Realschule Ganderkesee: Jeder kann, keiner muss : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Der "Gesprächskreis Ganztagsschule" machte am 18. Juni 2007 in der Realschule Ganderkesee nahe Oldenburg Station. Rund 30 Vertreterinnen und Vertreter von Ganztagsschulen aus der Region diskutierten über Stolpersteine und Lösungen der Ganztagsgestaltung, bekamen Einblicke in den Schulalltag und informierten sich über das Programm "Schulen auf Esskurs" der Verbraucherberatung Niedersachsen.
"Um es ganz klar zu sagen: Das Mittagessen wird uns noch die nächsten 50 Jahre beschäftigen - und zwar jeden Tag", erklärt Steffen Akkermann, Rektor der Realschule Wildeshausen am 18. Juni 2007 im Gesprächskreis Ganztagsschule, der diesmal in der Realschule Ganderkesee stattfindet. Über dieses Thema könnte die Runde aus rund 30 Schulleiterinnen und Schulleitern aus der Region um Oldenburg stundenlang diskutieren. Die Organisation, die Akzeptanz und das Nachhalten der Bezahlung des Mittagessens in der Ganztagsschule ist ein oftmals zeit- und nervenraubender Akt. An jeder Ganztagsschule mag die Problematik dabei ein wenig anders liegen, hier kann es besser laufen als dort - manche Schwierigkeiten ähneln sich aber auch, und damit werden auch Lösungen übertragbar.
Der Gesprächskreis Ganztagsschule ist vor drei Jahren von Stefan Hühne, Lehrer und Leiter des Ganztagsschulzweiges an der Realschule Ganderkesee, gegründet worden. Hühne ist auch in der Arbeitsstelle Schulreform an der Universität Oldenburg tätig und unterstützt von dort aus Schulen in ihrer Entwicklung. Sechs Mal im Jahr treffen sich nun Vertreterinnen und Vertreter von 25 bis 30 Schulen, wobei jedes Treffen in einer anderen Ganztagsschule stattfindet und ein eigenes Schwerpunktthema hat. Beim Treffen in Ganderkesee stand die gesunde Ernährung in der Ganztagsschule im Vordergrund, beim nächsten Treffen wird es beispielsweise um die rechtlichen Voraussetzungen für die Ganztagsschule gehen. Für jedes Thema ist jeweils ein Experte geladen, der Rest der Veranstaltungen besteht im Besichtigen der Schulen und im gegenseitigen Austausch. Laut Hühne ist die Attraktivität des Gesprächskreises "ungebrochen" und damit ein Ende dieser Veranstaltungen nicht abzusehen.
Schulformübergreifende Arbeitsgemeinschaften
Das Treffen in Ganderkesee zeugte von den Qualitäten der Gesprächsreihe: Schon während der Vorstellung des Schulprogramms durch Stefan Hühne kamen viele Nachfragen und kurze Diskussionen auf. So gab der Leiter des Ganztagsschulzweigs auf die Frage, ob denn die veranschlagten 25 Minuten für das Mittagessen an der Realschule Ganderkesee wirklich ausreichten, unumwunden zu: "Wir haben feststellen müssen, dass sie nicht ausreichen. Das ist eine unserer Baustellen."
Es mag nicht die einzige in der Realschule sein, insgesamt ist man aber schon recht weit, nachdem man "in den letzten zwei Jahren viel Arbeit investiert hat", wie Schulleiter Joachim Hüneberg meinte. Besonders stolz sei man auf die Mensa, die man durchgesetzt habe. Für 1,7 Millionen Euro ist im vergangenen Jahr mit Mitteln aus dem Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) eine Art gläserner Kuppelsaal mit Essensausgabe entstanden, der auch für andere Veranstaltungen oder Abiturprüfungen genutzt wird. Diese 400 Quadratmeter große Mensa nutzen nicht nur die Realschüler, sondern auch die benachbarte Förderschule, Hauptschule und Gymnasium.
Die Mensa ist nicht der einzige Berührungspunkt der vier Schulformen, die auch durch den Neubau des Schulhofes - zuvor waren die Schulen durch eine Straße getrennt - näher zusammen gerückt sind. Da alle vier Schulen ganztägig organisiert sind, können auch gemeinsame Arbeitsgemeinschaften organisiert werden. An zwei Wochentagen mischen sich die Schülerinnen und Schüler aus den vier Schulen in den Arbeitsgemeinschaften. Im kommenden Schuljahr werden 32 solcher Angebote gemacht. Diese schulformübergreifende Maßnahme funktioniert, und nicht nur Schulleiter Hüneberg empfindet sie als "sehr bereichernd". Alle Schulen bestimmen bei diesen Angeboten mit. Jede Schule hat ihren Ganztagsschulbeauftragten; das Quartett trifft sich zweimal im Jahr zur Koordinierung der Angebote.
"Fit in."-Kurse der Renner
Das Motto in der Realschule Ganderkesee lautet: "Jeder kann, keiner muss." Die Schülerinnen und Schüler können das Angebot an bis zu vier Tagen wahrnehmen. Der Vormittagsunterricht dauert von 7.45 bis 13.05 Uhr. Nach dem 25 Minuten langen Block Mittagessen oder Freizeit folgen zwei beziehungsweise drei Stunden bis 15.45 Uhr, in denen eine Hausaufgabenbetreuung durch Lehrerinnen und Lehrer oder Arbeitsgemeinschaften stattfinden. Die Schülerinnen und Schüler legen sich für ein halbes Jahr mit einem Wahlzettel verbindlich fest. Mit den Angeboten möchte man laut Stefan Hühne dreierlei erreichen: "Die Schülerinnen und Schüler gestalten ihre Freizeit aktiv, erwerben Fähigkeiten und engagieren sich sozial."
Der Zuspruch spricht für das Ganztagsangebot: Von 485 Kindern und Jugendlichen nehmen es mit derzeit 277 deutlich über die Hälfte wahr. "Besonders freut uns, dass wir diese Zahlen halten konnten und die Tendenz steigend ist", erklärt Hühne. Zu Beginn habe man bei den AGs besonders auf Spiel und Sport gesetzt: "Wir dachten, die Schülerinnen und Schüler würden uns die Türen einrennen", so Hühne. Doch zur Überraschung aller liefen die so genannten "Fit in."-Kurse viel besser. Hier werden mit maximal 20 Schülerinnen und Schülern die wichtigsten Themenbereiche aus einem Fachunterricht des jeweils vorangegangenen Jahrgangs wiederholt, geübt und gefestigt. Zudem können die Schülerinnen und Schüler hier gezielt Fragen zum aktuellen Unterricht stellen. Besonders Eltern schätzen die "Fit in."-Kurse als "kostenlosen Nachhilfeunterricht", wie der Ganztagskoordinator berichtet. Der Bedarf ist inzwischen so groß, dass die anfangs jahrgangsgemischten Kurse im kommenden Schuljahr zu Jahrgangskursen aufgespalten werden.
Die "Fit in."-Kurse sind nur durch das Mitwirken von rund 30 Schülerinnen und Schülern aus den Klassen 9 und 10 möglich, die fachlich geschult werden und von zwei Lehrerinnen und Lehrern sowie dem so genannten "Chef vom Dienst", der am Nachmittag als Ansprechpartner zur Verfügung steht, bei ihrer Kursleitung begleitet werden. "Die Kolleginnen und Kollegen protokollieren, wie sich die älteren Schülerinnen und Schüler um die Jugendlichen der 7. und 8. Klassen gekümmert haben", beschreibt Schulleiter Hüneberg das System. "Die Betreuerinnen und Betreuer können durch ihre Mitarbeit ihre Kopfnote verbessern. Viele der Betreuungschülerinnen und -schüler probieren sich hier schon für pädagogische Berufe aus. Unzuverlässige Schülerinnen und Schüler mahnen wir ab, im Wiederholungsfall sind sie raus."
Über Honorare verständigt
Am Schulzentrum besteht das AG-Angebot unter anderem aus Spanisch, Tanzen, Fitness, Boxen, Töpfern, Malen, Arbeit am PC, Kochen, Schach und Ballsportarten. "Es ist gut, dass wir uns am Schulzentrum verständigt haben, welche Honorare wir außerschulischen Kräften zahlen", erklärte Stefan Hühne. Neben Honorarkräften, Lehrern, Vereinen und Verbänden bieten auch Schülerinnen und Schüler Arbeitsgemeinschaften an, was der Ganztagsschulkoordinator den anderen Schulleiterinnen und Schulleitern ebenfalls sehr empfehlen konnte. Auch die während der Hausaufgabenbetreuung geöffnete Bücherei wird durch Schülerinnen und Schüler betreut.
In den ersten 14 Tagen des Halbjahrs besteht für die Kinder und Jugendlichen noch die Möglichkeit nach Rücksprache mit den Ganztagsschulleitern oder der Ganztagsschulbetreuerin, die durch alle schulübergreifenden Kurse geht, die AG zu wechseln. Um dem Problem abnehmender Anwesenheit in den Arbeitsgemeinschaften zu begegnen, wählen die Schulen unterschiedliche Wege, wie in der Diskussion im Gesprächskreis deutlich wurde. Während das Schulzentrum Ganderkesee durch die Ansprache der einzelnen Schülerinnen und Schüler das Problem im Griff hat, wird in der Realschule Wildeshausen das Fehlen im Zeugnis vermerkt. Am Gymnasium an der Wilhelmstraße in Delmenhorst wird ein Kurs bei einer Fehlzeit von mehr als 30 Prozent nicht testiert.
Im Freizeitbereich gibt es für die Realschule laut Stefan Hühne noch viel zu tun: Die Außen- und Innengestaltung der gerade neu entstandenen Freizeiträume läuft derzeit, ein Spielecontainer soll errichtet werden, und es müssen noch Anschaffungen für die Freizeiträume getätigt werden.
26 Dönerbuden konkurrieren mit der Schulmensa um die Gunst der Schülerschaft
Sehr unzufrieden ist die Schule mit der Teilnahme am Mittagessen, das von einem örtlichen Caterer angeliefert wird und zusammen mit einem Salat und Dessert in der Preislage von 1,50 bis 3,00 Euro liegt. Die Schülerinnen und Schüler können zwischen fünf Essen auswählen. Aber weniger als die Hälfte der Ganztagsschülerinnen und -schüler nimmt am Essen teil, im Schnitt werden nur 110 Essen von allen vier Schulen täglich in Anspruch genommen, dabei überwiegend durch Förderschüler.
Günter Alfs, Schulleiter des Gymnasiums an der Wilhelmstraße, sieht in der Essensituation an seiner Schule ebenfalls eine "Dauerbaustelle". Allein 26 Imbissbuden im Umkreis wetteiferten um die Gunst seiner Schülerschar. An einer Haupt- und Realschule hat man gute Erfahrungen gemacht, das Mittagessen auch für Nichtganztagsschüler freizugeben. Ein Schulleiter in der Runde riet, alle Jahre den Caterer zu wechseln, was für manche Schulen, die von der Küchenausstattung auf eine Art des Anlieferns und Aufwärmens festgelegt sind, wiederum schwierig ist.
Renate Beckmann von der Verbraucherzentrale Niedersachsen, die das Unterstützungssystem "Schule auf Esskurs" vorstellte, riet den Schulen, von der Art der Ausstattung die Möglichkeit, Speisen selbst zu kochen oder ergänzend zuzubereiten, nicht von vornherein auszuschließen. Dirk Richter, Schulleiter an der Hauptschule Eschhofschule Lemwerder, fasste die Diskussion zusammen: "Wir bekommen eine größere Akzeptanz des Mittagessens nur über die Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler, der Kolleginnen und Kollegen und der Eltern. Man muss auch die soziale Komponente berücksichtigen: Beim Essen geht es auch um Reden, Quatschen, Platz, Zeit und Gemütlichkeit."
Für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler einen eigenen Stundenplan aufstellen, die Förderung und Hausaufgabenbetreuung organisieren, zum Mittagessen und zur Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften ermuntern, Honorarkräfte engagieren, außerschulische Partner einbinden, die Mitarbeit von Schülerinnen und Schülern organisieren und begleiten - der Gesprächskreis zeigte eine Palette von Möglichkeiten, die Ganztagsschulen bieten, aber auch die Aufgaben, die damit verbunden sind. "Das läuft nur mit einem über das Bezahlte hinausgehenden Engagement der Kolleginnen und Kollegen", resümierte Joachim Hüneberg. "Die Chefs vom Dienst leisten zum Beispiel unbezahlte Mehrarbeit. Aber wir verstehen die Ganztagsschule als Service für Schüler und Eltern, daher machen wir es auch gerne." Der Zuspruch, den die Schule erfährt, zeigt, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Kategorien: Service
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