Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin: Das Lernwerkstätten-Modell : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Schulentwicklung und Vernetzung, aber auch Integration und Inklusion sind die Schwerpunkte in der Arbeit der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin. Die Leiterin Charlotte von Wangenheim berät seit drei Jahren Ganztagsschulen zu Fragen der Teamentwicklung, der Rhythmisierung und der Lernkultur.

Es mag eine Binsenweisheit sein, doch Charlotte von Wangenheim ist als Leiterin der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Berlin, die es seit November 2004 gibt, täglich damit konfrontiert: Die Bedingungen für Ganztagsschule in einem Stadtstaat sind andere als in einem Flächenland. Auch deshalb hat die ausgebildete Sozialpädagogin mit den Serviceagenturen aus Bremen und Hamburg ein kleines informelles Netzwerk von Bildungsverbünden initiiert: "Das macht einfach Sinn, weil die Gegebenheiten und Herausforderungen in diesen drei Stadtstaaten vergleichbar sind und wir uns untereinander dazu austauschen können. Das Thema von Ganztagsschulen in lokalen Bildungslandschaften beschäftigt uns weiter, und das aktuelle Jahresthema Partizipation berührt natürlich den entscheidenden Punkt."



Das Bildungssystem der Hauptstadt kann man nur unter einem systemischen Blickwinkel betrachten: Auf engem Raum hängt alles mit allem zusammen - das Verändern von Koordinaten an einer Stelle hat immer auch an anderen Stellen Auswirkungen. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Entwicklung in Berliner Ganztagsgrundschulen: In diesen Schulen wird zurzeit auch jahrgangsübergreifendes Lernen in der Schulanfangsphase eingeführt. In einer Gruppe lernen Kinder im Alter von fünf bis sieben oder acht Jahren künftig gemeinsam. Das beschäftigt Schulleitungen, Lehrerinnen und Erzieherinnen intensiv und bindet Energien. Und natürlich hat es Auswirkungen auf die Organisation der Schule als Ganztagsschule.



Die Serviceagentur will mit den zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen möglichst breite und systematische Effekte für die Entwicklung guter Ganztagschulpraxis erzielen. Das ist nur durch vernetztes Handeln der Agentur selbst in der Berliner Fortbildungslandschaft und durch eine intensive Vernetzung der Schulen auch untereinander erreichbar.



Ganztagsschule als "Fenster für Schulentwicklung"

Von Anfang an ging es in den Schulen darum, Bedarfe zu ermitteln: Wo stehen wir als Ganztagsschule? Welche anderen Projekte werden in der Schule verfolgt und wie stehen sie zu dem Vorhaben Ganztagsschule? Was ergibt sich daraus für den Fortbildungsbedarf? Welche Unterstützung benötigt die Schule, um sich als Ganztagsschule entwickeln zu können?



In Berlin hatte man sich für die Umwandlung aller Grundschulen in offene Ganztagschulen und die Verlegung der Horte an die Schulen entschieden. Gleichzeitig wurde in sozial schwierigen Stadtgebieten eine begrenzte Anzahl von gebundenen Ganztagsschulen eingerichtet. Mit dieser Entwicklung war unter anderem verbunden, dass sich die Zusammensetzungen in den pädagogischen Teams der Schulen veränderten. Für manche Schulleitungen war es neu, plötzlich ein Erzieherinnenteam an Bord zu haben, und in diesen Teams fanden sich Erzieherinnen mit unterschiedlichen Hintergründen und Berufsbiografien zusammen. Viele Anfragen an die Serviceagentur kreisten daher um das Thema Team- und Konzeptentwicklung. Nach wie vor besteht ein hoher Beratungsbedarf zu Fragen der Rhythmisierung in der gebundenen wie offenen Form der Ganztagsschule und zur Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen.  

Besprechung in der Mediathek der RAA



Wenn die Agenturleiterin eine Grundschule besuchte, dann diskutierte sie mit den Verantwortlichen die Fragen: "Wie stellen wir uns unsere Ganztagsschule vor? Was brauchen wir, um sie zu entwickeln?" Sie selbst habe Ganztagsschule sofort als ein "Fenster für Schulentwicklung und innovative Lehr- und Lernkultur" verstanden, daher sei es auch sinnvoll gewesen, den Transfer aus anderen Verbundprojekten sicher zu stellen und möglichst schnell alle Modellprojekte an einen Tisch zu holen.



Das Thema "Inklusion/Integration" verfolgt die Serviceagenturleiterin als einen Schwerpunkt in der Arbeit: "In einer Stadt wie Berlin muss man sich diesem Thema stellen und Modelle zur Integration und Inklusion weiterverfolgen, entwickeln und verbreiten. Wir tun das, indem wir in Kooperation mit andern Modellprojekten Vorhaben zunächst an Einzelschulen erproben und dann beim Transfer an andere Schulen unterstützen."



Eine Agentur in der Agentur

Die Entscheidung der Berliner Bildungsverwaltung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die Serviceagentur in die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V. einzubetten, bescherte Charlotte von Wangenheim die Einbindung in ein Team, dessen Expertise und Erfahrungen ihr weiterhalfen: Sie arbeitete von Beginn an eng mit den Teams der Verbundprojekte "Lernen für den GanzTag" und "Demokratie lernen und leben" zusammen und nutzte deren bereits gesammeltes Wissen und ihre guten Kontakte. "Ich konnte sofort starten und Ganztagsschulen besuchen", berichtet die Leiterin über die Zeit nach dem Start der Serviceagentur. Die Sozialpädagogin arbeitete gerade in einem Münchener Kinderheim, als sie sich auf das Inserat der RAA bewarb.



Spätestens nach der Auftaktveranstaltung der Serviceagentur am 18. März 2005 klingelte das Telefon im Agenturbüro ständig und stellte die Einzelkämpferin Charlotte von Wangenheim vor ein Dilemma: "Ich hätte gern viel mehr Schulen individuelle Begleitung und Beratung vor Ort angeboten oder vermittelt. Das ist bei der Ausstattung der Serviceagentur aber nicht möglich. Jetzt begleite ich vor Ort nur einige ausgewählte Ganztagsschulen, die ich einerseits als Labore für die Entwicklung beispielhafter Praxis nutze und andererseits als gute Modelle weiter verbreite." Hier ist sie begleitend bei Studientagen und durch Organisation und Begleitung von Exkursionen und Hospitationen präsent. Den Löwenanteil ihrer Agenturarbeit nimmt aber, auch in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, zunehmend die Vernetzungsarbeit ein.  

 

Studienreise des Lernwerkstättennetzwerks zu den Regionalen Didaktischen Zentren im Kanton St. Gallen



Vor Ort gestaltet sich für Charlotte von Wangenheim kein Tag wie der andere: "Ich habe Sprechzeiten im Büro, Auswärtstermine in Schulen, in den Außenstellen der Senatsverwaltung oder treffe mich mit Projektpartnern." Im April wird sie Treffen der Bildungsverbünde und der Multiplikatorinnen aus dem Verbundprojekt "Lernen für den GanzTag" begleiten; im Mai steht ein Fachtag zu Partizipation und dem Transfer nach dem Auslaufen des BLK-Programmes "Demokratie lernen und leben" an, für den Juni sind Fachveranstaltungen zu Rhythmisierung und Teamarbeit in der regionalen Fortbildung angesetzt.



Ganztagsschulen in und als Lerngemeinschaften

Im vergangenen Jahr wurde die Fortbildung in Berlin regionalisiert. In den Bezirken gibt es nun Multiplikatorinnen für das Thema Ganztagsschule. In vielen Fällen sind es die gleichen Personen, die im Rahmen des Verbundprojektes "Lernen für den GanzTag" ausgebildet wurden. Darunter sind viele in Schulen tätige Erzieherinnen. Einige Lehrerinnen und auch ein Schulleiter sind dabei. Angedacht waren, analog zur Situation in den Berliner Schulen, Tandems von Lehrerinnen und Erzieherinnen. Das Verbundprojekt nähert sich seinem Abschluss im Sommer 2008 mit einem Netzwerk von Ganztagsschulmultiplikatorinnen, von denen viele nun auch in der regionalen Fortbildung verankert und eingebunden sind. "Ein tolles Netzwerk!" schwärmt die Agenturleiterin. "Die Multiplikatoren sind sehr kooperativ und unterstützen sich fachlich intensiv."



"Auch über das Netzwerk von Berliner Lernwerkstätten, die in einigen Ganztagsschulen aufgebaut worden sind, bin ich sehr froh", berichtet die Sozialpädagogin, "Dort wird innovative Lernkultur unter anderem durch eine enge Zusammenarbeit von Lehrpersonal und Erzieherinnen praktiziert. Das Thema Lernen wird in allen seinen Aspekten immer wieder heiß diskutiert und die Praxis kontinuierlich weiterentwickelt."



Das Lernwerkstättennetzwerk betreut Charlotte von Wangenheim seit 2005. Hier wird zum Beispiel ein Austausch mit den Regionalen Didaktischen Zentren im Kanton St. Gallen gepflegt, die schon länger Erfahrung mit dem Lernwerkstättenkonzept in der regionalen Fortbildung und einer engen Anbindung an die Lehrerausbildung sammeln.



Neues Thema G8


Seit einem halben Jahr steht ein weiteres Thema im Fokus: G8. Durch die Komprimierung der Lernzeit an Gymnasien auf acht - beziehungsweise in Berlin aufgrund einer üblicherweise sechsjährigen Grundschule sechs - Schuljahre werden Gymnasien de facto zu Ganztagsschulen. Nun rufen viele gymnasiale Schulleitungen die Serviceagentur an, um sich Rat zu holen. Ihr Rat ist auch in der Senatsverwaltung gefragt. Dort hat sich eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gebildet, an der Charlotte von Wangenheim teilnimmt.  

Blick in eine Lernwerkstatt



Neben der Zusammenarbeit mit Bremen und Hamburg besteht eine weitere im buchstäblichen Sinne nahe liegende Kooperation mit der Serviceagentur Brandenburg. Seit die Landesinstitute für Schule und Medien in Berlin und Brandenburg fusionierten, bestehen viele Berührungspunkte: Die Berliner Serviceagentur kann auf einen gemeinsamen Expertenpool zurückgreifen, den Bettina Böttche von der Brandenburger Serviceagentur zusammengestellt hat. Auch gemeinsame Exkursionen haben die Agenturen schon organisiert, so zum Beispiel zur Jenaplanschule in Jena.



"Die länderübergreifende Zusammenarbeit nimmt zu", hat Charlotte von Wangenheim beobachtet. "Das Netzwerk der Serviceagenturen ist lebendig geworden", meint die Sozialpädagogin. "Was für die Kooperation in Schulen gilt, das gilt auch für die Zusammenarbeit der Serviceagenturen: Es brauchte eine Weile, bis wir uns kennen lernten und das Vertrauen da war. Jetzt weiß man von den unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten in den Ländern und daher auch, wen man zu bestimmten Themen fragen kann."

 

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