Forschung als Fundgrube: neue Handreichung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Seit 2005 hat sich eine Vielzahl von Studien mit der Entwicklung von Ganztagsschulen beschäftigt. Eine neue Handreichung fasst die Ergebnisse zusammen und präsentiert sie übersichtlich gegliedert.
Wer findet schon Zeit, alle Studien zu lesen und auszuwerten, die sich mit ganztägiger Bildung befassen? Für jene, die gerne kompakt und verständlich über aktuelle Ergebnisse aus der Ganztagsschulforschung informiert werden möchten, liegt jetzt eine neue Publikation vor: „Lernkultur, Kooperation und Wirkungen – Befunde aus der Ganztagsschulforschung“.
Rund um den Erziehungswissenschaftler Heinz Günter Holtappels (TU Dortmund) hat sich ein Autorenteam die Mühe gemacht, 24 empirische Studien zu sichten und auf rund 140 Seiten zusammenzufassen. Das Ziel ihrer Arbeit beschreiben Heinz Günter Holtappels, Josefa Krinecki, und Simone Menke im Vorwort so: „Aufbereitet wurden jene Befunde, die nach unseren Beratungserfahrungen für die praktische Arbeit der Entwicklung und Gestaltung ganztägig arbeitender Schulen besondere Bedeutung haben.“ Infolgedessen richtet sich die Broschüre an Menschen in der Praxis: Schulleitungen, Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal, aber auch Personen in Bildungsverwaltung und Steuergruppen werden angesprochen.
Uneinigkeit bei „Individueller Förderung“
Beim Blättern durch die rund 140 Seiten bleibt das Auge zunächst an den vielen Schaubildern hängen, die auf fast jeder Seite Aspekte des Textes veranschaulichen. Auf einen Blick erfassen hier Leserinnen und Leser Kernaussagen, zum Beispiel zum Förder- und Rollenverständnis von pädagogischen Fachkräften (S. 30ff.), welches sich u. a. auf die Umsetzung von individueller Förderung auswirkt – ein Reizthema für manche Eltern sowohl an Grundschulen als auch an weiterführenden Schulen.
Eltern, die mehrere Kinder in unterschiedlichen Schulen haben, stellen häufig irritiert fest, dass sich das, was unter dem Siegel „Individuelle Förderung“ angeboten wird, von Schule zu Schule unterscheiden kann und dass sich auch deren Sinnhaftigkeit nicht immer erschließt. Auf diesen und den nachfolgenden Seiten erfahren sie, warum das so ist. Laut dem Forschungsprojekt „Individuelle Förderung in Ganztagsschulen“ zeigt sich, „dass Fach- und Lehrkräfte bei der Realisierung einer individuellen Förderpraxis vor allem auf Alltagstheorien zurückgreifen … . Bei den Akteuren lagen keine gemeinsamen, abgestimmten Normen oder Standards vor, sodass teilweise auch die jeweiligen Interventionsziele und -formen voneinander abwichen. Die … Weiterentwicklung und Evaluation des pädagogischen Handelns im Sinne einer professionellen Förderpraxis können dadurch erschwert werden“ (vgl. Maykus u. a. 2011, S. 133ff.).
Leserinnen und Leser, die nun gerne wissen möchten, wie individuelle Förderung gelingen kann, werden mit dieser Frage nicht allein gelassen, sondern erhalten gut strukturierte Antworten, abgeleitet aus den herangezogenen Studien. Zu den Gelingensbedingungen, die das Autorenteam herausgearbeitet hat, gehören demnach u.a.: Klärung der Methoden, Aufstockung personeller Ressourcen, Erarbeitung von verbindlichen Regeln, Entwicklung und Verankerung eines Förderkonzepts. Dann machen auch Eltern gerne mit, lautet ein Fazit. Die Forscher empfehlen, Förderpläne als Leitfäden für Elterngespräche zu nutzen.
Relevante Themen, fundierte Hinweise
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es dem Autorenteam gut gelungen ist, für den schulischen Alltag relevante Themen aufzugreifen, sie auf „wissenschaftliche Füße“ zu stellen und ebenso anwendungsorientierte wie fundierte Hinweise zu geben. Der Band ist somit eine Fundgrube für alle, die wissen wollen, wie Ganztag funktioniert und warum das so ist. Und wer sich in die eine oder andere Studie gerne selbst vertiefen möchte, der findet im Anhang eine übersichtliche Tabelle. Dort sind alle ausgewerteten Datengrundlagen aufgeführt und nach Forschungsmethoden sortiert. Ein umfassendes, 13 Seiten beanspruchendes Literaturverzeichnis verweist zudem auf die große Palette ganztagsrelevanter Publikationen.
Lernkultur, Kooperationen und Wirkungen – so lauten die Kapitelüberschriften, die in ihren Unterkapiteln wiederum Teilaspekte aufgreifen, mit denen sich Ganztagsschulen befassen. „Verzahnung des Vormittags mit dem Nachmittag“ und „multiprofessionelle Zusammenarbeit“ sind solche typischen Ganztagsthemen. Hier erkennen die Leserinnen und Leser zudem, welche Entwicklung Ganztagsschulen in Deutschland insgesamt nehmen. Dank der Begleitforschung können zu unterschiedlichen Zeitpunkten Tendenzen festgehalten werden. So stieg etwa der Anteil der Ganztagsschulen, die mit außerschulischen Kooperationspartnern arbeiten, von 70,9% im Jahr 2005 auf 86,9 im Jahr 2009.
Checkliste für Gelingensbedingungen
Die Anzahl der Kooperationspartner pro Schule nahm im Mittelwert ebenfalls zu und wuchs im gleichen Zeitraum von 4,58 auf 6,20. Die wichtigsten Partner zeigt die Tabelle auf S. 51 auf einen Blick: Sport, Kinder- und Jugendhilfe sowie kulturelle Bildung stehen auf den ersten drei Plätzen. Welche Erwartungen sowohl Schule als auch Partner an eine Kooperation stellen, wie sich außerschulische Partner einbinden lassen und welche Kommunikationsformen sich als zielführend erwiesen haben – diese Fragen gehören zu den wissenschaftlich erfassten und ausgewerteten Teilaspekten, die ebenfalls beantwortet werden. Um Aussagen über Gelingensbedingungen für Kooperationen mit außerschulischen Partnern machen zu können, wurden diese nach Auswertung zweier Studien in einer Art Checkliste dargestellt (S. 60/61).
Fazit: keine „Gratiseffekte“
Auch wenn sich in dem ausführlichen Fazit des Handbuchs manches als Kritik an Ganztagsschulen liest, so ist das Resümee am Ende des Bandes doch vor allem eine informative und hilfreiche Übersicht gesicherter Erkenntnisse ganztägiger Bildung. Dass etwa zum Thema Wirkungen die Frage „Wie profitieren Schülerinnen und Schüler vom Ganztag?“ noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann, ist sicher auch der im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern noch jungen Geschichte des Ganztags an deutschen Schulden geschuldet, vielleicht aber auch den hohen Erwartungen an die Effekte ganztägiger Bildung. Das Autorenteam formuliert dazu: „Im Hinblick auf Wirkungen der Ganztagsschule auf die Schülerentwicklung weist die Forschung bisher eher unzureichende oder unklare Befunde auf“ (S. 111). Und etwas später: „Deutlich wird, dass individuelle Wirkungen auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler noch keineswegs durchgängig nachweisbar sind, vor allem scheinen solche Wirkungen nicht als ‚Gratiseffekt‘ erwartbar“ (S. 112).
Die Publikation „Lernkultur, Kooperationen und Wirkungen – Befunde aus der Ganztagsschulforschung“ entstand im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“, das seit 2004 von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) umgesetzt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds gefördert wird. Wissenschaftlicher Partner ist die TU Dortmund.
Die Broschüre kann hier kostenlos bezogen werden: www.ganztaegig-lernen.de
Kategorien: Kooperationen - Lokale Bildungslandschaften
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