Kluger Plan mit kleinen Schritten : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Der Name "ABC der Ganztagsschule" passt genau: In dem 240 Seiten starken Handbuch erläutern Fachleute aus Praxis und Wissenschaft auf jeweils zwei Seiten Begriffe zur Ganztagsschule von "Arbeitsbedingungen" bis "Zukunftswerkstatt". Das "Handbuch für Ein- und Umsteiger" erlaubt so einen schnellen Zugriff auf verschiedene Themen.
Die Zahl der Ganztagsschulen in Deutschland steigt stetig. Dadurch haben auch immer mehr Pädagoginnen und Pädagogen, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Erzieherinnen und Erzieher und außerschulische Partner mit der Ganztagsthematik zu tun. So manche Schule betritt dabei völliges Neuland und ist für Anregungen und Unterstützung dankbar. Auch ein Buch mit kurzen Abstracts rund um das Thema Ganztagsschule kann zur Beantwortung erster Fragen dienen.
Eine weitere Neuerscheinung zum Thema Ganztagsschule liegt nun mit "ABC der Ganztagsschule" vor. Das "Handbuch für Ein- und Umsteiger", wie es im Untertitel heißt, entstand mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Wochenschau-Verlag. Neben der Printausgabe gibt es auch ein Internetportal, dessen Seiten ergänzt und aktualisiert werden sollen.
Das Prinzip von "ABC der Ganztagsschule" ist einfach: Wie in einem Alphabet listet es auf jeweils zwei Seiten 98 Begriffe von A wie Arbeitsbedingungen bis Z wie Zukunftswerkstatt auf und erläutert diese präzise. Der schnelle Zugriff auf eine bestimmte Thematik wird so möglich. Im Anhang werden die einzelnen Kapitel durch Literatur- und Internethinweise ergänzt.
"Ganztagsschulen brauchen einen langen Atem"
Als Autorinnen und Autoren zeichnen 33 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis verantwortlich. Sie reichen von Schülern wie Vincent Steinl von der LandesschülerInnenvertretung Bayern bis zum Pädagogen Otto Herz. Als Herausgeber und gleichzeitig auch Autoren fungieren Marianne Demmer, Katrin Höhmann, Martina Schmerr und Bernhard Eibeck. Marianne Demmer ist Lehrerin und Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der GEW, Katrin Höhmann arbeitet als Diplom-Pädagogin am Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund. Die Germanistin Martina Schmerr ist Referentin für Schule beim Hauptvorstand der GEW. Diplom-Pädagoge Bernhard Eibeck ist Referent für Jugendhilfe und Sonderpädagogik beim Hauptvorstand der GEW.
In ihrem Vorwort vom Januar 2005 erläutern sie die Genese des Projektes "ABC der Ganztagsschule": "Seit im Mai 2003 mit dem Investitionsprogramm des Bundes der Startschuss für den Ausbau von Ganztagsschulen gegeben wurde, wird die GEW oft um Rat gefragt, was man tun muss, damit sich eine Schule zur Ganztagsschule entwickeln kann. Daraus ist die Idee entstanden, eine ,Handreichung' zum Aufbau von Ganztagsschulen zu schreiben. Wir stellten ein Redaktionsteam aus erfahrenen Wissenschaftlern, Praktikern und Organisationsberatern aus Schule und Jugendhilfe zusammen."
Die Herausgeber machen darüber hinaus die pädagogische Klammer deutlich, welche die Stichworte zusammenhält: Ganztagsschulen sollen der individuellen Förderung dienen und "Aussortierung vermeiden". Kinder und Jugendliche sollen in die Gestaltung des Schullebens einbezogen werden. Ganztagsschulen sollen sich ihrer Umgebung öffnen, besonders die Jugendhilfe soll dabei ein "dauerhafter" Kooperationspartner sein. Pädagoginnen und Pädagogen sollen "professionell ausgestattete" Arbeitsplätze vorfinden. Das Fazit gleich zu Beginn des Buches lautet: "Die Entwicklung einer Ganztagsschule braucht einen klugen Plan, sie braucht aber vor allem viele kleine Schritte und einen langen Atem."
Bedenkenswertes und positive Erfahrungen
Die einzelnen Stichwortkapitel sind immer gleich gestaltet: Unter dem Stichwort finden die Leser einen kursiv gesetzten Kernsatz, der die Essenz des Kapitels zusammenfasst. Nach einer Definition und Erläuterung des Begriffes folgen jeweils zwei Listen: Die erste wird eingeleitet mit dem Satz "Bedacht und geklärt werden sollte", die zweite mit "Bewährt hat sich".
Bei "Bedacht und geklärt werden sollte" werden bedenkenswerte Voraussetzungen, Einschränkungen und Rechtslagen erwähnt. So findet sich unter dem Stichwort "Mädchen- und Jungenarbeit" beispielsweise die Anregung, "dass es nicht um Vermittlung von Wissen unter schulischen Regeln geht, sondern um einen Austausch von Meinungen und das Nachdenken darüber". Beim Thema "Sponsoring" steht zu lesen: "Bedacht und geklärt werden sollte, dass die rechtlichen Dimensionen bekannt sind (z.B. das Erziehungsrecht der Eltern, die öffentliche Aufsicht, unter der die Schule steht, das Persönlichkeitsrecht und das Jugendschutzgesetz). Vor allem aber sind die schulgesetzlichen Ausführungen und das geltende Steuerrecht zu beachten."
Unter "Bewährt hat sich" listen die Autorinnen und Autoren positive Erfahrungen auf, die zum Beispiel zum Gelingen von Integration führen können. So schreibt der Diplom-Pädagoge Michael Boltz unter dem Stichwort "Migration": "Bewährt hat sich, attraktive Angebote im Sozial- und Freizeitbereich zu unterbreiten, welche die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund erleichtern, weil sie alle Kinder (unabhängig von ihrer sozialen Herkunft) ansprechen. Bewährt hat sich, sprachliche Kompetenz bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache zu fördern, zu nutzen und anzuerkennen (z.B. indem Türkisch als Abiturfach gewählt werden kann). Bewährt hat sich, auch solche Angebote zu unterbreiten, in denen unterschiedliche kulturelle Erfahrungen eine Qualität darstellen."
Wer hat in einer Ganztagsschule die Schlüsselgewalt?
Viele der Stichworte wie "Praktikum", "Aufsicht führen" und "Konflikt" können auch auf Halbtagsschulen bezogen werden. Die Autorinnen und Autoren bemühen sich aber stets, den Bezug zur Ganztagsschule herzustellen. So schreibt Katrin Höhmann in ihrem Beitrag über "Praktikum": "Ganztagsschule bietet die Möglichkeit, ein differenziertes Praktikumskonzept zu entwickeln." So seien für Ganztagsschulen Schülerpraktika "besonders interessant": "Bei diesen führen Schülerinnen und Schüler der oberen Jahrgänge Angebote für die unteren Jahrgänge oder in der nahe gelegenen Grundschule durch. Parallel bekommen sie die Möglichkeit, einen Jugendgruppenleiterschein bei einem Jugendverband zu erwerben. Es ist nicht zwingend notwendig, dass Praktika ausschließlich der Berufswahlvorbereitung dienen; Erfahrungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu sammeln, ist ein ebenso wichtiger Faktor."
Beim Durchblättern des Taschenbuchs bleibt die Leserin oder der Leser an einigen Stellen unweigerlich hängen: Was bedeutet zum Beispiel "Inklusion"? "Inklusion ist eine Zielperspektive von Ganztagsschule", fasst Irmtraud Schnell, eine Lehrerin für Sonderpädagogik, ihren Beitrag zusammen. Nach Lesen des Artikels ist klar: Eine inklusive Schule grenzt keine Schülerin und keinen Schüler aus, sondern "rechnet grundsätzlich mit der Komplexität und der Heterogenität der Lerngruppen und stellt sich in ihren kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklungs- und Lernangeboten darauf ein." Eine inklusive Schule müsse dabei eine Ganztagsschule sein: "Das ganztägige gemeinsame Leben bietet allen Beteiligten viele Chancen zur Auseinandersetzung und Annäherung. Es schafft Situationen, die auch den Schülerinnen und Schülern Achtung vor anderen und soziale Verantwortung abverlangen."
Ein anderes Stichwort, das zum Lesen verleitet, ist "Schlüssel", das Bernhard Eibeck mit dem kryptischen Wortspiel "Schlüsselfragen sind Schlüsselfragen" einleitet. Doch tatsächlich: In Ganztagsschulen, in denen auch außerschulische Partner und Pädagoginnen und Pädagogen von außen arbeiten, stellt sich natürlich die Frage, wer zu welchen Räumen Zutritt hat und welcher Personenkreis Schlüssel besitzen darf.
Auf diese Fragen gibt das "ABC der Ganztagsschule" wie auf viele weitere hilfreiche Antworten. Für ein schnelles Nachschlagen ist es bestens geeignet und wird in seiner Internetform sicherlich noch wachsen.
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