Qualitätsdialog: „Gesamtkonzept“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog zum Ganztag“ kamen erneut Forschung, Verwaltung und Praxis an einen virtuellen Tisch. Diesmal ging es um das „Gesamtkonzept“, das jede Ganztagsschule braucht.

Verena Bandulewitz
Verena Bandulewitz koordiniert den Ganztag der Valentin-Traudt-Schule. © Verena Bandulewitz

Jede Ganztagsschule braucht ein Gesamtkonzept des Ganztags, in das die Ziele, aber auch alle Angebote eingebettet sind. Dazu gehören die Verbindung von Vor- und Nachmittag sowie das sinnvolle Arrangement von Angeboten über einen längeren Zeitraum. Das übergeordnete Ziel ist es, ganztägige Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche dauerhaft attraktiv zu gestalten. Warum ein solches Gesamtkonzept notwendig ist und welche Bestandteile dazugehören, war Thema eines der sechs Workshops in der Reihe „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ des DIPF I Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Rund 70 Interessierte aus ganz Deutschland tauschten sich am 15. März 2021 dazu virtuell aus.

Wie in allen Workshops der „Qualitätsdialog“-Reihe bildeten zwei Vorträge den Auftakt: Aus der Perspektive der Ganztagsschulforschung führte Ivo Züchner, Professor für außerschulische Jugendbildung an der Philipps-Universität Marburg und an der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“ beteiligt, in die Veranstaltung ein. Verena Bandulewitz, Ganztagskoordinatorin an der Valentin-Traudt-Schule Kassel, einer Grundschule mit flexiblem Schulanfang und Mittelstufenschule im Profil 2 des hessischen Ganztagsprogramms, vertrat wiederum die Schulpraxis.

Ein Gesamtkonzept partizipativ entwickeln

Prof. Ivo Züchner verdeutlichte anhand der StEG-Schulleitungsbefragung von 2018 die konzeptionellen Grundlagen der „sehr heterogenen Ganztagsschullandschaft“. Er konzentrierte sich dabei auf die drei Bereiche „Ziele“, Zeitstrukturen“ und „Verzahnung“ in Grundschulen. Bei den Zielen des Ganztags spielen in den meisten Ganztagsgrundschulen die „Verlässliche Schülerbetreuung“ und „Gemeinschaft, Soziales Lernen und Persönlichkeitsentwicklung“ in vielen Grundschulen eine große Rolle.

Dagegen werden Ziele wie die „Erweiterung der Lernkultur“, „Kompetenzorientierung und Begabungsförderung“, aber auch die „Öffnung der Schule zum Umfeld“ wesentlich seltener genannt. „Welche Ziele sich die Ganztagsschulen setzen, hängt auch von der Organisationsform des Ganztags ab“, erläuterte der Erziehungswissenschaftler, das heißt, ob sie offene, gebundene oder teilgebundene Ganztagsschulen sind. „Die Heterogenität der Organisationsformen spiegelt sich in den unterschiedlichen Zielsetzungen.“

Gefragt nach der Zeitorganisation, hatten rund 50 Prozent der Schulleitungen von Grundschulen berichtet, dass sich die Schülerinnen und Schüler ihre Zeit über den Tag teilweise selbst einteilen können, wobei dies verstärkt für die Ganztagsgrundschulen mit verbindlicher Teilnahme gilt. Ebenso ist dort die konzeptionelle Verbindung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten und die inhaltliche Zusammenarbeit von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften stärker ausgeprägt.

Trainerin Sportplatz
„Bei uns stehen Chancengleichheit und Förderung im Vordergrund.“ © Valentin Traudt-Schule Kassel

„Die Schule muss sich Ziele setzen, was sie mit dem Ganztag erreichen möchte. Und der Diskussionsprozess muss in Beteiligung geschehen“, erklärte Ivo Züchner. Er benannte auch die Herausforderungen für Ganztagsschulen bei der Umsetzung eines Gesamtkonzepts. „Eine Riesenherausforderung für die Konzeption einer Ganztagsschule sehe ich in der Frage der Verbindlichkeit der Teilnahme.“ Eine weitere Herausforderung bestehe in der Zielsetzung der Kompetenzentwicklung und der individuellen Förderung, die zugleich mit dem Wunsch der Schülerinnen und Schüler nach Frei- und Rückzugsräumen in Übereinstimmung zu bringen sei. Drittens müsse sich jede Schule darüber klar werden, ob sie den Ganztag als ein Gesamtkonzept mit einer Verzahnung von Lernformen und -inhalten oder als eine Zusammensetzung verschiedener Bausteine versteht. Und viertens gehöre zum Gesamtkonzept, wie weit sich die Schule in den Sozialraum öffne und als Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen sieht.

Valentin-Traudt-Schule: Verbindung von Vor- und Nachmittag

Wie eine Schule mit Ganztagsangebot ganz konkret Ziele, Zeitstrukturen und die Verbindung von Vor- und Nachmittag festlegt, erläuterte die Ganztagskoordinatorin Verena Bandulewitz für die Valentin-Traudt-Schule: „Bei uns stehen Chancengleichheit und Förderung im Vordergrund, weniger der Betreuungsgedanke aufgrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und optimale Förderung gelingt unserer Ansicht nach am besten durch die Verzahnung der unterschiedlichen pädagogischen Professionen. In unseren Ganztag sind zwei Hortgruppen integriert, die Räume im Schulgebäude nutzen. Dazu kommen noch zwei Gruppen eines externen Hortes, der etwa zehn Minuten von uns entfernt liegt. Die Kinder werden tageweise in unseren Ganztag einbezogen.“

Hessische Schulen mit Ganztagsangebot im Profil 2 bieten an allen fünf Schultagen der Woche freiwillige Zusatzangebote von 7:30 Uhr bis 16:00 oder 17:00 Uhr an: Förderkurse, Wahlangebote sowie Arbeitsgemeinschaften und Projekte, die Betreuung von Hausaufgaben und Stillarbeit sowie offene Sport- und Spielgruppen. Die Zeitstruktur kann schulintern geregelt werden. Für die im Ganztag angemeldeten Schülerinnen und Schüler besteht eine Teilnahmepflicht. Die Verknüpfung von Unterricht und Ganztagsangeboten sowie die Kooperation mit dem Schulträger, Einrichtungen der Jugendhilfe, Musikschulen, Vereinen und sonstigen außerschulischen Partnern müssen im Schulprogramm dargestellt sein.

Verena Bandulewitz verkörpert die „Verzahnung“ selbst. Sie bezeichnet sich als „Scharnier zwischen Vor- und Nachmittag.“ Die Ganztagskoordinatorin ist jeden Tag acht Stunden im Einsatz, über den ganzen Schultag. „Ich bekomme viele Themen am Vormittag mit und kann sie in den Nachmittag hineintragen. Und am nächsten Vormittag trage ich die Themen des Nachmittags wieder in den Schulvormittag.“ Für sie wird die Nachmittagsbetreuung durch den Austausch der Lehrkräfte mit den außerschulischen Fachkräften zu einem „ganz wichtigen Partner in der Förderung der Kinder“.

Die Nachmittagskräfte nehmen an der Valentin-Traudt-Schule an den Besprechungen der Jahrgangsteams teil. Sie erfahren, welche Projekte die Lehrerinnen und Lehrer planen, und können dementsprechend ihre Angebote für den Nachmittag entwickeln. Gemeinsam füllen die Beteiligten auch die sogenannten „Schülerblätter“ aus, die Stärken und Schwächen der Kinder festhalten. Verena Bandulewitz berichtete: „In der Nachmittagsbetreuung entwickeln wir bestimmte Angebote, um die Schülerinnen und Schüler entsprechend des kommunizierten Bedarfs spielerisch zu fördern. Auch das halten wir einmal pro Halbjahr, nach den Herbstferien und vor den Sommerferien, auf dem Schülerblatt fest. Das Schülerblatt entwickelt sich über die Jahre zu einem Nachweis der Fördermaßnahmen.“

Breite Angebote für alle Altersgruppen

Treffen in der Aula
© Britta Hüning

Die Schülerinnen und Schüler können in der Valentin-Traudt-Schule aus einem breiten Angebot von Fördermaßnahmen auswählen. „Wir sind alle mit Herzblut dabei und tun das Möglichste, um bei den Kindern den Spaß am Lernen zu entfachen. In der Sprachbildung zum Beispiel können wir schon nach kurzer Zeit Effekte beobachten.“ Hausaufgaben sind an der Valentin-Traudt-Schule abgeschafft worden. Jetzt gibt es eine „Lern- und Übungszeit“, die Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher der Horte und das Personal der Nachmittagsbetreuung gemeinsam gestalten.

„Ab Klasse 7 merken auch wir, dass das Interesse an den Ganztagsangeboten schwindet“, gesteht die Ganztagskoordinatorin. „Dem versuchen wir durch möglichst interessante Angebote für diese Schülerinnen und Schüler entgegenzuwirken.“ Als Beispiele nennt sie die Beatbox-AG oder die Kooperation mit einem Skateboard-Club. „Und ich verhandele gerade mit einem Standup-Paddel-Verein.“ Am Ende des Schultages öffnet sich der Schulhof der Valentin-Traudt-Schule für den Stadtteil. „Die jüngeren Schülerinnen und Schüler gehen dann nicht nach Hause, die bleiben noch und spielen“, so Verena Bandulewitz. „Wir könnten den Ganztag auch bis 18 Uhr anbieten, und die Kinder würden bleiben. Sie sind einfach gerne da. Die Schule ist ein Lebensort für sie geworden.“

Diskussion: Eckpunkte eines Gesamtkonzepts

Die eingangs genannten vier Herausforderungen für ein Gesamtkonzept des Ganztags – verbindliche versus freiwillige Teilnahme, Kompetenzorientierung, personelle und konzeptionelle Verzahnung von Vor- und Nachmittag und Öffnung der Schule nach außen – dienten schließlich der Diskussion in Kleingruppen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe „Freiwilligkeit versus Verbindlichkeit“ hoben hervor, dass gebundene Ganztagsschulen verhindern könnten, dass „genau die Schülerinnen und Schüler rausfallen, die am meisten vom Ganztag profitieren“. Die freiwillige Teilnahme an Angeboten sei wiederum im Sinne der Schülerinnen und Schüler und erhöhe auch deren Akzeptanz. Sie erschwere aber die Verwirklichung eines inhaltlich verzahnten Gesamtkonzepts. Eine Kompromissmöglichkeit wäre, dass mindestens bis zu einem bestimmten Nachmittagszeitpunkt alle Schülerinnen und Schüler zusammenbleiben.

Kontrovers diskutierte die zweite Gruppe das Spannungsfeld „Spaß, Freizeit, Rückzugsraum versus Individuelle Förderung und Kompetenzentwicklung“. Beides sei zu vereinbaren, wenn alle Beteiligten dazu das entsprechende Gesamtkonzept erarbeiten. Dazu müssten Zeiten für den Austausch der unterschiedlichen Berufsgruppen eingeplant werden. Besonders der „große Streitpunkt Hausaufgaben“ müsse geklärt werden. Die Ermöglichung von Rückzugsräumen für die Schülerinnen und Schüler und Demokratiebildung sollten ebenfalls Platz im Konzept finden.

Schüler spielen auf dem Schulhof
© Britta Hüning

Die Gruppe „Verzahnung“ stellte fest, dass zunächst die Professionen ihre wechselseitigen Erwartungen klären müssten. Sie wollte die „multiprofessionelle Zusammenarbeit“ nicht auf die Schule beschränken, sondern die Zusammenarbeit sollte auch in den Ministerien und auf kommunaler Ebene stattfinden. Einblicke in die jeweils anderen Berufe zu nehmen, erhöhe das gegenseitige Verständnis. Die Gruppe „Öffnung“ hatte sich mit außerschulischen Kooperationen befasst und festgestellt, dass sich in den Richtlinien das Kooperationsgebot für Schulen und Jugendhilfe bereits findet. Die Richtlinien „müssen nur mit Leben erfüllt werden“. Noch hänge es zu oft von einzelnen Engagierten ab, ob eine Schule mit außerschulischen Partnern kooperiere. Eine Teilnehmerin empfahl daher, „Schulentwicklung und Quartiersentwicklung zusammenzudenken“.

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Kategorien: Bundesländer - Berlin

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