Qualität im Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Petra Gruner
Die Qualitätsentwicklung des Ganztags hat in den Ländern eine hohe Priorität. Zwei Broschüren der Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ in Brandenburg und in Nordrhein-Westfalen geben den Schulen ein Instrument dafür an die Hand.
Lag das Augenmerk zunächst auf dem quantitativen Ausbau schulischer Ganztagsangebote, um dem immer größer werdenden Bedarf gerecht zu werden, rückt nun zunehmend die Qualität ins Zentrum. Die meisten Länder verfügen bereits über allgemeine „Orientierungsrahmen Schulqualität“. Aus Brandenburg und in Nordrhein-Westfalen liegen neue Handreichungen der Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ vor.
„Qualität an Schulen mit Ganztagsangeboten in Brandenburg“
Hermann Zöllner und Karen Dohle, die die Ganztagsschulentwicklung in Brandenburg seit vielen Jahren begleiten, haben die Handreichung „Qualität an Schulen mit Ganztagsangeboten in Brandenburg“ erarbeitet, unterstützt von Heidrun Polke vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Beratend mitgewirkt haben neben dem Ministerium und der Serviceagentur auch die Landeskooperationsstelle Schule-Jugendhilfe kobra.net, das Landesinstitut für Schule und Medien sowie das seit Längerem etablierte „Beratungs- und Unterstützungssystem für Schule und Schulaufsicht“ (BUSS).
Die Handreichung konkretisiert den „Orientierungsrahmen Schulqualität in Brandenburg“, in dem sechs Qualitätsbereiche und 27 Qualitätsmerkmale guter Schulen beschrieben sind, mit Blick auf den Ganztag. Sie soll die Entwicklung eines Ganztagskonzepts, aber auch die innerschulische Evaluation der Ganztagspraxis unterstützen.
Die Broschüre greift fünf Qualitätsbereiche des Orientierungsrahmens auf: „Lehren und Lernen – Unterricht“, „Schulkultur“, „Führung und Schulmanagement“, „Professionalität der Lehrkräfte“ und „Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung“. Zehn Qualitätsmerkmale werden für den Ganztag besonders herausgehoben, darunter „Individuelle Förderung“, „Soziales Lernen“ und „Erweiterte Lernangebote“ (Qualitätsbereich „Lehren und Lernen – Unterricht“), die „Beteiligung von SchülerInnen und Eltern“ sowie die „Kooperation mit gesellschaftlichen Partnern“ (Qualitätsbereich „Schulkultur“). Die Zuordnung der Qualitätsmerkmale basiert, ohne dass das explizit erwähnt wird, auf dem Erkenntnisstand der Schulforschung.
Jedes Kapitel der Handreichung ist gleich aufgebaut: Zunächst wird das Qualitätsmerkmal in seiner fachlichen Bedeutung beschrieben. Anschließend wird es an einem Praxisbeispiel erläutert. Es werden „Entwicklungsstrategien“ aufgezeigt, und am Ende steht eine „Checkliste“: Hier lassen sich Schlüsselindikatoren für den Stand der Entwicklung auf einer vierstufigen Skala bewerten.
Beispielhaft sei das am Qualitätsmerkmal „Individuelle Förderung“ verdeutlicht. Beschrieben werden zunächst Anliegen und Ziele individueller Förderung als Umgang mit der Unterschiedlichkeit der Lernenden, Individualisierung des Unterrichts und Förderung selbstgesteuerten Lernens. Praxisbeispiel ist das „Logbuch“ der Otto-Unverdorben-Oberschule in Dahme, das jede Schülerin und jeder Schüler beim Eintritt in die Schule erhält. Wöchentlich formulieren die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Lernziele und schätzen selbstständig deren Erreichen ein. Das Logbuch soll helfen, Lernstrategien zu entwickeln und Verantwortung für die eigenen Lernprozesse zu übernehmen. Die Eltern lesen und unterschreiben das Logbuch einmal in der Woche und sind so über Lernwege und Lernfortschritte informiert. Ebenfalls wöchentlich erfolgt ein wertschätzendes Feedback der Lehrkräfte, in größeren Abständen gibt es gemeinsame Gespräche von Schülern, Eltern und Lehrkräften. Eingesetzt werden in der Otto-Unverdorben-Oberschule auch „Kompetenzraster“ als ein Instrument, mit dem individualisiertes Lernen im Unterricht gesteuert werden kann. Anhand eines Beispiels aus dem Mathematikunterricht („Geometrische Abbildungen – Spiegelungen, Verschiebungen, Drehungen“) wird das veranschaulicht. „Entwicklungsstrategien“ für die individuelle Förderung sind z. B. die Verankerung von Methodenkompetenz im schulinternen Curriculum oder „Methodentage“. Mit der „Checkliste“ können sich alle Beteiligten regelmäßig vergewissern, wie weit sie ihre Ziele der individuellen Förderung bereits erreicht haben.
Abgerundet wird die Handreichung durch einen Anhang, in dem die Kontaktdaten der acht Beispielschulen und außerdem alle im Land Brandenburg vorhanden Beratungs- und Unterstützungssysteme aufgeführt sind.
„QUIGS SEK I – Qualitätsentwicklung in Ganztagsschulen in der Sekundarstufe“ in Nordrhein-Westfalen
Mit gleichem Anliegen, aber anders aufgebaut, liegt aus NRW eine Handreichung vor. Sie ist Teil der Reihe „Der GanzTag in NRW – Beiträge zur Qualitätsentwicklung“. Allein der Hinweis, dass es sich um den 8. Jahrgang der Reihe und das 24. Heft handelt, zeigt, dass die Handreichung sich in eine umfassende Serie von Qualitätsentwicklungsinstrumenten in NRW einreiht. Verantwortlich zeichnet auch hier die Serviceagentur „Ganztägig lernen“, die im Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA) Münster angesiedelt ist und auf dessen breiten Erfahrungsschatz im Ganztagsbereich und vor allem auch der Kinder- und Jugendhilfe zurückgreifen kann. Kirsten Althoff, Herbert Boßhammer, Gerda Eichmann-Ingwersen und Birgit Schröder sind langjährige Mitarbeiter der Serviceagentur bzw. des ISA und haben sich schon mit vielen Publikationen zur Qualität des Ganztags hervorgetan.
Und auch hier haben viele an der Entwicklung der Handreichung mitgewirkt: neben dem Schul- auch das Familienministerium und Vertreter des Instituts für Schulentwicklungsforschung Dortmund, Elternvertreterinnen sowie Vertreter von Schulen und Kooperationspartnern, etwa die Arbeitsstelle Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit, die Natur- und Umweltschutzakademie und die Vernetzungsstelle Schulverpflegung. Das zeigt auch gleich, in welcher Spannbreite hier Qualität im Ganztag verstanden wird.
Die Broschüre widmet den einzelnen Qualitätsbereichen im ersten Teil Namensbeiträge: Sechs Autorinnen und Autoren beschreiben grundlegende Anliegen, denen der Ganztag gerecht werden muss: den Entwicklungsbedürfnissen der Jugendlichen, der partnerschaftlichen Gestaltung im Sozialraum, den Erwartungen der Eltern, aber auch der Schulaufsicht.
Im Teil 2 wird das Instrument QUIGS SEK I selbst vorgestellt. Als „pädagogische Qualitätsbereiche“ wurden hier drei Gestaltungsfelder herausgegriffen: die die Hausaufgaben ablösenden „Lernzeiten“, „Außerunterrichtliche Angebote“ sowie die Gestaltung der „Mittagszeit“ mit den Stichworten „Ernährung, Verpflegung, Pausenangebote“. Diese Gestaltungsfelder wurden nach Schulbesuchen der Redaktion identifiziert.
Die Handreichung widmet insbesondere den Prozessen der Qualitätsentwicklung große Aufmerksamkeit. Es werden „Arbeitsschritte“ sogar mit geschätzten Zeitangaben dargestellt. Außerdem werden als eine Art Merkzettel sieben Gelingensbedingungen für die Qualitätsentwicklung formuliert. Teil 3 enthält schließlich Beschreibungen der einzelnen Gestaltungsfelder und Checklisten. Erwähnenswert ist nicht zuletzt das der Broschüre beigelegte Plakat, das den Kreislauf der Qualitätsentwicklung veranschaulicht und – an prominenter Stelle in der Schule platziert – allen Beteiligten eine tägliche Erinnerungsstütze sein kann.
Qualität in jeder Hinsicht
Sieht man beide Handreichungen im Vergleich, zeigen sich viele Übereinstimmungen, aber auch einige Unterschiede. Hervorzuheben ist zunächst, dass beide Broschüren der Beteiligung der Schülerinnen, Schüler und Eltern erfreulich viel Aufmerksamkeit widmen. Zwar fehlt „Partizipation“ in keiner Programmatik zur Schulqualität, aber für die ganz konkreten Formen der Beteiligung und Strategien ihrer Entwicklung, vor allem aber auch die Überprüfung des Erreichten waren Ganztagsschulen bisher meist auf sich gestellt. Beide Handreichungen geben hier wichtige Anregungen und Hinweise.
Beide Broschüren profitieren ganz offensichtlich davon, dass sie viele Mitstreiter hatten und Akteure aus der Praxis mit einbezogen haben. Gegenüber vielen Broschüren, die aus einer Außenperspektive eher Forderungskatalogen gleichen, lässt sich bei den hier besprochenen Beispielen wirklich von Praxisorientierung und Praxisnähe sprechen. Beide haben auch nicht nur den „schulischen“ Bereich im Blick, sondern sehen Ganztagsschule als ein Kooperationsprojekt.
Nun zu den Unterschieden: Die Brandenburger Autoren haben sich mit ihrer Handreichung einer der größten Schwierigkeiten in der Qualitätsdebatte gestellt, nämlich, die meist allgemein formulierten Anforderungen an Schul(qualitäts)entwicklung auf die Ebene des „Kerngeschäfts“ von Schule, des Unterrichts und der Professionalität des Personals zu beziehen und dafür differenzierte Qualitätsmerkmale mit einzelnen Schritten ihrer Erreichung zu bestimmen. Einen besonderen Wert haben die Praxisbeispiele aus realen Ganztagsschulen.
Die Handreichung aus NRW wiederum hat den Vorzug, dass sie sich ausgiebiger einzelnen Schwerpunktbereichen widmet. Die Checklisten sind etwas gröber als in der Brandenburger Handreichung. Hier müssen die Schulen selbst Indikatoren entwickeln, um das Erreichen der Ziele in den einzelnen Qualitätsbereichen zu überprüfen. Besonders hervorzuheben ist an der NRW-Handreichung die starke Berücksichtigung des Qualitätsbereiches „Mittagszeit“. Die Handreichung verdeutlicht, dass Mittagessen und Pausenversorgung keine Nebensächlichkeiten im Ganztag sind. Zu einem Ganztagskonzept gehört auch ein „Verpflegungskonzept“ mit Qualitätsstandards.
Dass die Brandenburger Handreichung das Thema Mittags- und Schulverpflegung nicht im Vordergrund sieht, hat sicher damit zu tun, dass in den neuen Ländern die Mittagsversorgung in der Schule (nicht nur in Ganztagsschulen) seit jeher die Regel ist. Dass es sich um einen wichtigen Qualitätsbereich handelt, haben aber die Vorfälle der jüngsten Zeit gezeigt. Auch hier zeigt sich, dass Quantität das eine ist, die Qualität aber letztlich die entscheidende Rolle spielt.
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