „Eine teilweise Loslösung vom 45-Minuten-Takt des Unterrichts ist erkennbar.“

„Eine gute Ganztagsschule ist eine gute Schule!“

Eine unterlegte Zeitleiste gibt Gelegenheit, den Qualitätsstand der eigenen Schule für diese Anforderung sehr konkret zu reflektieren. Die Zeitleiste reicht von „Nein“ über „Planung hat begonnen“ und „Planung ist abgeschlossen“ bis zu „weitgehend umgesetzt“ und schließlich „vollständig umgesetzt“ (vgl. S. 29).

Nach dieser Struktur sind alle fünf Kernbereiche spezifiziert. Durch das analytische Vorgehen ist es der Prozessgruppe hervorragend gelungen, die Komplexität zu reduzieren und sie handhabbar zu machen. Dass der einleitende Teil der Publikation dem wissenschaftlichen Duktus ausreichend Raum gibt, sei nur am Rande vermerkt. Lesende, die im Themenfeld Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen noch nicht so versiert sind, erhalten hier einen Überblick über das breite Portfolio akzeptierter Standards.

Vorlesen
© Britta Hüning

Insbesondere die Präambel füllt die Stichworte Bedarfsorientierung, Lernbegriff, Ganztagsbildung, Kooperation und Partizipation aus und erläutert die Vision einer inklusiven und demokratischen Ganztagsschule. In der Überschrift postuliert sie: „Eine gute Ganztagsschule ist eine gute Schule!“ (S. 8)

Wie bereits gesagt, liegt der Wert dieser Publikation vor allem in den Skalen und Checklisten zur Arbeit an der eigenen Schule. Alle Bereiche, die seit Jahren mit gutem Ganztag in Verbindung gebracht werden, sind hier aufgeschlüsselt und auf beobachtbare Entwicklungspunkte konzentriert worden. Sie fokussieren auf Gestaltungsqualität und benennen die Stellschrauben, an denen Schulleitungen und Steuerungsgruppen drehen können. In der Publikation finden die Leserinnen und Leser somit die Essenz des bildungspolitischen State of the Art des Ganztags.

Fast ein Schlusssatz …

Das wäre ein passender Schlusssatz für diesen Text gewesen, doch es soll noch eine inhaltliche Schleife gedreht werden. Wer sich seit langem mit dem Ganztag befasst, wird das meiste, was er oder sie in dieser Broschüre liest, mit einem Kopfnicken begleiten: „Habe ich schon von gehört.“ Nicht ganz so selbstverständlich könnte der Aspekt „Wellbeing/Wohlbefinden“ (S. 13) sein. Er taucht in den neueren einschlägigen Publikationen auf und zeigt sich in einer Grafik rechts neben dem Ganztagsstern unter dem Oberbegriff „Outputqualität“ (S. 11), während links die Merkmale der Inputqualität aufgezählt sind (darunter Personal, Ressourcen, Autonomie).

Es geht also darum, welche Ergebnisse der Ganztag anstrebt (Outputqualität) und welche Mittel dafür erforderlich sind (Inputqualität). Zur Outputqualität gehören demnach „Erfolgreiche Bildungsanschlüsse“ – und eben das „Wellbeing/Wohlbefinden“, das Befinden jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen. „Wellbeing/Wohlbefinden“ gilt darüber hinaus als Synonym für eine konstruktive bejahende Lebensführung in Korrespondenz mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.[1]

Die Outputqualitäten werden von den Autorinnen und Autoren als „grundsätzliche Marker“ für die Ziele guter Ganztagsschulen verstanden. Guter Ganztag soll sich demnach als guter Lebensort für Lehrende und Lernende, ihr Output aber auch als förderlich für ein gutes gesellschaftliches Klima erweisen. So bleibt der Publikation zu wünschen, dass sie als Berliner Ganztagsstern auf die bundesweite Ganztagsschullandschaft ausstrahlt. 

[1] Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (2020). Gute Schulen entstehen gemeinsam. Praxiswissen für Schulentwicklungsnetzwerke. (abgerufen 23.6.2022).

Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Hg.) (2021). Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule. Mit Instrumenten zur Analyse von Entwicklungsstand und –zielen. Erstellt in Kooperation mit der Serviceagentur Ganztag Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Ludwigsfelde-Struveshof: LISUM.

Autorinnen und Autoren: Christa Hilbig, Birte Marquardsen, Daniéla K. Meyr, Jule Schmidt, Anna Schütz.

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