Ganztagsschule datengestützt entwickeln: eine Handreichung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Datengestützte Schulentwicklung ist für manche Lehrkraft immer noch eine schwere Kost. Eine Broschüre der Initiative „LiGa – Lernen im Ganztag“ macht Appetit auf das Zukunftsthema und nimmt Bedenken ernst.

Die Initiative „LiGa – Lernen im Ganztag“ hat eine gut verständliche und kompakte Broschüre zu einem für viele Schulen immer noch eher sperrigem Thema erarbeitet. Es geht um datengestützte Schulentwicklung. Interessierten Lehrerinnen und Lehrern ebenso wie Schulleitungen und Schulaufsichtsmitgliedern gibt das Heft einen Impuls, sich der Thematik weiter anzunähern. Aber auch skeptische Lehrkräfte können sich angesprochen fühlen.

Während Bildungsexpertinnen und -experten seit Veröffentlichung der PISA-Studien nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass eine datengestützte Schulentwicklung für das professionelle Handeln der Schulen von herausragender Bedeutung ist, reagieren viele Kollegien nach wie vor zurückhaltend, wenn sie zum Beispiel ihren Unterricht evaluieren lassen sollen. Deshalb ist es unter anderem ein Verdienst der Broschüre, dass sie die skeptische Haltung von Lehrerinnen und Lehrern zu intern und extern erhobenen Daten nicht außer Acht lässt.

Gleich im Vorwort geht das Redaktionsteam darauf ein: „Es gilt (…) eine grundlegende Kultur zu entwickeln, die Vorbehalte gegen Daten abbaut und allen Beteiligten Mut macht, damit zu arbeiten“. (S. 3) Ein Zitat des US-amerikanischen Qualitätsmanagement-Experten Philip B. Crosby unterstreicht dies: „Qualität beginnt beim Menschen, nicht bei den Dingen. Wer hier einen Wandel herbeiführen will, muss zuallererst auf die innere Einstellung aller Mitarbeiter abzielen.“ (S. 3)

Erheben von Daten: kein Selbstzweck

Die solche Sätze lesenden Lehrkräfte, die sich jetzt entspannt zurücklehnen möchten und zufrieden denken „Hab’ ich doch schon immer gesagt“, sollten zumindest noch einen Blick auf S. 12 werfen. Spätestens dort wird gut verständlich, dass das interne oder externe Erheben von Daten keinem Selbstzweck datenverliebter Expertinnen und Experten folgt, sondern konkrete Auswirkungen auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern haben sollte. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen, die alle Lehrkräfte bewegen und Themen in (Fach-)Konferenzen sind:

  • „Kommt das, was wir in einem bestimmten Zeitraum vermitteln, bei den Kindern an?“
  • „Was bleibt kurz- und auch langfristig bei den Kindern hängen? Und was nicht?“
  • „Welche Schlüsse ziehen wir daraus für die Unterrichtsentwicklung und die weitere Förderung jedes einzelnen Kindes?“ (S.12)  
Zwei Mädchen am Computer
Entscheidend ist das Lernen der Schülerinnen und Schüler. © Britta Hüning

Mehr als ein „Appetithappen“ kann die knapp 15 Seiten umfassende Broschüre nicht sein. Aber diesen Zweck erfüllt sie voll und ganz. Gut strukturiert und mit farbig unterlegten Textfeldern führt sie die Lesenden sukzessive in das komplexe Thema datengestützte Schulentwicklung ein. Insbesondere Schulaufsicht und Schulleitung sollen in dieser Publikationsreihe, die unter dem Titel „Leit-IDEEN“ erscheint, Impulse für den Einstieg erhalten.

Wohin die Datenreise gehen soll

Nach und nach entwerfen die Autorinnen und Autoren für die Lesenden eine Vorstellung davon, wie sich Interessierte der anspruchsvollen Materie annähern können. Nach einer theoretischen Grundlage und Einführung in das Feld der datengestützten Schulentwicklung folgt das Kernstück auf der Doppelseite der Heftmitte: „Schritt für Schritt zu den richtigen Daten … und Taten“. (S. 8/9) Dort wird – einem Poster nicht unähnlich – der Prozess, der in sieben Schritten durch das Entwicklungsvorhaben führt, verständlich und markant dargestellt.

Ohne hier dazu aufrufen zu wollen, die Broschüre zu zerstören, so liegt es doch nahe, die Doppelseite im Mittelteil vorsichtig aus der Heftklammerung zu lösen und gut sichtbar an eine Wand im Lehrerzimmer zu pinnen – so gut gelungen ist die Aufschlüsselung. Jeder durch blau-grüne Farbtöne unterlegte Schritt regt durch Fragen dazu an, sich präzise zu überlegen, wohin die Datenreise eigentlich gehen soll. Zwei Beispiele:

„Schritt 2: Datenerhebung vorbereiten"

  • Welche Daten brauchen wir? Welche Indikatoren legen wir fest?
  • Welche Daten liegen uns bereits vor?
  • (…)
  • Welche Methoden der Datenerhebung bieten sich an, um die Datenmengen handhabbar zu halten?
  • (…)
  • Welcher Zeitplan ist dafür realistisch?“

„Schritt 5: Maßnahmen planen"

  • Welche konkreten Maßnahmen lassen sich aus der Datenanalyse ableiten?
  • Welche Maßnahmen können davon sofort realisiert werden? Welche müssen längerfristig geplant und umgesetzt werden?
  • Wie priorisieren wir die Maßnahmen, damit wir uns nicht zu viel vornehmen?
  • Welche Unterstützung brauchen wir, z. B. Fortbildungen, Austausch mit andern Schulen (Hospitation)?“
Ein langer Atem ist gefragt

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“, heißt es in Goethes „Faust“. Deshalb gibt Schulleiter Carsten Haack von der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel, einer Ganztagsschule, einen Einblick, wie er das große Entwicklungsvorhaben an seiner Schule ganz praktisch gestartet hat. Vorweg sei verraten, dass er davon spricht, dass „es ein paar Jahre gedauert“ hat und „einen langen Atem“ brauchte, bis 90 Prozent des Kollegiums an einem gemeinsamen Startpunkt angelangt waren.

Und ganz am Anfang stand – wie könnte es anders sein – die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung, eine klassische Leitungsaufgabe. Über eine Zukunftskonferenz, das Einsetzen einer Steuergruppe und das Hinzuziehen einer externen Moderation gelang der Schulleitung der Motivationsprozess. Die Schule hat sich entschieden, wo der Schulentwicklungsprozess hingehen soll und welche Ziele sie erreichen möchte: „Die Unterrichtsentwicklung soll zum Dreh- und Angelpunkt der gemeinsamen Arbeit werden“ – ein Paradigmenwechsel. (S. 11)

Wie an vielen Schulen in Deutschland entsprang die Motivation, etwas verändern zu wollen, auch an der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule den in der Corona-Pandemie erlebten Erfahrungen, die gewissermaßen zum Treiber für Innovation wurde. Viele Lehrkräfte sind in dieser Zeit über sich hinausgewachsen. Sie haben die Krise als Chance genutzt, um bestehende Strukturen und Handlungsweisen zu überdenken und vielfältige Ansätze für eine neue Lernkultur zu entwickeln. Man könnte auch sagen: Die Krise hat gezeigt, was in Schulen steckt.

Eine Grafik als Glanzpunkt der Broschüre

An der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule in Kiel erkannten die Lehrkräfte zum Beispiel, dass die „schulinternen Standards für den Unterricht veraltet waren“. (S. 11) Jetzt sollen die schulinternen Fachcurricula so gestaltet werden, dass sie für alle transparent und daten- sowie erfahrungsbasiert weiterentwickelt werden können. Für Lesende der Broschüre ausgesprochen hilfreich ist an dieser Stelle eine Abbildung von Wolfgang Beywl, die die Autorinnen und Autoren in ihre Broschüre aufgenommen haben.

Ein Junge am Computer
"Die Krise hat gezeigt, was in Schulen steckt." © Britta Hüning

Der Schul- und Personalentwicklungsexperte Beywl identifiziert drei Typen von Lehrkräften anhand ihrer Kompetenzen, Daten zu generieren, auszuwerten, zielorientiert zu nutzen und Evaluationsprozesse zu initiieren und zu begleiten. Er verortet diese drei Typen grafisch bezüglich ihrer Bedeutung sowohl im schulischen Geschehen als auch innerhalb verschiedener Evaluationsvarianten. Was in Worten beschrieben eher kompliziert klingt, erschließt sich in der Grafik bemerkenswert leicht. Ein weiterer Glanzpunkt der Publikation.

Wer sich nach der Lektüre Lust vertieft mit dem Thema datengestützte Schulentwicklung beschäftigen will, findet im Anhang – aber auch zwischendurch – Tipps und Hinweise zu weiteren Tools und ergänzender Literatur.

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