Förderung ist das beste Argument für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
Auf ihrer Tagung "Miteinander Ganztagsschule gestalten - Rückblick und Ausblick auf die Angebote der Serviceagentur ,Ganztägig lernen'", die am 12. Juni 2007 im Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung (IFB) in Speyer veranstaltet wurde, zog die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Rheinland-Pfalz eine erste Zwischenbilanz ihrer pädagogischen Angebote.
Zum Ende der durchchoreographierten Fachtagung kann Jürgen Tramm, Leiter der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Rheinland-Pfalz, zufrieden sein. Von den 25 Ganztagsschulen, die bisher die Beratungs-, Fortbildungs- und Vernetzungsangebote der Serviceagentur wahrgenommen haben, fanden sich am 12. Juni 2007 im Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung (IFB) in Speyer 18 Schulen ein. 60 Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Eltern und verschiedene außerschulische Partner tauschten sich über die bisherigen Serviceangebote, aber auch über Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten aus.
Die regionale Serviceagentur "Ganztägig lernen" unterstützt seit September 2004 in enger Kooperation mit dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur (MBWJK) und dem IFB in Speyer den Aufbau der Ganztagsschulen. In Rheinland-Pfalz besteht die Herausforderung für viele Ganztagsschulen in Angebotsform auch darin, dass Halbtags- und Ganztagsangebote miteinander zu verzahnen. Die Serviceagentur unterstützt die Schulen dabei, sich diesen Herausforderungen stellen.
Jürgen Tramm (r.) im Gespräch mit Sonja Student. Rechts: Sappho Beck (l.) und Josef Blank unterstützen die Serviceagentur bei der Organisation der Tagung.
Die Schwerpunktthemen der Tagung lauteten: "Beteiligung von Eltern und Schülern", "Ganztag und Halbtag - Zwei Schulen in einer?", "Ganztagsangebote und Rhythmisierung" sowie "Schulentwicklung - Mit Schülern, Eltern und Partnern zur besseren Ganztagsschule". Eine der wichtigsten Aufgaben der Serviceagentur besteht darin, den Erfahrungsaustausch zwischen Ganztagsschulen zu initiieren.
Stufen des Gelingens
"Alle am Ausbau Beteiligten sollen Ganztagsschule mitgestalten", so Thomas Schnetzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Universität Dortmund im Rahmen seines Eröffnungsvortrages. Das Bewusstsein dafür, dass Ganztagsschulen ein Lebens- und Erfahrungsraum für diese und die nächsten Generationen sind, sei durch das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) sowie durch das Begleitprogramm "Ideen für mehr. Ganztägig lernen!" deutlich gestiegen.
Woran erkennt man, ob die Ganztagsschulen und ihre außerschulischen Partner gemeinsam die Schulentwicklung gestalten? Thomas Schnetzer stellte ein Modell vor, eine Treppe des Gelingens. Ganztagsschulen und ihre Partner können sechs Stufen des Gelingens nehmen. Dazu gehören: der persönliche Einsatz aller Beteiligten (erste Stufe), gegenseitiger Respekt (zweite Stufe), der Konsens beider Partner (dritte Stufe), das Wissen um Ziele und Leitbilder (vierte Stufe), Verbindlichkeit (fünfte Stufe), Supervision und Evaluation (sechste Stufe).
Das Plenum der Bilanzveranstaltung
Weil Fachtagungen nicht von selbst gelingen, taten die Veranstalter gut daran, den Austausch untereinander nicht dem Zufall zu überlassen. Bereits der einstündige Brunch am Morgen sah ein gegenseitiges Kennenlernen vor. Zwei übergreifende Fragen wurden in den "Austausch-AGs" vertieft: Was haben die Angebote der Serviceagentur bewirkt? Wie nachhaltig sind sie? An der Themenentwicklung innerhalb der World-Café-Methode waren Lehrkräfte und außerschulische Partner aus den verschiedenen Schulformen der Sekundarstufe I, aus Haupt- und Realschulen oder Gymnasien, beteiligt.
Ganztagsklassen auf Wunsch der Eltern
Ein gewisses "Durcheinander" hat das Mädchengymnasium "Maria Ward-Schule" in Mainz mit insgesamt vier Ganztagsschulklassen zunächst erlebt. Der Halbtagsbetrieb und die Ganztagsklassen liefen unverbunden nebeneinander her. Bei über 1.000 Schülerinnen sei es der Schule anfangs auch nicht leicht gefallen, die erforderlichen 60 Anmeldungen für die Ganztagsschulklassen zu erzielen, so der Pädagoge Jürgen Daut. Die Lehrerinnen und Lehrer riefen die Eltern der angemeldeten Mädchen sogar persönlich an.
"Wir haben anfangs an uns gezweifelt", sagte Daut über den Aufbau der Ganztagsklassen. Der Impuls zur Einrichtung von Ganztagsklassen sei von den Eltern ausgegangen, aber die Anmeldezahlen stagnierten und im Lehrerkollegium wurde Widerstand angesichts der zu erwartenden Mehrarbeit vernehmbar.
Präsentation der Ergebnisse im Rahmen der "Austausch-AG"
Ganztagsklassen können sich auf Anhieb in die Organisation einer Schule einfügen, wenn sie ihre Zeitfenster rechtzeitig verändern: "Man muss die Zeitstrukturen von Anfang an so gestalten, dass es passt", meinte die Lehrerin Andrea Simon von der IGS Wörrstadt. Seit dem Schuljahr 2005/06 ist ihre Schule, die sich als Haus des Lernens versteht, Ganztagsschule in Angebotsform. Im fünften und sechsten Jahrgang wurden je zwei Ganztagsklassen und zwei Halbtagsklassen eingerichtet. Gemeinsam sind ihnen vier Stunden Kernunterricht, bis die Ganztagsklassen mit den Nachmittagsangeboten wie beispielsweise S.A.M.S. (Schüler arbeiten mit Schülern) in den Nachmittag ziehen.
Dann beginnt an den Ganztagsschulen in Angebotsform nämlich das nachmittägliche Schulleben, das häufig von jenen Eltern beargwöhnt wird, die ihren Kinder private Hausaufgabenhilfen oder Musik- beziehungsweise Tanzstunden finanzieren. Für Jürgen Winzer von der IGS Wörrstadt ist genau dieser Einwand jedoch Schützenhilfe für die Ganztagsschulen: "Eine kostenlose Förderung ist doch das beste Argument für den Ganztag."
Ganztagsschule als Haus des Lernens
An den Ganztagsschulen in Angebotsform ist Gruppenarbeit ebenso möglich wie individuelle Förderung, erläutert Winzer. Doch für das Gelingen käme es darauf an, dass möglichst alle Lehrkräfte mitarbeiten und dass der Ganztag und die Freizeit aufeinander abgestimmt würden. Mit anderen Worten: die Verzahnung des Vormittags mit dem Nachmittag bringt viele Vorteile. Außerdem sollten sich die Schulen miteinander austauschen. Dass die Lehrerinnen und Lehrer ihre Schüler und deren Eltern besser kennen, ist wohl ein weiterer unschätzbarer Vorteil der Ganztagsschule.
Thomas Schnetzer vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund in der "Austausch-AG"
Aus seiner Erfahrung als externer Schulberater weiß Thomas Schnetzer aber auch: "Viele Schulen laborieren nur an den Symptomen, sie versuchen sich erst dann zu verändern, wenn es brennt." Wenn diese Schulen eine externe Beratung in Anspruch nähmen, kämen sie oft zu spät. Schulen würden sich aber positiver entwickeln, wenn sie durch eine externe Beratung und Prozessbegleitung unterstützt werden. "Wir müssen Ganztagsschulen in Netzwerken weiter entwickeln", so Schnetzer. Schulen sollten voneinander lernen, sich an guten Beispielen orientieren, aber auch aus den Fehlern anderer lernen.
Als Beispiel stellte der Erziehungswissenschaftler die private Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen vor. Verantwortungsbereitschaft und Teamgedanke gingen an dieser Schule zusammen. Die Verantwortung habe einen festen Platz, denn jeder Schülerjahrgang ist in einem eigenen Jahrgangshaus untergebracht, und feste Lehrerteams mit eigenen Lehrerzimmern begleiten die Jahrgänge während ihrer gesamten Schullaufbahn: "Die Schülerinnen und Schüler ziehen als Mieter in die Häuser ein und verlassen sie erst in der Klasse 10." Der kreative und verantwortliche Umgang mit den Räumen fördere die Bereitschaft, das eigene Umfeld als ein Haus des Lernens wahrzunehmen.
"Die Ganztagsschule erzieht - aber gemeinsam mit den Eltern"
Eine gewachsene Ganztagsschule aus Rheinland-Pfalz, die die Schüler- und Elternpartizipation schon recht weit entwickelt hat, wurde zum Abschluss der Tagung vorgestellt. Wenn die Kinder in die fünften Klassen der IGS Ernst Bloch in Ludwigshafen-Oggersheim kommen, werden sie von dort Sozialpädagogen in Empfang genommen, die sich zugleich um die Eltern kümmern. Intensive Elternmitarbeit auf allen möglichen Ebenen kennzeichnet die Schulatmosphäre.
Vom Elternfrühstück und Jahreselternbeirat über die Mitarbeit beim Essen bis zu den Arbeitsgemeinschaften sind die Eltern präsent: "Die Ganztagsschule erzieht, aber gemeinsam mit den Eltern", erläuterte Schulleiter Werner Steiner.
Josef Blank und der Schulleiter Werner Steiner von der IGS Ernst Bloch, Ludwigshafen
Die Schülerinnen und Schüler haben in der Schule aber auch ein gutes Wort mitzureden. Im Schulparlament sitzen neben den Schülerinnen und Schülern die Eltern und Lehrkräfte mit je neun Repräsentanten: "Alle Vorschläge des Parlaments sind in der Schulkonferenz durchgegangen." Das Tor zur Welt öffnet eine Vielfalt außerschulischer Partner: die BASF, Seniorenpartner in der Schule, die Soziale Stadt Oggersheim-West oder der Wormser Ruder Club Blau-Weiß.
"Die IGS Ernst Bloch ist eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen", so der Schulleiter. Von 8 bis 16 Uhr bietet die Schule im Rahmen eines rhythmisierten Ganztags neben Fachunterricht die Möglichkeit zur individuellen Förderung in Förderstunden, Eigenarbeitsstunden oder Tutorenstunden. Jede Klasse bekommt einen Tutor, der sie sechs Jahre lang begleitet: "Die Kinder sind ganz dicht bei ihren Lehrern und umgekehrt." Auch wenn die IGS Ernst Bloch in Ludwigshafen-Oggersheim sich seit 26 Jahren zu einer gebundenen Ganztagsschule mit eigenem Profil entwickelt hat, empfindet ihr Schulleiter sie als ganz normale Schule: "Wir haben noch viele Probleme", meint Werner Steiner.
Engagierte Unterstützung bei der regionalen Aufbauarbeit, bei der Vernetzung der pädagogischen Angebote und bei der Qualitätsentwicklung werden erfahrene wie neue Ganztagsschulen weiterhin brauchen. Die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Rheinland-Pfalz hat auch in den nächsten Jahren noch viel zu tun.
Kategorien: Service
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