Eine kurze Geschichte der Ganztagsschule, Teil 3 : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf
In der Nachkriegszeit befanden sich die Reformpädagogen zwischen Aufbruchstimmung und Defensive, während die Ganztagsschulen zwischen sozialpolitischem Auftrag und Infragestellung oszillierten: Der dritte Teil unser kurzen Geschichte der Ganztagsschule beleuchtet die Chancen und Rückschläge, die die Ganztagsschulentwicklung von 1945 bis 1960 nahm. Die Gründung des Ganztagsschulverbandes GGT e.V. und die Einrichtung der "Tagesheimschule" als konsequente Ganztagsschule in Frankfurt am Main begründeten jedoch eine neue Tradition.
"Die Nachkriegsjahre waren armselig, der Schwarzmarkthandel blühte in allen Farben - Zigaretten waren die eigentliche Währung", erinnert sich Georg Rutz vom Ganztagsschulverband GGT e.V. an die soziale Notlage bis zur Währungsreform im Jahr 1947. Rutz, der seinerzeit noch ein junger Lehrer war, hat den Eindruck von einer Tabula Rasa, die das Schulwesen nach dem Zweiten Weltkrieg prägte, noch lebhaft vor Augen.
In den Schulen fehlte es an allem: an qualifiziertem Lehrpersonal, Räumen, Lehrmitteln. Da keine Schulhefte vorhanden waren, schrieben die Kinder stattdessen auf Zeitungsränder. Sie verspürten trotz des allgegenwärtigen Mangels einen großen Hunger auf Bildung: "Die Schülerinnen und Schüler waren wissbegierig, wenn auch überwiegend unkritisch", fügt Rutz hinzu.
Zwischen Aufbruch und Restauration
Auch weiterhin galten - zumindest in den westlichen Besatzungszonen - die Lehrerinnen und Lehrer bei den Schülern als unantastbare Autoritäten. Selten gelang es laut Rutz den Lehrerinnen und Lehrern, ein persönliches Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen .
Für alle Besatzungszonen trifft zweifellos zu: "In den Hirnen war die Befreiung noch nicht angekommen." Der Alliierte Kontrollrat setzte sich im Jahre 1947 daher auch für eine grundlegende Reform des deutschen Schulwesens ein, das seinerzeit als eine Ursache des nationalsozialistischen Systems und des deutschen Untertanengeistes betrachtet wurde. Die auf amerikanische Initiative zurückgehende Kontrollratsdirektive Nr. 54 forderte nach amerikanischem Modell die Einrichtung eines vertikal gestuften Schulsystems und eine gemeinsame universitäre Ausbildung von Volks- und Oberschullehrern:
Familie und Schule im Wandel der Zeiten: "Time Politics of Public Education in Post-War Europe (1945-2000). An East-West Comparison"/ Fotographische Impressionen auf der Startseite der Webseite http://www.time-politics.com/.
"Für alle [Kinder] im Alter von sechs bis mindestens zum fünfzehnten Lebensjahre sollte pflichtmäßiger Vollzeit-Schulbesuch gefordert werden - und für alle Schüler, die nicht Vollzeitschulen besuchen, anschließend wenigstens pflichtmäßiger Teilzeit - Schulbesuch bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. (...) Alle Schulen für den Zeitraum der Pflichtschulzeit sollten ein zusammenhängendes Bildungssystem (comprehensive educational system) darstellen. (...) Alle Schulen sollten Nachdruck legen auf die Erziehung zu staatsbürgerlicher Verantwortung und demokratischen Lebensstil (democratic way of life) vermittelst des Lehrplans, der Lehrbücher und Lehrmittel und der Organisation der Schule selbst." (Quelle: Kontrollratsdirektive Nr. 54
http://www.uni-kassel.de/fb1/KVilmar/ss_2004/schulwesen/direktive54.pdf (PDF, , nicht barrierefrei)
)
Doch der Direktive blieb der Erfolg verwehrt, wie Prof. Dr. Gert Geißler vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) ausführt: "Weder im Westen noch im Osten Deutschlands waren nach Kriegsende Vorstellungen der Besatzungsmächte aufgenommen worden, wonach für alle Schüler im Alter zwischen sechs und mindestens 15 Jahren ganztägiger Schulbesuch Pflicht hatte werden sollen."*
Es waren vereinzelte Pädagogen - etwa Herman Nohl -, die sich für einen Ausbau der Ganztagsschulen einsetzten, denn der Alltag in Deutschland war geprägt von vaterlosen Familien und sogenannten Schlüsselkindern.
"Welche Gründe sprechen für die Einführung der Ganztagsschulen?"
Ganztagsschulen fokussierten sich vor diesem Hintergrund auf einen sozialpolitischen Auftrag: Lina Mayer-Kuhlenkampf und Herman Nohl forderten 1947 aufgrund der gesellschaftlichen Notlage eine Umgestaltung der Schule zu einer umfassenden sozialpädagogischen Institution, die neben der unterrichtlichen Funktion auch in stärkerem Maße das Elternhaus in der Pflege der körperlichen und seelischen Entwicklung der Kinder ergänzen.sollte.
"Nach statistischen Erhebungen aus der Mitte der fünfziger Jahre waren von zehn Familien in einer Industriegroßstadt nur noch sechs als im herkömmlichen Sinne normal anzusehen. Die Tagesheimschule war "vor diesem (.) Hintergrund gesehen einfach eine sozialpädagogische Notwendigkeit", so Gernot Gather (Die Tagesheimschule - Grundlagen und Erfahrungen 1966).** In seinem Aufsatz "Welche Gründe sprechen für die Einführung der Ganztagsschulen in Deutschland?" führt Gather dazu aus: "Der Nachkriegsnotstand als Ausgangspunkt. Zweitens, der Trend zur Berufstätigkeit der Frau. Drittens, die Ergänzung der erzieherischen Funktionen der Familie. Viertens, die Synchronisierung von Schulzeitrhythmus mit der Arbeitszeit der Eltern und die Überleitung von der Schule in die moderne Arbeitswelt. Fünftens, Schule und soziale Mobilität. Sechstens, Schule als sozialer Schutz- und Entwicklungsraum. Siebtens, soziale Integration durch die Tagesheimschule. Achtens, Zurückdrängung der Verschulung: ,Gerade die Tagesheimschule will.hingegen die Familien entlasten und ergänzen.' Neuntens, die Tagesheimschule möchte mit ihren breiten, einer pluralistischen Gesellschaft angemessenen Angeboten die Schule bereichern.
Im Zuge der 1950er und 1960er Jahre veränderten sich mit dem Wiederaufbau sowie der Durchsetzung industrieller Massenproduktion und des Normalarbeitsverhältnisses wiederum die sozialen Rahmenbedingungen. Sie begünstigten tendenziell die stabile Kleinfamilie und eine Arbeitsteilung zwischen männlich dominierter Erwerbsarbeit und weiblicher Kinderbetreuung. Dadurch wurde indirekt auch der Standpunkt der Ganztagsschulgegner gestärkt.
Der Ganztagsschulverband
Das gegliederte Schulsystem wurde im Jahr 1955 mit dem sogenannten "Düsseldorfer Abkommen" praktisch besiegelt. Es sah die bundesweite Neuordnung der Gymnasien durch die Kultusministerkonferenz (KMK) vor. Allerdings ermöglichte die "Empfehlung zur Errichtung von Versuchsschulen" des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus dem Jahr 1954 die Einrichtung von Versuchsschulen. Auf diese Empfehlung berief sich im selben Jahr eine Gruppe von Reformpädagogen, die sich auf einer Tagung zur ganztägigen Schulerziehung versammelten.
Sie gab den entscheidenden Anstoß zur Gründung des Ganztagsschulverbandes "Gemeinnützige Gesellschaft Tagesheimschule e.V." am 12. Februar 1955 in Frankfurt am Main durch Prof. Theodor Gläss, Minna Specht, Kurt Hahn. Die Tagesheimschule wurde als "konsequente Form der Ganztagsschule" verstanden. Auf der anderen Seite rief die sozialpolitische Akzentuierung der Ganztagsschule vernehmbaren Widerstand hervor. Die Ganztagsschule, so hieß es, würde die Familienbande zerstören und zu einer untragbaren Verschulung der Kinder und Jugendlichen führen.
Anregungen für die Neugestaltung der Schulen kamen auch aus dem Ausland: "In dieser historischen Phase zirkulierten eine Menge konkurrierender Ideen, die unter den Reformpädagogen diskutiert wurden", so der Erziehungswissenschaftler Dietmar Haubfleisch. Deutsche Bildungsexperten, darunter Georg Rutz, reisten im Auftrag des Ganztagsschulverbandes Anfang der 50er-Jahre nach England, Schweden und die USA, um moderne Ganztagsschulen aus der nächster Nähe zu studieren.
Von Anbeginn hat Georg Rutz, graue Eminenz des Ganztagsschulverbandes GGT e.V., die Entwicklung der Ganztagsschulen in Deutschland mit begleitet.
Eindrücke aus Amerika: "Der Lehrer muss nicht der Boss sein"
"Im Ausland, insbesondere in USA, England und Schweden war die dort traditionell verankerte Ganztagsschule modernisiert worden. In den osteuropäischen Ländern nahm die Entwicklung der Ganztagsschule ebenfalls in den Jahren zwischen 1955 und 1960 ihren Anfang. Teilweise wurden dabei Erfahrungen in der Bundesrepublik ausgewertet." ("Gutachten zur Ganztagsschule" 1968)
Der Schultag an der amerikanischen High School begann - Rutz zufolge - mit einem Morgenkreis und dem Austausch zwischen Schülern und Lehrern. Alle Türen blieben während des Unterrichts geöffnet, und die Schülerinnen und Schüler waren statt auf Schulbänken auf dem Fußboden zu sehen, wo sie sich auf den langen Schultag einstimmten. "Ich muss als Lehrer nicht der Boss sein", so die Lehre für die deutschen Bildungsexperten. Es wurden Fächer wie Sozialkunde unterrichtet, die für viele deutsche Schüler und Lehrer ein Buch mit sieben Siegeln darstellten.
Der schülerorientierte Unterricht in politischer Bildung sollte das Bewusstsein für den Wert der Demokratie schärfen, und die Kinder und Jugendlichen sollten sich von Beginn als Demokraten erleben. "Amerika hat sehr großen Eindruck auf uns gemacht", fügt Rutz hinzu. Auf der anderen Seite kannten die High Schools keinerlei Skrupel vor dem massiven Einsatz von Werbung, die selbst vor den Schulbüchern nicht zurückschreckte: "Why not?" erwiderten die Gastgeber lakonisch auf die Vorbehalte der deutschen Bildungsexperten.
Die Tagesheimschulen in der DDR
Ein Blick in die DDR offenbart ein ambivalentes Verhältnis in Bezug auf die Ganztagsschulen (Quelle: Gert Geißler: Geschichte des Schulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962. Frankfurt am Main [u.a.] 2000***). Für die Schülerinnen und Schüler in der DDR der 1950er Jahre endete die Schule nach maximal sechs Stunden Unterricht à 45 Minuten am frühen Nachmittag. Mit der "Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung und Organisation der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Kenntnisse der Schüler vom 4. Juli 1950" waren reformpädagogische Modelle stark zurückgedrängt worden.
Zwischen den Jahren 1957 und 1958 wurden erstmals sogenannte Tagesheimschulen eröffnet. In den Jahren 1959 und 1960 gab es insgesamt zehn solcher Schulen in Bautzen, Glauchau, Guben, Leipzig, Rostock, Schwerin, Weißenfels und zwei in Berlin. Als Versuchsschulen sollten sie "neue Formen der Kollektiverziehung" und die "Verbindung der unterrichtlichen, außerunterrichtlichen und außerschulischen Erziehungs- und Bildungsarbeit" erproben, so der Erziehungswissenschaftler.
Die Erfahrungen mit den Tagesheimschulen blieben - laut Geißler - ambivalent. Nicht selten ergaben sich aus der Zusammensetzung der Schülerschaft - in aller Regel handelte es sich um Arbeiterkinder, die über den eigentlichen Schulbezirk hinaus aufgenommen worden waren - Problemhäufungen, die von den neu gebildeten Lehrerkollegien zunächst nur schwer zu bewältigen waren. Z.T. wurden die Schulen ohne hinreichende Vorbereitung und pädagogisches Konzept eingerichtet. Selbst als sich die Verhältnisse besserten, stieß die Tagesheimschule vor allem in Berlin bei Eltern und Schülern auf wenig Interesse. Auch die Lehrer waren dem Einsatz in schulischen Nachmittags- oder Ferienangeboten eher abgeneigt. Nicht wenige verließen den ostdeutschen Staat.
Im Jahr 1960 verkündete Walter Ulbricht, in Zukunft allen Kindern eine ganztägige Bildung und Erziehung zu ermöglichen. Neben vermehrtem staatlichem Erziehungseinfluss und beschäftigungspolitischen Effekten versprach man sich auch die Senkung der beängstigend hohen Sitzenbleiberquoten - 1957 verließen noch ca. 30 Prozent der Schüler die achtjährige Grundschule ohne Abschluss- und die Bewältigung des hohen Lernpensums.
Auf Widerstand stieß die Ganztagsschule bei Kirchenmitgliedern und Ärzten, die im Falle der Realisierung des Vorhabens als Pflichtschule mit dem Verlassen der DDR drohten. Auch auf Elternversammlungen artikulierte sich teils massive Ablehnung. Nach dem Vorwurf, mit dem polytechnischen Unterricht die "Kinderarbeit" einzuführen, war die SED nun dem der "Zerstörung der Familie" und der "Entfremdung der Kinder vom Elternhaus" ausgesetzt. Dass die bis 1966 geplante flächendeckende Einführung von Tagesschulen auch Geld kostete, hatte man nicht bedacht. Gegen einen entsprechenden SED-Beschluss intervenierte die für solche Dinge zuständige Abteilung Volksbildung der Staatlichen Plankommission. Die akribische Auflistung des Finanzbedarfs - bis zu benötigten Tischdecken, Handtüchern und Bestecken - bewirkte, dass der 1960 eingereichte Beschlussentwurf über die allgemeine Einführung der neuen Schulform innerhalb weniger Minuten von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Im Jahr 1963 bestanden in der DDR insgesamt 113 Tagesschulen.
Einsatz von Printmedien und Kongressen
Die zahlreichen Auslandsbesuche beeinflussten die Vorstellungen der Reformpädagogen über die Neugestaltung der Schulen. Einen wirkungsvollen Beitrag leisteten ferner regelmäßige Tagungen und Kongresse, die der Ganztagsschulverband GGT e.V. veranstaltete, sowie die Vierteljahreszeitschrift "Tagesheimschule", die der Ganztagsschulverband bereits im Jahr 1958 gründete.
Im "Gutachten zur Ganztagsschule", das Georg Rutz 1968 gemeinsam mit Karlheinz Klinger (erster Schulleiter der Friedrich-Ebert-Schule in Frankfurt am Main), Dr. Joachim Lohmann (Wissenschaftlicher Rat, Berlin) und Bernhard Wittmann (Schulrat, Duisburg) im Auftrag des Kongresses der Lehrer und Erzieher erstellte, heißt es: "Durch regelmäßige Publikation von Erfahrungen, sachlichen und fachlichen Auseinandersetzungen und Vorschlägen zur Einrichtung von Ganztagsschulen wurden Pädagogen, Eltern- und Lehrerverbände, Hochschulen und Verwaltungen angeregt, sich mit dem Gedanken zu befassen."
Obwohl die Ganztagsschule weiterhin als exotische Schulform betrachtet wurde, erhöhte sich die gesellschaftliche Aufmerksamkeit: "Zahlreiche Verbände fassten Entschließungen zur Einrichtung von Ganztagsschulen, so die Parteien, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Freie Vereinigung evangelischer Eltern und Erzieher, die Delegiertentagung der Christlichen Arbeiterjugend, die katholische Arbeiterbewegung und der Philologenverband."
Versuchsschulen auf dem Weg zur Ganztagsschule
Mit der Einrichtung der ersten westdeutschen Versuchsschulen setzte der Ganztagsschulverband zwischen den Jahren 1955 und 1958 einen Meilenstein: Obwohl der sozialpolitische Auftrag eine große Rolle spielte, vertrat der Ganztagsschulverband "kein dogmatisches Modell einer ganztägig geführten Schule, sondern war offen für unterschiedliche Konzeptionen", führt Harald Ludwig in seiner 1993 herausgegebenen Publikation "Entstehung und Geschichte der Ganztagsschule in Deutschland" aus.
Die Friedrich-Ebert-Schule (Volks- und Realschule) am Bornheimer Hang in Frankfurt am Main wurde 1956 die erste öffentliche Ganztagsschule. Bald darauf folgten ihr die Volksschule am Altonaer Volkspark in Hamburg , sowie im Jahr 1957 die Carl-Schomburg-Schule in Kassel (Realschule) und 1961 das Kreisgymnasium in Hofheim/ Taunus.
Aus einer Fülle unterschiedlicher Organisationsformen schälten sich, wie das Gutachten festhielt, allmählich zwei Grundformen heraus: die "Tagesschule" und die "Tagesheimschule". Diese lehnten sich wiederum an die ausländischen Vorbilder an. Als prominenteste Ganztagsschule wurde die Friedrich-Ebert-Schule am Bornheimer Hang vom Hessischen Kultusministerium und der Stadt Frankfurt als Schulträger gefördert. Die Amerikaner hatten kurz zuvor das ländlich gelegene Schulgebäude für den Schulversuch freigegeben. Georg Rutz hat die Schule während der Gründungsphase erlebt: "Ich habe eine schöne Schule vorgefunden, die mich an gegenwärtige gute Ganztagsschulen erinnert."
Hessen oder: Die Begründung einer kleinen Ganztagsschultradition
Da die Schüler und Lehrer den ganzen Tag zusammen waren, entwickelte sich ein entspanntes Verhältnis, das seine Effekte bis in die Sprachgewohnheiten ausdrückte. Ähnlich wie in den amerikanischen Gesamtschulen kamen sie auch in dem Morgenkreis zusammen, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken: "Was gibt es Neues zu berichten?" An der Ganztagsschule prägte sich eine ganzheitliche Lernkultur aus, und Verantwortungsübernahme war dort kein Fremdwort. Den Interessen der Schülerinnen und Schüler gaben die Arbeitsgemeinschaften viel Raum.
Und da ferner jede Klasse über eine Erzieherin verfügte, die die Vorbereitungen für die Arbeitsgemeinschaften traf, konnten die Kinder und Jugendlichen aus einer Fülle von Angeboten wählen: "Die AG ,Schminken' war bei den Mädchen sehr gefragt", erinnert sich Rutz. "Die Schülerinnen und Schüler fühlten sich wohl, denn sie verspürten einen großen Freiraum in der Schule." In dieser Atmosphäre erfuhren auch behinderte Schüler soziale Geborgenheit. "Meine Erkenntnis lautet: Es ist unsinnig, heterogene Gruppen linear zu unterrichten", so das heutige Fazit von Georg Rutz.
Derweil pilgerten Besucher aus dem In- und Ausland in die Pilotschule, deren Grundpfeiler auf solidem Fundament standen: eine rhythmisierte Gestaltung des Tages nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, ein zeitgemäß aufgelockerter und differenzierter Unterricht, gemeinsame, altergerechte Mittagsmahlzeiten, Einrichtung interessenbezogener Arbeitsgemeinschaften, vielfältige Freizeitangebote und die Organisation gemeinsamer Veranstaltungen.
Doch eine flächendeckende Umsetzung der Ganztagsschulen war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Neue Chancen eröffneten sich erst ab den 60er-Jahren mit der Diskussion um die Gesamtschulen.
Literatur:
* Ganztagsangebote in der Schule. Internationale Erfahrungen und empirische Forschungen, Band 12 Bildungsreform, Berlin 2005
** Die Tagesheimschule. Grundlagen und Erfahrungen, Frankfurt am Main 1966
*** Gert Geißler: Geschichte des Schulwesens in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik 1945 bis 1962. Frankfurt am Main [u.a.] 2000
Kategorien: Service
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