Ganztag in der Globalisierung: Die Deutschen Auslandsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Das erste Symposium des Weltverbandes Deutscher Auslandsschulen, das am 27. Mai 2011 in der Berliner Akademie der Künste stattfand, versammelte 90 Vertreter der gemeinnützigen Schulträgervereine der Deutschen Auslandsschulen, die rund um den Globus arbeiten - die meisten als Ganztagsschule. Deutsche Auslandsschulen behaupten sich im internationalen Wettbewerb und in unterschiedlichen nationalen Bildungssystemen.
Ein dichtes und weit verzweigtes Netz Deutscher Auslandsschulen überzieht den Globus: Beinahe jedes größere Land der Erde besitzt eine oder mehrere deutsche Schulen. So verteilen sich rund 140 Auslandsschulen auf insgesamt 70 Staaten der Erde und unterrichten 81.000 Schülerinnen und Schüler, davon 60.000 nichtdeutscher Herkunft. Neben der Wahrung des Begegnungscharakters, ist die Aufnahme der Kinder deutscher Experten, die im Ausland tätig sind, eine der Kernaufgabe der Deutschen Auslandsschulen. Darüber hinaus nehmen viele Auslandsschulen jedoch auch einheimische Kinder und Jugendliche auf. "Die Wenigsten wissen, was die deutschen Steuerzahler im Ausland bewirken", so die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, zur Eröffnung des ersten Symposiums des Weltverbandes Deutscher Auslandsschulen am 27. Mai 2011 in der Berliner Akademie der Künste. Tatsächlich verfügen die Deutschen Auslandsschulen über ein großes Potenzial: an internationaler Erfahrung, kulturpolitischer Bedeutung und pädagogischer Kompetenz, das unter dem Vorzeichen der Globalisierung auf die Entwicklung in Deutschland ausstrahlt, aber auch Entwicklungen aufnimmt.
Immer mehr Deutsche Auslandsschulen sind bereits Ganztagsschulen oder wollen es werden. Mit Interesse und Engagement hat der Weltverband Deutscher Auslandsschulen (WDA), als Vertreter der privaten, gemeinnützigen Schulträger, die Ganztagsschulentwicklung in Deutschland verfolgt: 2005 und 2007 erhielten die Auslandsschulen die vom BMBF geförderten Filme "Treibhäuser der Zukunft" und "Zeit für mehr", die Beispiele guter Ganztagsschulen und auch den Weg dorthin zeigen. Die Auslandsschulen bestätigen einen internationalen Trend, mit verstärkten Ganztagsangeboten der Herausforderung einer zunehmend heterogener werdenden Schulgemeinschaft zu begegnen. Die meisten Deutschen Auslandsschulen mit einer gymnasialen Oberstufe haben bereits seit längerem erfolgreich auf G 8 umgestellt - was auch darauf zurückzuführen sein dürfte dass viele nach Lehrplänen des Landes Thüringen arbeiten. An vielen Standorten wird inzwischen die Deutsche Internationale Abiturprüfung (DIAP) vergeben, die insbesondere Fremdsprachen integriert. Die Kultusministerkonferenz strebt diesen Abschluss als künftigen Standard an Auslandsschulen an. Ab dem Schuljahr 2012/2013 soll es erstmals ein Zentralabitur geben.
Blick von der Berliner Akademie der Künste auf das Brandenburger Tor. Rechts: Joachim Lauer, Leiter der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA)
Die Arbeit der Deutschen Auslandsschulen wird gemeinsam von der Kultusministerkonferenz und dem Bund (Auswärtiges Amt und Zentralstelle für das Auslandsschulwesen) gesteuert. Im 1992 gegründeten Bund-Länder-Ausschuss für die schulische Arbeit im Ausland wirken Vertreter des Bundes und der Länder zusammen und treffen wesentliche Entscheidungen gemeinsam. Dabei sind die Länder für die Qualität des Unterrichts, die Vergabe von der Schulabschlüsse und die Beurlaubung der Lehrkräfte zuständig, während der Bund die finanzielle Förderung gewährleistet. Eine Besonderheit ist, dass sich die Deutschen Schulen in privater Trägerschaft befinden: Schulträger sind Schulvereine oder Stiftungen. Mit den Schulgeldern werden drei Viertel der Lehrkräfte direkt von den Schulträgern bezahlt und im Durchschnitt 90 Prozent der Schulhaushalte gedeckt. Damit erreichen die Schulträger einen hohen Autonomiegrad. "Flexibilisierung heißt, mit Knappheit fertig werden", meinte Joachim Lauer, Leiter der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA).
Eltern als Motor der Ganztagsschulentwicklung
Eltern sind an den Deutschen Auslandsschulen eine treibende und innovative Kraft: "Die Eltern als Basis der Schulträgervereine sind der Motor der Ganztagsschulentwicklung", meinte Thilo Klingebiel, Geschäftsleiter und Organisator des Symposiums. Der WDA, der 2003 gegründet wurde, hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die Profile der 140 Deutschen Auslandsschulen hierzulande bekannter zu machen. Darüber hinaus vertritt er gegenüber Politik, Wirtschaft und Behörden die Interessen der Auslandsschulen und ihrer Schulträger und setzt sich dafür ein, deren Qualität nachhaltig zu sichern. Schirmherr des WDA ist Bundespräsident Christian Wulff. Zu den zentralen Aufgaben desWDA gehört es, deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, Planungssicherheit im Finanz- und Personalbereich herzustellen, die interkulturelle Kompetenz zu fördern sowie den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedsschulen zu intensivieren.
Das Symposium des WDA gab 130 Teilnehmern insgesamt die Gelegenheit, sich über die Herausforderungen der Deutschen Auslandsschulen auszutauschten. Die Deutschen Auslandsschulen sind in vielerlei Hinsicht beachtenswert. So beherbergen sie unter ihrem Dach oft das gesamte Spektrum der Bildung und Erziehung, angefangen von der Kindertagesstätte über die Grundschule bis zur Sekundarstufe. Für viele Schülerinnen und Schüler bedeutet dies, dass sie mitunter vom Sandkasten bis zur Hochschulreife eine gemeinsame Sozialisierung durchlaufen, was oft dazu führt, dass deutsche und ausländische Mitschüler ein vitales und lebenslanges Netzwerk unterhalten: "Die Kinder lernen, kulturelle Grenze zu überschreiten, was auch deutschen Unternehmen im Ausland zugute kommt", meinte ein Vorstand eines Schulträgervereins.
Alfried Plöger, Präsident der Schulstiftung und Schulleiter der Deutschen Schule "Colegio de Visconde de Porto Seguro" in Sao Paulo. Rechts: zufriedene Teilnehmer des Symposiums
Ganztägige Bildung als Kultur- und Sozialpolitik
Zahlreiche ehemalige Schülerinnen und Schüler besetzen in den verschiedenen Gastländern bereits hohe Positionen in Politik, Wirtschaft und Verbänden. Mit dem Aufbau solcher internationalen Kontakte erfüllen die Deutschen Auslandsschulen eine bedeutende kulturpolitische Aufgabe. Aber auch ganz andere Formen der kulturpolitischen Zusammenarbeit finden sich: Die Deutsche Schule "Colegio Visconde de Porto Seguro "in Sao Paulo etwa ist mit 12.800 Schülerinnen und Schülern nicht nur die größte deutsche Auslandsschule, hier erhalten auch rund 2.000 Schülerinnen und Schüler aus den Favelas die Chance auf eine hervorragende Schulausbildung: "Das sind echte Investitionen", betonte der Präsident der Schulstiftung Alfried Plöger ."Voraussetzung für die Aufnahme an der Schule ist, dass die Familie nicht mehr als ein Mindestgehalt bezieht und dass die Kinder eine schriftliche Prüfung bestehen. Wir stellen die Lehrkräfte, die Unterkunft, Essen und Schulmaterial", berichtet Plöger. Der Schulbetrieb werde in zwei Schichten, jeweils vor- und nachmittags absolviert.
Deutsche Auslandsschulen unterrichten nach innerdeutschen Lehrplänen. Es gibt die Möglichkeit, die Schule nach vier, acht oder zwölf Jahren abzuschließen. Jeder Abschluss an der Deutschen Schule, ob nun mit der Grundschule, Mittleren Reife oder dem Abitur macht sich in Brasilien bezahlt: Kindern, denen ein Leben am untersten Rand der Gesellschaft vorgezeichnet schien, arbeiten heute in akademischen Berufen, manche engagieren sich als Sozialarbeiter und Erzieher in ihren ehemaligen Wohnvierteln. Im Jahr 2010 habe man lediglich ein Kind nach dem Absolvieren seiner Schullaufbahn nicht unterbringen können.
Bei allen Erfolgen seiner Schule machte Plöger während des Symposiums auf ein akutes Problem aufmerksam, dass viele seiner Kollegen an den Deutschen Auslandsschulen kennen: die Versorgung der Schulen mit Lehrkräften aus Deutschland. Das Angebot sei knapp, und immer häufiger würden seine Lehrkräfte, von einheimischen Schulen abgeworben. Staatssekretärin Cornelia Pieper regte vor diesem Hintergrund an, mehr Referendaren den Weg an die Auslandsschulen zu ebnen. Prof. Wassilios E. Fthenakis, Präsident des Didacta-Verbandes e.V., der eine "Vorreiterrolle" der Auslandsschulen auch für Schulen im Inland sah, betonte in seinem Beitrag die Dringlichkeit einer Professionalisierung der Lehrerausbildung. Er habe viele Auslandslehrkräfte fortgebildet und die Erfahrung gemacht, dass es wichtig sei, die besten Bildungspläne für alle Kinder zu entwickeln und zu implementieren. Mit der Einführung des Ganztags eröffneten sich neue Chancen für die Qualitätsentwicklung der Auslandsschulen. "Die Lehrerinnen und Lehrer sollten bereit sein, dabei neue Wege zu gehen", empfahl der Wissenschaftler.
Prof. Wassilios E. Fthenakis, Präsident des Didacta-Verbandes e.V. Rechts: Blick auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion
Qualitätsmerkmal Ganztag
In den letzten Jahren haben viele Auslandsschulen auf dem Weg zur Ganztagsschule erhebliche Fortschritte gemacht. Die Pestalozzi-Schule in Buenos Aires ist eine Ganztagsschule, die mittlerweile von fast 1.000 Schülern besucht wird. Die Deutsche Schule Schanghai mit ca. 1.100 Schülerinnen und Schülern - bei einem wachsenden Zustrom deutscher Staatsbürger in die Metropole Schanghai - hat ein breites Angebot in den Bereichen Sport, Theater, Kunst und Handwerk, Tanz und Musik. Mittagessen, Unterricht am Nachmittag, Hausaufgabenbetreuung, Freies Spiel, Arbeitsgemeinschaften und Förderunterricht kennzeichnen den Offenen Ganztag in der Deutschen Schule London.
Dabei fördert das Nachmittagsangebot verstärkt die Begegnungsmöglichkeiten mit dem Gastland, in Arbeitsgemeinschaften für Sport, Kunst, Theater und Musik, bei der Aufführung von Stücken, Konzerten und Vorspielabenden. Viele Ganztagsschulen sind in den letzten Jahren entstanden, etwa in der Deutschen Schule Barcelona mit 1.232 Schülern, die seit 2006 den Ganztagsbetrieb als Bestandteil ihrer Qualitätsentwicklung entwickelte. "Da in immer mehr Familien beide Eltern arbeiten und spanische Schulen ohnehin Ganztagsschulen sind, wird damit im Hinblick auf die Klientel des Gastlandes ein entscheidender Qualitätsgewinn erwartet", begründet die Schule ihren Schritt. In der Deutschen Schule Kuala Lumpur wurde im Schuljahr 2008/2009 der Ganztagsbetrieb eingeführt, nachdem eine Umfrage unter den Eltern den Bedarf deutlich gemacht hatte.
Qualitätssicherung ist ein Muss
Aus Mitteln der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen konnten ein Spielplatz mit Minisportfeld sowie eine neue Kantine, die von Schülern, Lehrern und Eltern genutzt wird, ausgebaut werden. Die Umsetzung ging, so die Schule auf ihrer Homepage, "mit viel Kopfzerbrechen und einen wesentlich komplizierteren Stundenplan einher. Dennoch dominierten die Vorteile aus pädagogischer Sicht, etwa die Hausaufgabenerledigung in der Schule, das gemeinsame Lernen, der Förderunterricht - besonders in Deutsch - , die Begabtenförderung, aber auch das Sportangebot und der Instrumentalunterricht sowie die von Eltern angebotenen Arbeitsgemeinschaften. "Im Ergebnis ist der Schultag für die meisten Schüler entspannter und bietet mehr Anregung als bisher. Die Umstellung zur Ganztagsschule hat sich gelohnt", resümiert Schulleiter Dr. Wolfgang Munzinger.
Klaus-Dieter Klein, Vorstand des WDA und Vorsitzender des Vereins für deutschen Schulunterricht der Deutschen Schule Genf. Rechts: einladendes Interieur der Berliner Akademie der Künste
Qualitätssicherung ist in Deutschen Auslandsschulen inzwischen ein Muss. Dafür wurde ein Qualitätsrahmen mit 72 Qualitätskriterien entwickelt, der für alle Auslandsschulen weltweit verbindliche Standards festlegt und der systematisch überprüft wird. Ein Vergleich der Deutschen Auslandsschulen untereinander soll damit ebenso möglich sein wie der mit einheimischen und internationalen Spitzenschulen. Seit 2008 werden die Schulen durch eine Bund-Länder-Inspektion systematisch auf ihre Qualität untersucht. Nach erfolgreicher Inspektion können die Schulen das Gütesiegel "Exzellente Deutsche Auslandsschule" erhalten.
Kürzlich durfte der Schulleiter der Deutschen Schule Stockholm, Dr. Gerhard Eikenbusch, das von Bundespräsident Christian Wulff unterzeichnete Gütesiegel entgegennehmen. Eikenbusch hatte sich zuvor in Nordrhein-Westfalen längst einen Namen bei der Qualitätsentwicklung von Schulen und der Lehrerfortbildung gemacht, etwa mit dem "Praxishandbuch Schulentwicklung" (1998) oder mit dem "Praxishandbuch Evaluation in der Schule" (2000), das er zusammen mit dem Erziehungswissenschaftler Christoph Burkard verfasst hat. Das ist eines der vielen Beispiele dafür, wie sich die Entwicklung von deutschen Schulen im In- und Ausland wechselseitig bestärken.
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