Beruf Erzieherin / Erzieher – mehr als Spielen und Basteln : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
In einem Fach- und Lehrbuch „Erzieherin / Erzieher – mehr als Spielen und Basteln“ befasst sich der Diplom-Psychologe Prof. Bernd Rudow mit dem Erzieherberuf aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht und in der Verbindung zur Ganztagsschule.
Prof. Bernd Rudow ist auf www.ganztagsschulen.org kein Unbekannter. Bereits vor drei Jahren trug er seine Expertise zu den Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen und Erziehern in Berliner Ganztagsgrundschulen in einem Interview bei. Nun hat sich der Diplom-Psychologe und Arbeitswissenschaftler dem Thema mit dem Fach- und Lehrbuch „Beruf Erzieherin / Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte“ erneut und in umfassender Weise gewidmet.
Rudow ergänzt die erziehungswissenschaftlichen Betrachtungen zum Erzieherinnen- und Erzieherberuf durch seine Sichtweise aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive. Er analysiert auf rund 360 Seiten die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsorganisation, den Arbeitsplatz und die Arbeitsumgebung dieses Berufes. Auch deren Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher sind ein Thema dieser erstmals ganzheitlichen Betrachtung der Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern.
„Die Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern gewinnt gegenwärtig an Aufmerksamkeit, weil die frühkindliche Erziehung, Bildung und Betreuung zunehmend in die öffentliche Diskussion kommt“, schreibt Rudow. „Es besteht ein wesentliches Anliegen darin, den Erzieherberuf in seiner Vielfalt und Komplexität, aber auch in seiner Bedeutung für Kinder und Jugendliche sowie für die gesamte Gesellschaft darzustellen.“
Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben
Zudem sieht er einen blinden Fleck in der bisherigen Forschungslandschaft: „In mehreren erziehungswissenschaftlichen Projekten zur Ganztagsschule ist der Arbeit der Erzieherinnen kaum Beachtung geschenkt worden, obwohl sie im Prozess der Bildung, Erziehung und Betreuung eine zentrale Stellung haben. In der Ganztagsschulforschung führen sie bis heute ein Schattendasein.“
Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt: Die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher; Belastungen, Beanspruchung und Ressourcen der Erzieherinnen und Erzieher; Arbeits- und Organisationsgestaltung – Die Gestaltung guter und gesunder Arbeit; Die Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher sowie Ressourcen in der Arbeit – die „schönen“ Seiten des Erzieherberufs. Jedes Kapitel endet mit einer prägnanten Zusammenfassung.
Viele farblich unterlegte Kästen, Grafiken, Tabellen, Diagramme und einige Fotos sorgen sowohl für eine gute Lesbarkeit als auch einen schnellen Zugriff auf einzelne Unterpunkte. Das umfangreiche Literaturverzeichnis und auch die Fußnoten im Text zeugen von den zahlreichen Quellen, die der Autor neben seinen eigenen Studien herangezogen hat. Schwerpunkt des Buches ist dabei die Untersuchung der Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen wie Krippe, Kindergarten und Hort und in der Ganztagsschule.
Die Ganztagsschule übernehme heute „Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsaufgaben, die früher der Familie und familienergänzenden Horten zukamen“. Pädagogische Einrichtungen würden zunehmen zum Lebens- und Lernort der Kinder. Jeder Tag in der Kita oder in der Schule sei für das Kind „wie ein kleines Leben“.
Im ersten Kapitel „Die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher“ definiert der Autor das „relativ neue Modell der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Ganztagsschule“ unter Zuhilfenahme der KMK-Kriterien. Er zählt Merkmale auf, welche die Ganztags- von der Halbtagsschule abgrenzen, darunter „neue Formen der Zusammenarbeit von schulischen und außerschulischen Partnern“ und „ein neues Professionsverständnis aller an schulischen Entwicklungsprozessen Beteiligten“.
Mit dem Ganztagsbetrieb verändere sich die Grundschule „grundlegend“. Mehr denn je werde sie zu einem Lern- und Lebensort. Hier fänden nun auch Erzieherinnen und Erzieher ein Betätigungsfeld, in dem neben der Betreuung der Kinder anspruchsvolle Bildungs- und Erziehungsaufgaben erfüllt würden.
Belastungssituationen
Eine Kehrseite sei die „damit verbundene Zunahme von Arbeitsaufgaben, die zu stärkeren Arbeitsbelastungen führt, vorrangig zu höheren psychischen Belastungen“. Diese untersucht der Wissenschaftler im weiteren Verlauf des Kapitels auch mit Hilfe der BEAS-Studie (Belastungen von Erzieherinnen an der Schule), die er in Berliner Ganztagsschulen 2012 bis 2014 durchgeführt hatte und die Anlass des Gesprächs mit www.ganztagsschulen.org war.
„Ein Großteil der Erzieherinnen in der Ganztagsschule beklagt die mangelnde Rhythmisierung“ führt Rudow im zweiten Kapitel aus, in dem er viele der von Erzieherinnen und Erziehern für die Kita konstatierte Belastungen erläutert, die sich durch körperliche Anforderungen wie Stimmeinsatz, ungünstige Körperhaltungen und das Heben und Tragen von Kindern auf die Arbeit in der Ganztagsschule überträgt. Tätigkeitsspezifika in der Ganztagsgrundschule seien der große Umfang unterrichtsbegleitender Tätigkeit bei einer unzureichenden Definition der Arbeitsaufgaben und -anforderungen in Abstimmung mit den Lehrkräften.
Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass die Hauptprobleme in der Ganztagsschule „nicht primär in der Persönlichkeit der Erzieherinnen liegen, sondern in der Arbeitsorganisation“. Häufig sei nicht klar, welche Aufgaben Erzieherinnen und Erzieher übernehmen sollten. Hier zeigt Rudow, wie motivierende Aufgabenstellungen, Teamarbeit, andere Arbeitszeitmodelle und eine andere Gestaltung des Arbeitsplatzes die Belastungen minimieren und die Arbeitsfreude erhöhen können. Dabei widmet er sich auch ganz basalen Faktoren wie Lautstärke, Farbgestaltung, Beleuchtung und Raumklima.
Zeit und Raum
Ein Faktor ist natürlich die Zeit: „Die unterschiedliche Verweildauer der Kinder in der Schule über den ganzen Tag verlangt neue Zeitmodelle. Jede Ganztagsgrundschule muss letztlich eine Zeitstrukturierung finden, die ihrem Konzept von Bildung, Erziehung und Betreuung entspricht und somit den Aufgaben und Rollen von Lehrkräften und Erzieherinnen gerecht wird“, schreibt der Autor. So wie eine Ganztagsschule eine Rhythmisierung von An- und Entspannung für die Schülerinnen und Schüler anstrebe und entsprechend konzipiere, müsse sie dies auch für die Arbeit und das Zusammenwirken von Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern organisieren.
Ein weiteres Thema ist der Raum. Ganztagsschulen seien oft für einen klassischen Schulunterricht gebaut worden, so Rudow. „Heute brauchen Ganztagsschulen mehr Räume für den ganzen Tag. Das gilt für den Innen- und Außenbereich. Ganztagsschulen sollten neben den Unterrichtsräumen Begegnungsbereiche, Spielflächen, Ruhezonen und Lernlandschaften haben. Die Kinder brauchen Winkel und Ecken, in denen Projekte entstehen können, die den Kindern selbstbestimmte Rückzugsmöglichkeiten bieten und die dem Unterricht entzogen bleiben.“ Eine Doppelnutzung von Schulräumen sei häufig noch ein Problem für viele Erzieherinnen. Das pädagogische Fachpersonal benötige Arbeitsplätze in der Schule.
Im letzten Kapitel, das die Ressourcen, die „schönen Seiten“ des Erzieherberufs aufzeigt, kommt Bernd Rudow zu dem Schluss, dass Erzieherinnen und Erzieher „trotz aller Belastungen eine hohe Arbeitszufriedenheit zeigen“, auch in Ganztagsschulen. Im engen Zusammenhang mit der allgemeinen Arbeitszufriedenheit stehen laut Aussagen der Erzieherinnen und Erzieher die „Möglichkeiten, bei der Erziehung und Bildung mitwirken zu können“.
Insgesamt bietet „Beruf Erzieherin / Erzieher“ einen übersichtlichen, gut strukturierten und fundierten Überblick über alle denkbaren arbeits- und organisationspsychologischen Aspekte dieses Berufs.
Bernd Rudow (2017): Beruf Erzieherin / Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Ein Fach- und Lehrbuch. Münster: Waxmann.
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