Selbstbewusstsein durch Tanzen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Die Bürgerstiftung Hamburg hilft sechs Hamburger Ganztagsschulen, ihren Schülerinnen und Schülern mit Unterstützung von Tanzpädagogen und Choreographen Einblicke in eine bis dahin unbekannte Kultur-Welt zu ermöglichen. "Step by Step" möchte aber noch mehr erreichen: Persönlichkeitsbildung und Selbstwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen aus oft problematischem sozialen Umfeld sollen gestärkt werden.
"Dieser Film wird Ihr Leben verändern!" Solch hochtrabende Versprechungen sollte man so skeptisch aufnehmen wie alle Verheißungen der Werbung, Produkte könnten Wohlbefinden garantieren. Aber bei dem deutschen Dokumentarfilm "Rhythm Is It!" von 2004, in dem gezeigt wird, wie die Proben für eine Tanzvorführung mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle 250 Berliner Schülerinnen und Schülern aus 25 Nationen und von so genannten "Problemschulen" Selbstbewusstsein schenken und ihre Persönlichkeit verändern, muss man zugute halten, das er tatsächlich etwas bewirkt hat. In Folge der enthusiastischen Aufnahme dieses Werks sind bundesweit viele Tanzprojekte in Schulen angeschoben worden.
Die Mitglieder der BürgerStiftung Hamburg gehörten zu denen, die "Rhythm Is It!" als Fackel verstanden, mit dem man in der Hansestadt eigene Kooperationen zwischen Schulen und Künstlern entzünden könnte. Die 1999 gegründete Stiftung fördert hauptsächlich Projekte für Kinder und Jugendliche in sozial benachteiligten Vierteln. Im Mai 2006 ermöglichten sie 70 Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Allermöhe zusammen mit Eleven der Ballettschule des Hamburger Balletts nach acht Monaten Probenarbeit eine von John Neumeier choreographierte Ballettcollage von "Romeo und Julia" vor 1.600 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Staatsoper aufzuführen.
Nach dem großen Erfolg dieses Projekts mit Namen "Focus on YOUth" beschloss die Bürgerstiftung, einen Nachfolger ins Leben zu rufen. Diesmal sollte es aber keine einmalige Veranstaltung, sondern ein langfristiges Projekt sein, an dem sich mehr Schulen und damit auch mehr Kinder und Jugendliche beteiligen konnten. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist "Step by Step". Das Projekt startete im März 2007 mit einer Pilotphase an vier Hamburger Ganztagsschulen. Sieben professionelle Tänzer und Tanzpädagogen tanzten mit rund 300 Schülerinnen und Schülern aus zehn 5. und 6. Klassen von Haupt-, Real- und Gesamtschulen.
Mit Tanzen die Schulentwicklung unterstützen
Die BürgerStiftung gewann die Stadtkultur Hamburg e.V. als Kooperationspartner und die Haspa Hamburg Stiftung als Förderer. Die Diplom-Kulturwissenschaftlerin Heike Lüken übernahm die Projektkoordination und vermittelte die Künstler und Pädagogen an die Ganztagsschulen. "Wir wollen mit ,Step by Step' den Schülerinnen und Schülern in Stadtteilen mit Entwicklungsbedarf Türen zum Tanz in seinen verschiedenen Stilen öffnen", erklärt sie zum Hintergrund des Projekts. "Dem Leben der Schüler kann das Tanzen einen wichtigen Impuls für die weitere Entwicklung geben, für ihre Persönlichkeitsbildung und die körperliche Selbstwahrnehmung. Durch die Zusammenarbeit mit professionellen Tänzern entwickeln die Kinder und Jugendlichen ihren künstlerischen Ausdruck, durch das gemeinsame Tanzen ihre Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Letzteres ist ein zugegebenermaßen schwer erreichbares Ziel."
Wie schon bei "Focus on YOUth" steht am Ende eines jeden "Step by Step"-Projekts eine öffentliche Aufführung. Die Pilotphase kulminierte in einer Aufführung am 6. Juni 2007 im Ernst-Deutsch-Theater. Darüber hinaus traten die Klassen in ihren jeweiligen Schulen und Stadtteilen auf. Da die Pilotphase erfolgreich verlief, wurde "Step by Step" mit Hilfe verschiedener Sponsoren bis zum Ende des Schuljahres 2008/2009 verlängert und ausgeweitet: Nun tanzen zwölf Klassen in sechs Hamburger Ganztagsschulen. "Wir möchten mit solch innovativen Bildungskonzepten auch die Schulentwicklung vorantreiben", meint Heike Lüken. An dieser Stelle benötigten Schulen die Hilfe von Professionellen. "Step by Step" wolle diese Hilfe leisten und verstetigen, dabei den Schülerinnen und Schülern Erfolgserlebnisse verschaffen und das Entdecken von Talenten fördern.
In einer Doppelstunde pro Woche, die nach Möglichkeit im Regelunterricht liegen sollte, arbeiten Tanzpädagogen und professionelle Choreographen zusammen mit Fach- und Klassenlehrern im Klassenverband. "Es sollen alle profitieren, nicht nur AG-Schülerinnen und AG-Schüler", begründet Heike Lüken die Entscheidung, im Klassenverband zu tanzen. "Dies trägt auch zum Klassenzusammenhalt bei." Schwierige Phasen könne man innerhalb der Klasse auch besser meistern als in einer Arbeitsgemeinschaft, lehrt der Kulturwissenschaftlerin zufolge die Erfahrung. "Wenn man sich durch solche Phasen kämpft, wird das Projekt um so besser."
Wenn Kinder oder Jugendliche nicht mittanzen möchten, müssen sie stattdessen am Ersatzunterricht teilnehmen - was aber noch nicht vorgekommen ist. Der Tanzunterricht wird durch Werkstattbesuche und Exkursionen ins Theater oder das Ballett ergänzt, was viele nachhaltig beeindruckt, zumal wenn sie nach der Aufführung eines Stücks hinter der Bühne mit den Künstlern sprechen dürfen.
Die Schülerinnen und Schüler nicht unterfordern
Während die Schulen diese Tanzprojekte und die Aufführungen gerne für ihre Öffentlichkeitsarbeit einsetzen, machen die Schülerinnen und Schüler durch das Tanzen wertvolle persönliche Erfahrungen. Sie lernen, über das Tanzen zu reflektieren. Es entwickelt sich eine Kultur der Kritik, in der die Kinder und Jugendliche lernen, differenzierter zu bewerten, anstatt etwas nur "geil" oder "scheiße" zu finden.
Die Klassen besuchen sich auch gegenseitig, um sich das Eingeübte zu zeigen. Für die Kulturwissenschaftlerin ist in diesem Prozess "vieles nicht fassbar, sondern spielt sich quasi nebenbei ab". Dabei dürfe man die Kinder und Jugendlichen nicht unterfordern - "das wäre diskriminierend". An dieser Stelle spiegelt sich eine aus "Rhythm Is It!" bekannte Erfahrung: Die Angst einiger Lehrerinnen und Lehrer, die Tanzpädagogen und Choreographen würden die Schülerinnen und Schüler überfordern.
Projektleiterin Heike Lüken
Projekte dieser Art gelingen jedoch nur, wenn Lehrer und Tanzpädagogen miteinander kooperieren. Hierzu ist eine zeitintensive Vorbereitung nötig. Auch deshalb bietet die BürgerStiftung projektbegleitende Fortbildungen an, in denen sich einerseits Lehrerinnen und Lehrer tänzerisch fortbilden können, andererseits die Tanzpädagogen Einblick in die schulische Rahmenplanung und schulspezifische Maßgaben erhalten.
In der PricewaterhouseCoopers-Studie "Hoch hinaus" werden weitere fünf Bedingungen für das Gelingen solcher Projekte aufgeführt: Die künstlerische Kreativität muss gefördert werden. Der regelmäßige Austausch aller Beteiligten muss sichergestellt sein. Die künstlerische Arbeit muss präsentiert werden können. Pädagogische Kompetenzen müssen eingebracht werden, weshalb bei "Step by Step" eben neben den Künstlern auch stets die Lehrerinnen und Lehrer anwesend sind. Und schließlich ist das besondere Engagement aller Projektverantwortlichen gefragt. "Die Lehrer müssen zu Mehrarbeit bereit sein", stellt Heike Lüken klar.
Noten und Kontrolle?
Um kulturelle Projekte durchzuführen, sind Schulen auf Sponsoren angewiesen. Auch "Step by Step" finanziert sich aus einem Potpourri von Sponsoren. Wer Sponsoren sucht, sollte ein Profil und eine Corporate Identity - zum Beispiel ein Logo - entwickeln, um eine für Presse und Öffentlichkeit wiedererkennbare Marke zu generieren. Man sollte an möglichst vielen Wettbewerben teilnehmen und Stadtteilfeste und ähnliche Veranstaltungen für öffentliche Auftritte nutzen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das Projekt sollte gut dokumentiert werden, auch gute Photos sind wichtig. "Scheuen Sie auch nicht vor dem Mittelstand zurück", rät die Projektkoordinatorin in Sachen Sponsorensuche. Lehrer allein seien mit der Akquise überfordert, hier sollten Schulleitung und Eltern unterstützen.
Schulen bleiben trotz der Impulse von außen Schulen, sodass auch ein Projekt wie "Step by Step" nicht um das Thema der Benotung herumkommt. Die Projektverantwortlichen wünschen sich Rückmeldungen und keine Noten. Die Ganztagsschulen hat man daher gebeten, Stunden aus dem Kontingent des so genannten Koordinierungsunterrichtes zu nehmen, damit nicht benotet werden muss. Wenn aber Noten sein müssen, dann sollen sie sich an einem festgelegten Kompetenzraster orientieren.
Auch Kontrolle bleibt ein Thema. Die BürgerStiftung schließt mit den Tanzpädagogen und Choreographen und Schulen beziehungsweise Lehrern Verträge ab, in denen die gemeinsamen Ziele und Aufgabenbereiche definiert werden, was Heike Lüken zufolge "extrem wichtig" ist. Die außerschulischen Partner führen dann ein Projekttagebuch, in dem sie die Stunden dokumentieren. Ein Treffen mit den Projektverantwortlichen findet nur mindestens alle drei Monate statt, und nach einem halben Jahr zieht man gemeinsam ein Resümee. Eine große Diskussion dreht sich stets um das Thema "Regelmäßigkeit oder Projektarbeit". Manche Künstler wollen können sich aufgrund von Engagements und anderen Projekten nicht über ein ganzes Jahr lang binden und lassen sich nicht auf die Konzeption zweier Wochenstunden über ein Schuljahr ein.
HipHop und klassische Musik
In der Wahl, was sie inhaltlich gestalten wollen, sind die Tanzpädagogen und Choreographen aber frei - da darf es durchaus auch der von den Jugendlichen häufig geforderte HipHop sein. Es gibt nur eine Bedingung seitens der BürgerStiftung: Alle Schülerinnen und Schüler sollen etwas über Tanz allgemein erfahren und nicht zu Spezialisten eines bestimmten Tanzstils werden. "Das vorzuenthalten", findet Heike Lüken, "wäre eine weitere Diskriminierung."
Welches breite Spektrum sich durch die uneingeschränkte inhaltliche Wahlfreiheit eröffnet, zeigen Beispiele aus den Schulen: Die Klassen 6a und 5b an der Integrierten Ganztagsschule Hermannstal erarbeiteten mit einer Ballettpädagogin Sequenzen aus "A Cinderella Story". In der Gesamtschule Allermöhe lehrte eine Balletttänzerin, wie man mit Requisiten wie Stühlen und Tischen tanzt. Die vier fünften Klassen der Gesamtschule Kirchdorf kooperierten mit vier Tanzpädagoginnen und -pädagogen. Hier ging es um Körperwahrnehmung und Bewegungsausdruck, um die Bewegungen und Techniken verschiedener Tanzstile, den Umgang mit Raum, Bewegungschoreographien oder Tanzimprovisation. Zum Thema "Verbindungen" arbeitete ein Tanzpädagoge mit der Klasse 5b der Gesamtschule Mümmelmannsberg: Aus den eigenen Ideen und Bewegungen der Kinder entstand eine Choreographie. In der integrativen Klasse 6a ging es um das Thema "gegeneinander - miteinander", das aus vorgegebenen Choreographien und Improvisationen ertanzt wurde.
Wie bei so vielen Kulturprojekten sei die Crux, dass man eigentlich mehr Zeit benötige. "Wir arbeiten mit Ganztagsschulen zusammen, weil die zeitlich flexibler sind", erläutert die Kulturwissenschaftlerin. "Wir würden so etwas wie 'Step by Step' aber natürlich auch gerne noch anderen Schulen anbieten, wenn das finanziell machbar wäre. Ich kann allen Schulen nur empfehlen, sich hier etwas zuzutrauen. Der Zugewinn ist enorm."
Kategorien: Service
Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion erlaubt. Wir bitten um folgende Zitierweise: Autor/in: Artikelüberschrift. Datum. In: https://www.ganztagsschulen.org/xxx. Datum des Zugriffs: 00.00.0000