Qualitätsdialog zum Ganztag: Gebündelte Erfahrung : Datum:

In Online-Formaten trafen in den vergangenen Monaten Wissenschaft und Praxis zum wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog zum Ganztag zusammen. Amina Kielblock und Nora Wazinski ziehen Bilanz.

Online-Redaktion: Welche Ziele verfolgte der wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog zum Ganztag?

Amina Kielblock: Wir, also das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, haben die Initiative des Bundesbildungsministeriums, das unser Projekt gefördert hat, gerne aufgegriffen. Konkret ging und geht es darum, die umfangreichen Erkenntnisse der Forschung auf diesem Sektor noch stärker in die Praxis einfließen zu lassen und umgekehrt.

Nora Wazinski: Ziel war es eben, an die langjährige „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“, kurz: StEG, nicht nur etwas „dranzuhängen“, sondern den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis zu intensivieren. Man kann von einem dialogischen Transformationsprozess sprechen. Die Wissenschaft hat wichtige Erkenntnisse zusammengetragen, aber sie kann eben keine Patentrezepte nach dem Motto „So geht das“ liefern. Dazu sind die Ausgangspositionen und Voraussetzungen an den Bildungseinrichtungen zu unterschiedlich. Aber die Wissenschaft kann Anhaltspunkte liefern.

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© Amina Kielbock

Online-Redaktion: Was hat der Austausch konkret gebracht?

Kielblock: In unseren zwölf großen Dialogforen kamen 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichster Professionen zusammen. Sie tauschten sich über die Steuerung und die Zusammenarbeit der Professionen im Ganztag aus, sprachen über Ganztags- und Angebotskonzepte, nahmen die sozialen Beziehungen im Ganztag und die Angebotsdurchführung unter die Lupe. Die Rückmeldungen zeigen uns, dass zum einen offensichtlich die richtigen Themen gewählt wurden und es gelungen ist, einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen. Herausgekommen sind klare Erkenntnisse, wie Handlungen aussehen können, sprich, wie es Ganztagseinrichtungen gelingen kann, ein qualitativ hochwertiges Angebot zu entwickeln. Aber wir haben auch gehört, wo noch Forschungsbedarf gesehen wird.

Online-Redaktion: Der von der Pandemie erzwungene Wechsel zu Online-Meetings hat dem nicht geschadet?

Wazinski: Ursprünglich sah unser Plan Präsenzveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet vor. Im Nachhinein müssen wir erkennen, dass das Online-Format durchaus seine Vorteile hatte. Manche, die nun dabei waren und wertvolle inhaltliche Beiträge geliefert haben, hätten vielleicht die Reisetätigkeit gescheut. Sie genossen das niedrigschwellige Zusammenkommen. Positiv wurde darüber hinaus bewertet, dass wir natürlich sehr gemischte Gruppen erreicht haben, sowohl, was die Professionen als auch die Regionen anbetrifft. Alle haben so ein breites Bild von der Ganztagslandschaft in Deutschland gewonnen.

Kielblock: Es gab immer wieder einmal die Überlegung, homogene Gruppen auf die Beine zu stellen. Doch am Ende siegte die Erkenntnis, dass das Konzept des „Übergreifenden“ den großen Vorteil hatte, nicht auf den speziellen Begebenheiten vor Ort zu verharren. Die Teilnehmenden haben viele pädagogisch geprägte Ansätze, unabhängig von ihrem Standort, mitgenommen.

Online-Redaktion: Sie erwähnen die Erkenntnisse derjenigen, die an den Dialogforen teilnehmen konnten. Was hat die große weite Ganztagswelt davon?

Wazinski: Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass es neben den großen Foren noch in etwa die gleiche Zahl an kleineren Vorträgen und Workshops gab. In sie flossen die Erkenntnisse aus den großen Meetings ein und wurden dort vertieft. Unsere Veranstaltungen richteten sich gezielt an Leitungspersonen aus allen Bildungsbereichen. Angefangen also von Ganztagskoordinatoren in Schulen über Horte, Jugendhilfeträger, Stadtverwaltungen, Bildungsbüros, Wohlfahrtsverbände, Vereine, Elternvertretungen, Gewerkschaften und natürlich Forschende. Wir sind sicher, dass sie die gewonnenen Erkenntnisse in ihre Teams tragen. Ganz wichtig für den Transfer sind dabei die Broschüren, die wir zu allen Handlungsfeldern entwickelt haben. Sie erfreuen sich schon jetzt großer Beliebtheit und können jederzeit bei uns angefordert werden. Außerdem findet man sie auf der Homepage des DIPF.

Online-Redaktion: Auf welche Inhalte dürfen sich die Leserinnen und Leser freuen?

Kielblock: Wir haben die Online-Veranstaltungen protokolliert und sowohl die Erkenntnisse als auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden, also auch aus den interaktiven Tools, die wir genutzt haben, sowie die verschriftlichten Vorträge in die Broschüren einfließen lassen. Alle Hefte enthalten drei wesentliche Elemente: die wissenschaftlichen Erkenntnisse in gut verständlicher Sprache, zahlreiche Praxisbeispiele von Teilnehmenden, inklusive der damit gesammelten Erfahrungen, sowie drittens umfangreiche Impulslisten. Letztere setzen sich aus Anregungen der Teilnehmenden zusammen. Unser Projektteam hat sich die Wortmeldungen angeschaut, sortiert und eingeordnet sowie pointiert.

Online-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?

Wazinski: Ganztagseinrichtungen können die Broschüren nutzen, um an ganz konkreten Themen zu arbeiten. Als da beispielsweise die Schulleitung wäre, die versucht, alle Leute zusammenzubringen und daran arbeiten möchten, die sozialen Beziehungen auf allen Ebenen zu optimieren. Wie kann es der Leitung gelingen, dass sich alle wohlfühlen, dass Begegnungen jenseits des Unterrichts geschaffen werden und dass Beteiligung gelingt? Auch dazu geben unsere Broschüren Hinweise. Und sie unterstreichen noch einmal: Es lohnt sich für Ganztagsschulen, sich Unterstützung von außen zu holen, wenn Entwicklungsprozesse angestoßen werden sollen. Die Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ stellen dabei zum Beispiel eine gute Adresse dar.

Online-Redaktion: Was waren inhaltlich die wichtigsten Themen?

Kielblock: Ich glaube, es überrascht nicht, dass viel und häufig über die Qualität des Ganztagsangebots gesprochen und nachgedacht wurde. Sehr deutlich und immer wieder wurde betont, dass die Kinder im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen müssen. Speziell wurde dabei erörtert, wieviel Sicherheit Schülerinnen und Schüler benötigen, wie man ihnen diese geben kann und wie verhindert wird, dass Einzelne im Ganztag überfordert werden. Einen besonders breiten Raum nahmen ferner die Kooperation zwischen den Professionen und die Entwicklung eines gemeinsamen multiprofessionellen Bildungsverständnisses ein. Dabei wurde ganz deutlich, dass ein solches nicht eines sein darf, das allein aufs Lernen ausgerichtet ist. Ganztagseinrichtungen benötigen ein Verständnis, das die unterschiedlichen Stärken der Professionen, die an der jeweiligen Einrichtung vertreten sind, gleichrangig aufgreift, um die Kinder und Jugendlichen vor Ort bestmöglich in ihrer Entwicklung zu unterstützen. An Schulen, die über ein solches Verständnis verfügen, verstehen sich die Professionen auch am besten und agieren gemeinsam. So lautete ein Ergebnis unserer Foren.

Online-Redaktion: Was hat Sie als Veranstalterinnen überrascht und was nehmen Sie als Erfahrung mit?

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© DIPF

Wazinski: Überrascht und erfreut hat uns, wie gut Wissenschaft und Praxis zusammengepasst haben und wie wenig Vorbehalte auf beiden Seiten herrschten. Hilfreich war, dass der Austausch nicht von der Wissenschaft dominiert wurde, sondern auf Augenhöhe stattfand. Als Erfahrung nehmen wir mit, dass tatsächlich noch ein recht hoher Bedarf an Forschung von den in Ganztagsschulen Tätigen gesehen wird.

Online-Redaktion: Zum Beispiel?

Kielblock: Ein Wunsch betrifft das „gute Ganztagskonzept“. Welches Konzept ist am besten für Kinder, beispielsweisedamit sie den Ganztag partizipativ erleben. Es gibt hier ein breites Spektrum von guten Ganztagskonzepten – von sogenannten Lernfamilien bis hin zu ganz starker Individualisierung. Allgemein gesprochen: Welche Konzepte funktionieren in welchen Kontexten? Einige Akteurinnen und Akteure aus der Kinder- und Jugendhilfe wünschen sich ferner mehr Forschung, die sich nicht nur Richtung „Schule“ orientiert.

Online-Redaktion: Wie geht es mit dem wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog weiter?

Wazinski: Bis zum Projektende im Juni 2022 planen wir noch verschiedene Veranstaltungen, Vorträge und Workshops. Zudem möchten wir eine Art Wissensspeicher zum Ganztag auflegen, um die Nachhaltigkeit der Ergebnisse zu sichern. Und wir denken über ein grundständiges Qualifizierungsangebot für die pädagogische Arbeit im Ganztag nach. Auf jeden Fall gehen die Ideen, Erfahrungen und Erkenntnisse der bisherigen Dialoge auch dank der entstandenen Broschüren nicht verloren. Dazu sind sie zu wertvoll.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zu den Personen:

Amina Kielblock (Jg. 1988) und Nora Wazinski (Jg. 1993) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ im Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Sie wirken darüber hinaus im Forschungsverbund „Schule macht stark“ (Kielblock) beziehungsweise im Projekt „GTS-Bilanz – Qualität für den Ganztag“ (Wazinski) mit.

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