Auf den Spuren von Friedensreich Hundertwasser, Teil 1

Moderne Ganztagsschulen sollten - bevor sie in Stein geronnene Realität werden - die wesentlichen Elemente einer pädagogischen Architektur berücksichtigen. Dazu gehören für die Architekturpsychologin Dr. Rotraut Walden von der Universität Koblenz die frühzeitige Einbeziehung aller wichtigen Partner und die Partizipation der Kinder und Jugendlichen bereits in der Planungsphase. In einem Übersichtsbeitrag stellen wir Kriterien für Schulen der Zukunft vort, die in einem Folgebeitrag an zwei Beispielen illustriert werden.   


Wohl selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Chancen für eine pädagogische Architektur bzw. für einen nutzerorientierten Schulbau so günstig wie heutzutage. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Bundesinvestitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB). Doch es lohnt der genaue sowie prüfende Blick auf zukunftsweisende Konzepte der Schularchitektur wie die Architekturpsychologin Dr. Rotraut Walden vom Institut für Psychologie an der Universität in Koblenz im Dialog mit zahlreichen renommierten Schularchitekten entwickelt hat.

Allerdings sollten die Schulen der Zukunft auch klar definierten Kriterien genügen und sich an dem Paradigma der Partizipation aller am Schulleben beteiligter Personen messen lassen. Für die Architekturpsychologin Walden sind die wahren Pioniere der pädagogischen Architektur die Kinder, Pädagogen und Reformer wie Hundertwasser oder Montessori:

"Die Architekten alleine schaffen die Schule der Zukunft nicht", betont die Wissenschaftlerin. In einem noch unveröffentlichten Aufsatz zu Schulumwelten für die Encyclopedia of Applied Psychology (Enzyklopädie für angewandte Psychologie) fordert Walden, dass die Schülerinnen und Schüler eigene Raumbereiche zum Lernen, Arbeiten, Entdecken, Spielen oder Sport bekommen. Sie listet dort auch die Gründe auf, die für kleinere Schulen und Klassen sprechen.

Vom Nutzen kleiner Schulen

Argumente für kleine Schulen wurden laut Walden dort gefunden, wo es intime Lerngruppen gibt, wo Lehrer ihre Schüler gut kennen und sie dazu ermutigen können, mehr zu leisten. Erwachsene könnten in kleineren Schulen adäquater auf die Schülerinnen und Schüler achten, die sich in ihrer Obhut befinden. So könne auch Isolation, welche sich durch Entfremdung, Vandalismus, Diebstahl und Gewalt offenbart, besser vermieden werden. "Die Vorteile kleiner Schulen scheinen die der größeren zu überwiegen", so die Architekturpsychologin.

"Kleinere Schulen", so Walden weiter, "befähigen Kinder von Minderheiten oder mit benachteiligtem wirtschaftlichen Hintergrund zu schnelleren Fortschritten". Lehrer könnten ermutigt werden, ihre eigene Erfahrung für das Wohl der Schüler einzusetzen. Darüber hinaus können Lehraktivitäten effektiver koordiniert werden. Schüler kleiner Schulen nehmen auch lieber an Schulaktivitäten teil, auch wenn größere Schulen mehr Möglichkeiten haben, solche Aktivitäten anzubieten.

Vor diesem Hintergrund entwickelte Walden Empfehlungen für die Größe von Schulen: Grundschulen sollten nach umfangreichen amerikanischen Studien nicht mehr als 300 Schüler haben. Das größten negativen Effekte wurde in einem Gymnasium mit mehr als 2100 gefunden. Eine zentrale Schule mit 500 bis 700 Schülern, in der Kinder eine aktive Rolle außerhalb des Unterrichtes einnehmen, und Schulen mit einer attraktiven Fassade scheinen laut Walden ideale Schulen für Kinder zu sein. In einer solchen Schule ist die Zahl der Schüler so beschaffen, dass so wenig Anonymität wie möglich zwischen den Schülern existiert.

Dies fördert die Abnahme des kriminellen Verhaltens: "Wenn die Schülerzahlen den Grenzbereich mit mehr als 700 Schülern einmal überschritten haben, scheinen weitere Steigerungen nicht noch mehr Effekte für die Schulqualität zu haben", sagt Walden. Die Schulgebäude sollten der Architekturpsychologin zufolge möglichst zentral sein, um den Schülerinnen und Schülern so viele Gelegenheiten zur Kommunikation geben zu können wie irgendwie möglich. Für Schülergruppen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sollten die Planer und Architekten eine spezielle Infrastruktur schaffen, mit Aufzügen, extra breiten Türen oder Gehhilfen.

"Ich bin mit Liebe von vielen Händen gemacht"

In Ganztagsschulen haben Lehrer und Lernende nicht zuletzt mehr Zeit. Zeit, die sie nicht nur in, sondern auch mit den Räumen verbringen: Nach Rotraut Waldens Konzept sollen Schulen ihren Gästen und Nutzern auch aus der angrenzenden Ortsgemeinden deshalb ein "Zuhausefühlen" ermöglichen. Und zwar dadurch, dass Kinder, Lehrer und Eltern ihre eigene Schule mitgestalten.

Die "Hundertwasserschule" wurde eines der letzten Bauwerke des berühmten Künstlers und Architekten.

Solch liebevoll behandelten Schulhäuser entwickelten nach Waldens Einschätzung eine eigene Aura: "Ich bin mit Liebe von vielen Händen gemacht", teilt sie die Erfahrungen des Schulbauarchitekten Prof. Peter Hübner aus Stuttgart. Die Ausstrahlung der Gebäude schütze sie vor Vandalismus: "Schönere Selbstgestaltung der Schulen fördert auch die Verantwortlichkeit für die Umwelt und eine Abnahme des Vandalismus", so Walden. Die Kosten für die Beschädigungen der Schulgebäude schätzt sie jährlich auf 50 Mio. Euro in Deutschland. Schätzungen aus den USA belaufen sich auf 600 Mio. Euro jährlich.



Zukunftsweisende Schulen und vermeidbare Fehler

Für Walden leistet das Bundesinvestitionsprogramm der Bundesregierung, das die Ausstattung von Ganztagsschulen bundesweit finanziert, einen wertvollen Beitrag für die zukunftsweisenden Schulen. Zukunftsweisende Schulen, also auch Ganztagsschulen, sollten nach dem neuen Buch "Schulen der Zukunft" von Rotraut Walden und Simone Borrelbach zusammenfassend folgende Kriterien beachten: Mitentscheidung aller Nutzer; generell Rückzugsmöglichkeiten für Schüler und Lehrer; Gliederung der Klassenräume und Gänge auch für den Rückzug; klare Orientierung am Eingang; umweltfreundliche Baumaterialien; Möglichkeit, die räumlichen Bedingungen - wie Beleuchtung, Belüftung, Kühlung oder Beheizung - selbst zu regulieren; natürliche Belichtung; Flexibilität und Multifunktionalität der Räume; gute Akustik und Schallschutz; unfallsichere Spielgeräte im Schulhof; ein Angebot für ein "Erfahrungsfeld der Sinne".

Zukunftsmusik? Mitnichten, denn all diese Faktoren sind für die Architekturpsychologin durchaus bezahlbar: "Wir haben nachgerechnet: Nach Angaben des Architekten Peter Hübner liegen die Kosten für neue Schulbauten durch sein Architektenteam 20 Prozent unter denjenigen der Normalbauten", bemerkt die Architekturpsychologin. Das liegt nicht nur an der Partizipation von Kindern, Lehrern und Eltern, sondern auch an den umweltschonenden und energiesparenden Baumaßnahmen innerhalb der pädagogischen Architektur. 
 
"Was tut die Politik, damit Baukultur Schule macht?"

Die schlimmsten Fehler, die im Schulbau gemacht werden, sind so gesehen auch besonders kostspielig. Dazu gehören nach Walden folgende Sünden: Gebäude sind zu groß (das befördert Anonymisierung) oder zu klein (das schränkt Angebote im Curriculum und AG-Möglichkeiten ein); schlechte Verbindung vom Eingang zu den Klassen; Energieverlust durch Zugluft und schlechte Wärmedämmung; Klassenzimmer sind zu klein; fehlende Gemeinschaftseinrichtungen; schlechte Schallisolierung; unzureichende Maßnahmen für Behinderte; mangelhafte Instandhaltung bei Vandalismus, schlechte Sauberkeit und Müllvermeidung.

"Was tut die Politik, damit Baukultur Schule macht?" lautet die Fragestellung der Bundesarchitektenkammer (BAK) und des Rats für Baukultur im Deutschen Kulturrat, die im Rahmen der Veranstaltung "Baukultur macht Schule" am 22. April in Berlin geklärt werden soll. Für den Ganztagsschulausbau jedenfalls unternimmt sie große Anstrengungen, wie der nächste Beitrag an verschiedenen Beispielen in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz verdeutlichen wird.

Lesen Sie hier den zweiten Teil unseres Artikels "Auf den Spuren von Friedensreich Hundertwasser".

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