Qualitätsdialog: Steuerung des Ganztags : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Der Auftakt ist gelungen! Mit dem Online-Seminar „Steuerung des Ganztags“ wurde am 15. Januar 2021 der „Wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog zum Ganztag“ gestartet. Forschung, Verwaltung und Praxis kamen an einen virtuellen Tisch.
Über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus elf Bundesländern – die Zahl der Interessierten, die sich am 15. Januar 2021 ins Online-Seminar „Steuerung des Ganztags“ einwählten, hätte auch einer Präsenzveranstaltung zur Ehre gereicht. Die Veranstalter des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation freuten sich über die Resonanz auf den Auftakt ihrer bis in den Mai reichenden Veranstaltungsreihe. Weitere elf Termine zu sechs verschiedenen Themen werden stattfinden. Neben der „Steuerung des Ganztags“ werden das die Handlungsfelder „Gesamtkonzept“, „Angebotskonzept‟, „Angebotsdurchführung“, „Soziale Beziehungen“ und „Zusammenarbeit“ sein.
Der Qualitätsdialog will einen Orientierungsrahmen zur Gestaltung guter ganztägiger Bildungsangebote entwickeln und bringt dazu Vertreterinnen und Vertreter aus der Forschung, Verwaltung und Praxis an einen virtuellen Tisch. Diese teilen die unterschiedlichen Perspektiven auf das jeweilige Thema, erfahren von Forschungsergebnissen und Erfahrungen aus der Praxis. Die jeweils fünfstündigen Online-Dialogforen bieten auch ausreichend Raum für Diskussionen aller Teilnehmenden.
Die Online-Seminare werden dabei alle analog der Auftaktrunde aufgebaut sein: Zunächst referieren eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler zum Oberthema, gefolgt von einer Praktikerin und einem Praktiker. Dann bringen die Teilnehmenden Fragen und Kommentare ein, die auf einem virtuellen „Schwarzen Brett“ gesammelt werden. Im zweiten Teil bilden sich kleinere Arbeitsgruppen, welche die Impulse aus verschiedenen Perspektiven anhand von Leitfragen in zwei Arbeitsrunden beleuchten. Im dritten Teil werden die Ergebnisse gesammelt und gebündelt.
„Das Ziel sind Information und Reflexion konkreter Kriterien für eine gelingende Qualitätsentwicklung im Ganztag. Wir möchten gesichertes Wirkungswissen zu Ganztagsangeboten, das über viele Jahre auch in den verschiedenen Phasen der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) gewonnen wurde, in praktisch nutzbare Handlungsanweisungen überführen und in die Breite tragen“, erklärte Dr. Stephan Kielblock vom DIPF.
„Reality check“ für die Bildungsforschung
„Die gemeinsame Entwicklung ist wichtig“, befand in seiner Begrüßung bei der Auftaktausgabe Prof. Kai Maaz, der Geschäftsführende Direktor des DIPF. „Wir brauchen einen solchen Austausch von Wissenschaft und Praxis, ein solch neues Format.“ Für Dr. Dorothee Harenberg, Leiterin des Referats für Grundsatzfragen, Digitalisierung und Transfer im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das den Qualitätsdialog fördert, ist dieses Format „für alle Beteiligten etwas Neues und ein 'Reality check' für die Bildungsforschung. Hier wird diskutiert werden, wie die Ergebnisse der Wissenschaft für die Praxis fruchtbar gemacht werden können.“
Das Expertenduo aus Wissenschaft und Praxis für die „Steuerung des Ganztags“ bildeten Prof. Falk Radisch vom Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung an der Universität Rostock und Ute Waffenschmidt, Leiterin der Hupfeldschule Kassel, einer Grundschule mit Ganztag.
Eingangs stellte Falk Radisch fest „Die Ganztagsschule ist in 50 Jahren aus dem jeweiligen Bedarf vor Ort mit spezifischen Bildungs- und Betreuungsangeboten sehr unterschiedlich gewachsen. Diese Bewegung können wir bis heute feststellen, und das macht es schwer, übergeordnete Merkmale abzuleiten.“ Die Aushandlung und Festlegung von konkreten Zielen sowie die kontinuierliche Überprüfung der Zielerreichung sieht er als eine wichtige Aufgabe der Steuerung des Ganztags. Die Steuerung des Ganztags müsse einen einheitlichen, verlässlichen und gestaltbaren zeitlichen Rahmen schaffen, der zur jeweiligen Situation vor Ort passt.
Und pointiert formulierte er: „Die Unterscheidung zwischen offenem und gebundenem Ganztag ist für die Qualitätsdebatte dabei hinderlich.“ Die Steuerung in einer Ganztagsschule müsse sicherstellen, dass sich alle Beteiligten im multiprofessionellen Team auf Augenhöhe begegnen können. Und auch hier gelte: „Je konkreter die Klärung von Zielsetzung und pädagogischer Verantwortung ist, desto besser.“ Die Steuerung müsse zeitliche, räumliche und strukturelle Kooperationsmöglichkeiten schaffen und benötige ein kooperatives Leitungsverständnis und -handeln. „Die Leitung trägt die Gesamtverantwortung für Gestaltung und Entwicklung, wobei an einer kooperativen Schulleitung alle Professionen beteiligt sind. Sie trägt die Verantwortung für die ganztagsspezifischen Arbeitsabläufe und beteiligt das Kollegium an Schulentwicklungsprozessen.“
Offenheit als Charme des Ganztags
Ute Waffenschmidt war bezüglich der „konkreten Zielsetzungen“ etwas anderer Meinung als ihr Vorredner. „Ich glaube, dass es den Ganztag so charmant macht, wenn man die Ziele offenlässt und nicht gleich alles vorgibt“, berichtete die Schulleiterin aus ihrer Erfahrung. „Wenn so viele Menschen den Ganztag gemeinsam entwickeln, kann es sowieso in Richtungen gehen, über die man im Vorfeld gar nicht nachgedacht hat. Ich habe an unserer Schule erlebt, dass es sich, wenn der Ganztag lebt, ganz anders entwickeln kann als geplant.“
Als die Hupfeldschule mit großer Elternbeteiligung ein Ganztagskonzept entwickelte, habe eigentlich keiner genau gewusst, wie der Prozess zur Umwandlung in eine Ganztagsschule angehen sollte. Bis zur Umsetzung und Einführung des Ganztags im Schuljahr 2015/2016 sollten noch acht Jahre vergehen. Inzwischen hat die Hupfeldschule, die am hessischen „Pakt für den Nachmittag“ teilnimmt, fast 200 Schülerinnen und Schüler im Ganztag, und rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hier beschäftigt.
Um alle Beteiligten mitzunehmen – Kollegium, Eltern, Schulträger und die Mitarbeiterinnen der zwei kooperierenden Horte –, so erinnert sich Ute Waffenschmidt, „haben wir verschiedene Steuergruppen gebildet, in denen jeweils alle Gruppen vertreten und somit auch immer gut informiert waren. Diese Gruppen haben sich oft getroffen, und wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Alles, was dort besprochen wurde, kam schließlich in das Leitungsteam aus Schulleitung, Hortleitung und Ganztagskoordination.“ Letzterer komme eine Schlüsselrolle zu: „Sie vernetzt, erfasst Situationen, deeskaliert und arbeitet vor allem gut mit der Schulleitung zusammen.“
„Wer führen will, muss auch mal hinten gehen können“
Das Schulleitungsteam trifft sich jeden Mittwoch, und es gilt das „ungeschriebene Gesetz“: „Nichts vor dem Mittwoch entscheiden!“ Jeder könne sich darauf verlassen, dass Entscheidungen nur hier und nur gemeinsam getroffen würden und diese dann fix und verbindlich seien. „In der Ganztagsschule sollte man schnelle Kurswechsel vermeiden und nicht ständig Neues ausprobieren“, ist ihre Erfahrung. „Jeder soll sich auf klare Strukturen verlassen können.“
Nicht zuletzt warnte die Schulleiterin, „bei alldem nicht die Kinder zu vergessen“. Die Steuerung müsse auch über die Schülerinnen und Schüler erfolgen. An der Hupfeldschule wurden auf diese Weise zum Beispiel die Hausaufgaben abgeschafft und durch ein „Lerncenter“ am Nachmittag ersetzt. „Das ging auf die Initiative der Schülerinnen und Schüler zurück.“ Für die Schulleiterin ist klar: „Wir müssen es schaffen, die Kinder einzubeziehen – die haben manchmal geniale Ideen.“
Welche Erfahrung ist für Ute Waffenschmidt die „allerwichtigste“ nach 30 Jahren Schulleitung? „Alle Professionen gleichberechtigt einzubeziehen und multiprofessionelle Kooperationen zu verankern. Es geht nur gemeinsam! Es funktioniert nicht, wenn einer bestimmen will. Wer führen will, muss auch mal hinten gehen können.“
„Damit es ein gutes Ganzes wird“
Die zwei Diskussionsrunden in Kleingruppen im Anschluss an die Vorträge beschäftigten sich mit den in den Referaten gehörten Aussagen und orientierten sich an Leitfragen wie „Wo fängt Steuerung an?“. Für Sigrid Rahmann-Peters, in der Stadt Dortmund Koordinatorin für die offenen Ganztagsschulen, war beispielsweise die Angebotsentwicklung ist ein wichtiges Thema: „Der Freiraum der Schülerinnen und Schüler darf durch nicht zu viele AGs beschnitten werden, sodass am Ende die Kinder nur noch von A nach B nach C geschickt werden. Die Qualität der Ganztagsschule bemisst sich nicht nur an der Qualität der Angebote, und diese sollten nicht nur das Image der Schule oder die Elternwünsche befriedigen.“
Matthias Bosse vom Fachbereich Schule der Stadt Hannover ergänzte: „Wenn eine Ganztagsgrundschule gute Angebote macht, die die Kinder interessieren, reden wir nicht mehr von 'bildungsnah' und 'bildungsfern'. Da kann mit wenig schon viel erreicht werden, wenn es die Schülerinnen und Schüler anspricht.“ Verena Reis, OGS-Leiterin an der Kettelerschule Bonn, stimmte zu: „Die Einbeziehung aller Professionen bei uns in der Schulentwicklungsgruppe schafft Zufriedenheit und Motivation. Es gibt bei uns keine Gruppe, an der nicht alle beteiligt sind.“
Am Schluss des Online-Seminars wurden die in den Kleingruppen geführten Diskussionen und deren Ergebnisse zusammengeführt. Einige der Teilnehmenden äußerten sich beim Abschied begeistert über den „Qualitätsdialog“, sowohl über die Inhalte als auch die technische Umsetzung. Auch bei den weiteren Teilen wollen sie dabei sein.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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