Kultur in der Schule: mehr als ein „Sahnehäubchen“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Zwei Broschüren zur Kulturellen Bildung aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zeigen an Praxisbeispielen aus Schulen und außerschulischen Initiativen, was Kunst für Kinder und Jugendliche bedeutet.
Was wenig spannend als „Amtsblatt“ tituliert ist, erweist sich über rund 40 Seiten als unterhaltsamer Spaziergang durch eine etwas andere Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens, eine, die aus Schulen, überwiegend Ganztagsschulen, besteht. Das Sonderheft „Kulturelle Bildung in der Schule“ des Ministeriums für Schule und Weiterbildung hat mit einem der üblichen Amtsblätter wenig gemeinsam. Darauf weist schon die Einführung hin: „Kulturelle Bildung öffnet Welten“. Reich bebildert, übersichtlich strukturiert und nah an der Praxis entfaltet sie den Leserinnen und Lesern eine Welt schulischer Kunst- und Kulturprojekte.
Kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche in der Schule, das wissen Eltern wie Lehrerinnen und Lehrer, verändern den Blick auf die Schülerin oder den Schüler. Wenn der Fünferkandidat in Mathe ganz allein auf der Bühne ein Schlagzeugsolo spielt oder ein Mädchen, das sich nicht traut, ein Referat zu halten, plötzlich als Ronja Räubertochter hinter den Kulissen auftaucht, dann – ja, dann strahlen Kinder und staunen Mitschüler, Eltern und Lehrer. „Tanzen fühlt sich an wie frei sein“, beschreibt ein Kind seine Erfahrung mit einem Projekt (S. 32).
Ein schönes Lob für das nrw landesbüro tanz, das ebenso wie zum Beispiel der Landesverband der Musikschulen NRW mit Schulen kooperiert. Die Kreismusikschule Viersen etwa versammelt mit ihrem „Musikabenteuer: Kinder trommeln“ 13 offene Ganztagsschulen zu Konzerten, in denen über 1.000 Kinder gemeinsam zeigen, was Kooperationen zwischen Schule und Partnern aus der „Kulturszene“ möglich machen.
Ganz vertraut: Museum, Theater und Oper
Der Ganztag, das klingt bei vielen Projekten durch, ist entgegen manchen Klagen über nachmittags schwer erreichbare Kinder, gerade eine Chance für die Integration von Kunst und Kultur in das Schulleben. In der Offenen Ganztagsgrundschule Vennbruchstraße im Norden von Duisburg etwa finden die kulturellen Angebote außer am Freitag täglich von 14 bis 16 Uhr statt, und zwar – ganz wichtig – nicht isoliert, sondern verzahnt mit dem regulären Unterricht. Das ist das eine. Das andere sind die Kulturforscher der 3. und 4. Klassen. Sie besuchen die Kulturstätten in und um Duisburg regelmäßig. Lehmbruck-Museum und andere Kunstmuseen, Oper, KOM'MA-Kindertheater und CUBUS-Kunsthalle sind zu einer vertrauten Adresse geworden.
Seit zehn Jahren gehören Kunst und Kultur zur Schule. Schulleiter Peter Steuwer resümiert: „Es hat nicht immer alles reibungslos funktioniert. Das Projekt war aber von allen Akteuren immer von dem Willen begleitet, etwas gelingen zu lassen“ (S. 6). In diesem Fall ist es der Verein Akki e. V. (Aktion & Kultur mit Kindern), der mit für das Gelingen sorgt.
Interessierte Lehrerinnen und Lehrer finden in dem „Amtsblatt“ nicht nur Steuwers Kontaktdaten, sondern viele weitere Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, Kontaktbüros und Projektstellen. Dazu gehören auch die Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung e.V. mit ihren Angeboten kulturpädagogischer Fort- und Weiterbildung und die Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“. Leider wurden die Anschriften nicht noch einmal separat in einem Anhang gebündelt, was Überblick und Sichtung der vielfältigen Kooperationspartner in NRW erleichtern würde.
Kunst „um ihrer selbst willen fördern“
Das ist auch der einzige Nachteil einer weiteren, knapp 90 Seiten starken Broschüre „Kultur macht Schule in Baden-Württemberg“. Das Inhaltsverzeichnis entwirft auf einen Blick ein Tableau höchst unterschiedlicher Sparten. Dicht beschrieben, sollten sich Leserinnen und Leser Zeit nehmen, den verschiedenen Argumentationssträngen pro Kultur in der Schule zu folgen. Wo zum Beispiel die einen Autorinnen und Autoren den sogenannten Kompensationseffekt hervorheben, was meint, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien erreicht werden, streichen andere heraus, dass die Kunst Kindern und Jugendlichen eine Welt über die formale Bildung in der Schule hinaus anbieten müsse und dass sie nicht Anhängsel der Schule sei.
So schreibt die Leiterin der Jungen Oper Stuttgart, Barbara Tacchini: Kunst will „um ihrer selbst willen gefördert“ werden, „nicht nur, weil sie erwiesenermaßen Sprachkompetenz fördert oder Mathematiknoten hebt … . Anders als in vielen Schulfächern, bei denen die Leistungen eines Einzelnen klaren Bewertungsschemen unterliegen, öffnet sich den Schüler/-innen … ein Freiraum, in dem sie spielen, experimentieren und etwas riskieren dürfen“ (S. 65). Kevin, 12 Jahre, bringt es ein paar Seiten vorher auf den Punkt: „Wenn ich kreativ bin, vergesse ich, was um mich herum ist“ (S. 48). An seiner Fritz-Boehle-Werkrealschule, einer Ganztagsschule in Emmendingen, findet das gesamte Schuljahr über ein verpflichtendes dreistündiges Kulturprojekt statt. Wählen kann er unter anderem zwischen Theater, Tanz, Musik und Bildender Kunst.
Berührt werden von dem, was Kunst gibt
In Spannungsfeld zwischen zweckfreiem Tun und pädagogisch intendierten Effekten bewegen sich die in der Publikation beschriebenen Programme und Prozesse. Je nach Zugang zu der Thematik können sich Leserinnen und Leser in ihrem eigenen Tun bestärken oder zu Neuem anregen lassen. Die Vielfalt der Angebote und das Fehlen des moralischen Zeigefingers machen alles möglich, nur eines nicht: nicht berührt zu werden von dem, was Kunst Kindern gibt. Autorenbegegnungen in der Schule, Kulturfahrpläne, Kulturstarter und Kulturagenten, „Abenteuer Künste“ und Zirkus, Bibliotheken, Popakademie und Blasmusik gehören dazu.
Peter Schmid, Rektor der Tulla-Realschule Mannheim, hat an seiner Schule auf den Fluren im Obergeschoss eine Galerie etabliert. Vier Ausstellungen gibt es im Jahr, plus zwei mit dem Kooperationspartner „Griffelkunst Vereinigung“. Schmid schreibt: „Die Ausstellungen der Galerie im Tulla verfolgen kein Programm im Sinne einer festen Stilrichtung. Es werden immer hochkarätige Künstler angeboten mit dem Blick auf den formulierten pädagogischen Anspruch. So gibt es einen Wechsel von etablierten Künstlern mit jungen oder am Anfang der Kariere stehenden Künstlern. Wir zeigten z.B. Arbeiten von Martin Noèl, Sigmar Polke, Antoni Tapies, Klaus Staeck, Günter Grass, Otmar Alt …. Bereits seit 2001 beteiligt sich die Galerie an der ‚Langen Nacht der Museen‘ und hat jeweils zwischen 1500 und 3000 Besuchern …“(S. 41).
Wichtige Fragen, bundesweit interessant
Die Galerie im „Tulla“ ist ein besonderes Beispiel, durchaus. Aber beim Lesen der beiden Publikationen aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wird klar, dass jede Schule mit ihren Projektpartnern etwas ganz eigenes, unter den jeweiligen Bedingungen Mögliches schaffen kann. Die Texte machen deshalb Mut und spornen an, Und sie sind damit über Ländergrenzen hinweg für Schulen interessant.
Schließlich stellen sich alle Akteure immer wieder neu die Fragen: Wer kann uns unterstützen? Wie finanzieren wir unser Vorhaben? Wie gelingt es uns, Kinder mitzunehmen, deren Eltern sich weniger interessiert zeigen? Fragen, die in einer Tabelle (S. 15) differenziert dargestellt sind und als Checkliste genutzt werden können, um Qualitätskriterien für eine Zusammenarbeit mit geeigneten Kooperationspartnern zu finden. Denn Kultur an der Schule, die über das im Unterricht Erarbeitete hinausgeht, ist ohne Partner, so wird immer wieder formuliert, langfristig kaum von Erfolg gekrönt. Ein entsprechendes Augenmerk legen die Autorinnen und Autoren in verschiedenen Aufsätzen auf Kooperationsstrukturen und Gelingensbedingungen.
Es müssen keine Profis sein
Dabei muss der Partner nicht immer aus dem professionellen Kulturbetrieb stammen. „Von keineswegs geringerer Bedeutung sind die weit verzweigten und vielfältigen Bereiche der Laienmusik und Kirchenmusik. Insbesondere im ländlichen Raum sind die Ensembles wichtige Kulturträger und Säulen des gesellschaftlichen Lebens“, schreiben Elisabeth Tull und Klaus-Dieter Mayer vom Landesinstitut für Schulsport, Schulkunst und Schulmusik in Ludwigsburg (S. 11).
Und noch einen Impuls bietet die Broschüre aus Baden-Württemberg: die Anregung, sich als Schule einen „Kulturfahrplan“ zu erarbeiten (S. 35). Dazu gehört etwa, sich zunächst einmal auf ein Konzept zu verständigen. Drei stehen zur Auswahl:
1. die Etablierung einer Präsentations- und Festkultur in der eigenen Schule,
2. die Kooperation mit Kulturinstitutionen,
3. das Durchdringen aller Bereiche der Schule mit künstlerisch-kreativen Methoden.
Hier liegen zwei lesenswerte Publikationen vor, bei denen das Heft aus Baden-Württemberg neben der Praxis noch stärker Kultur als „Lebenskunst“ (S. 4) thematisiert.
Ministerium für Schule und Weiterbildung (2013) (Hrsg.). Schule NRW. Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung. Sonderheft „Kulturelle Bildung in der Schule", 9/13. Düsseldorf. Download Link
Die Publikation entstand in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW".
Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2013) (Hrsg.). Kultur macht Schule in Baden-Württemberg. Remscheid: BKJ.
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Die Publikation entstand in Zusammenarbeit mit der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg e. V. (LKJ).
Für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung von Fotos dankt die Redaktion der Akademie Remscheid für Kulturelle Bildung e.V.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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