Qualitätsdialog: Angebotskonzepte : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Mit dem Online-Workshop „Angebotskonzepte“ fand am 8. Februar 2021 der nächste „Wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog zum Ganztag“ statt. Forschung, Verwaltung und Praxis kamen an einen virtuellen Tisch.
Woran bemisst sich der Erfolg eines Ganztagsangebots? Ein Kriterium ist sicherlich die Nachfrage. Besieht man sich die Nähwerkstatt des Horts „Coole Kids“ der Grundschule Glienicke/Nordbahn, dann muss der Hort einiges richtiggemacht haben. „Wir hatten die Nähwerkstatt für ein bis zwei Tage in der Woche konzipiert“, so Hortleiterin Monika Spur-Rondeshagen, „und jetzt findet sie täglich von 13:30 Uhr bis 16 Uhr statt.“
Die Hortleiterin berichtete von diesem „echten Highlight“ im zweiten „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog zum Ganztag“ des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation am 8. Februar 2021, der der diesmal das Thema „Angebotskonzepte im Ganztag“ hatte. Rund 70 Teilnehmende aus Forschung, Praxis und Verwaltung aus 14 Bundesländern waren online dabei.
Partizipation ist das Wichtigste bei der Angebotsentwicklung
350 Kinder der insgesamt 700 Schülerinnen und Schüler der Grundschule besuchen den Hort „Coole Kids“. Monika Spur-Rondeshagen erzählte: „Die außerschulischen Bildungsangebote der Gemeinde sind sehr klein, und die Grundschule ist so etwas wie das kulturelle Zentrum von Glienicke. In der Nähwerkstatt arbeiten Erzieherinnen und Seniorinnen mit, und wir halten inzwischen auch Wochenend-Workshops für Eltern ab. Das Angebot reicht bis in die Gemeinde.“
Das Hortteam hatte bedauert, dass es für Werkstätten im Rahmenlehrplan des Landes Brandenburg nur wenig Raum für Handarbeiten gebe, und deshalb das Nähangebot per Spenden auf die Beine gestellt. „Wir wollten die Basics an der Nähmaschine vermitteln, ansonsten können die Kinder hier frei arbeiten“, berichtete die Hortleiterin. „Auf jeder Etage stehen nun Nähmaschinen.“ Anfangs seien ausschließlich Mädchen interessiert gewesen. Dann sei das Team den Jungen mit dem Angebot „hinterhergereist“ und stellte Nähmaschinen in den Bauwerkstätten auf – und weckte erfolgreich auch bei ihnen das Interesse.
„Wir können wunderbar mit den Kindern beim Nähen ins Gespräch kommen“, freut sich Monika Spur-Rondeshagen. „Die Kinder nähen zum Beispiel für Oster- und Weihnachtsbasare. Von den Einnahmen haben wir unter anderem eine Popcorn-Maschine gekauft. Aber wir haben auch schon an 'Ärzte ohne Grenzen' gespendet.“ Partizipation ist für die Hortleiterin das Wichtigste bei der Angebotsentwicklung. „Immer dann, wenn wir den Kindern etwas aufdrücken wollten, weil wir, ohne sie zu fragen, dachten, dass es gut für sie wäre, hat es nicht funktioniert.“ Ganztag und Abenteuer sollten sich dabei nicht ausschließen, im Gegenteil: „Ganztag ist doch auch ein Abenteuer.“
Ganztagsangebote außerschulischer Partner
So sieht es auch Ute Harrje, die als abgeordnete Lehrerin in der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Mecklenburg-Vorpommern tätig ist. „Bei den Ganztagsangeboten müssen wir das Interesse der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen, wir müssen ihre Neugier wecken. Wir sollten die Kinder fragen, welche Angebote sie gerne wahrnehmen möchten. Bei schon bestehenden Angeboten sind Schnupperkurse sinnvoll.“
Das Schöne an den Ganztagsangeboten wie Arbeitsgemeinschaften sei, dass „man hier freier als im Unterricht ist“. Und gerade für den Erwerb sozialer Kompetenzen könnten die Angebote hervorragende neue Impulse geben. Als ein weiteres gutes Beispiel beschrieb Ute Harrje das Engagement des Landesanglerverbandes Mecklenburg-Vorpommern mit seinem Programm „Angeln macht Schule“. Der Verband hat eine Handreichung für die verschiedenen Altersgruppen verfasst und bezieht Themen wie Naturschutz, Gewässerkunde und Nachhaltigkeit, aber beispielsweise auch Ernährungsthemen mit ein. Ähnlich engagiert sich der Landesfußballverband Mecklenburg-Vorpommern, er kombiniert Bewegungsangebote mit einer Schiedsrichterausbildung.
Da viele AG-Leiterinnen und -Leiter über keine pädagogische Ausbildung verfügten, hat die Serviceagentur Mecklenburg-Vorpommern die Qualifizierungsreihe „Unterricht ergänzendes Angebot in der ganztägig arbeitenden Schule“ entwickelt, die mit sechs aufeinander aufbauenden Modulen und einem Zusatz-Modul „Kulturelle Bildung in der ganztägig arbeitenden Schule“ jetzt schon zum sechsten Mal gelaufen ist. Sie soll den außerschulischen Kooperationspartnern ein pädagogisches Rüstzeug an die Hand geben, kann aber auch die Schulen darin unterstützen, Ziele, Durchführbarkeit, Methoden und Materialien ihrer Angebote zu klären.
Gute Angebote gezielt konzipieren
Ebenfalls ein Angebot für den Ganztag hat das Wissenschaftlerinnenteam der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) im Projekt StEG-Lesen in Zusammenarbeit mit einem Praxisexpertinnenteam konzipiert. Die Bildungsforscherin Dr. Karin Lossen vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund hat sich viele Jahre wissenschaftlich mit Angebotskonzepten im Ganztag befasst und weiß aus eigener Erfahrung: „Es ist wichtig, dass Erkenntnisse der Wissenschaft zu wirksamer Kompetenzförderung in die praktische Angebotsentwicklung Eingang finden und mehr Zusammenarbeit stattfindet. Denn die Förderung von Kompetenzen durch Ganztagsangebote war eines der Ziele beim Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland. Bislang konnten aber hauptsächlich Wirkungen auf Motivation und Interesse nachgewiesen werden.“
Im Projekt StEG-Lesen entwickelte das Team den „Detektiv-Club“ als Leseförderungsinstrument und setzte ihn im Ganztagsangebot von Grundschulen ein. Rund 1.000 Viertklässler nahmen im Rahmen der Studie daran teil. Und er wirkte sich positiv auf die Lesekompetenzen aus. Warum funktionierte das? Für Karin Lossen fing es schon mit der Namensgebung und der inhaltlichen Ausrichtung an. „Wir haben einen 'Detektiv-Club' und eben nicht einen 'Leseclub' konzipiert. Die Schülerinnen und Schüler waren also motiviert, Detektivfälle zu lösen, das Lesen diente hierbei also als Werkzeug bei der Sammlung von Hinweisen zur Fallauflösung und wurde nicht nur geübt, einfach um Lesen zu fördern“
Die Materialien des Detektiv-Clubs sind ansprechend gestaltet, die Methoden gezielt für die Leseförderung ausgewählt, und die Aufgaben sind abwechslungsreich mit einem Bezug zur Lebenswelt der Kinder. Für Karin Lossen sind die Kernelemente für die Entwicklung von Ganztagsangeboten die Sicherstellung der Durchführbarkeit, die gezielte Auswahl der Methoden, eine motivierende Gestaltung der Materialien und die Ermöglichung neuer Lernerfahrungen. Gute und wirksame Angebote müssten zielorientiert konzipiert und entwickelt werden.
„...dann geschieht die individuelle Förderung fast von alleine“
Nach dem Input der drei Expertinnen ermöglichte der Qualitätsdialog wieder einen Austausch der Teilnehmenden untereinander. Hier entwickelte sich das Thema der Zusammenarbeit von Schulen mit außerschulischen Partnern und Bildungsträgern bei der Angebotskonzeption zu einem Schwerpunkt. „Wir können nur gewinnen, wenn wir zusammenarbeiten“, betonte die Leiterin eines Jugendhilfeträgers aus dem Ruhrgebiet.
Dafür fehlen oft noch die Zeiten, um sich auszutauschen. Eine Teilnehmerin aus Bayern bedauerte, dass sie – „aus Datenschutzgründen, wie es heißt“ – nicht an den Lehrerkonferenzen teilnehmen dürfe. „Schade, wir könnten viel beitragen! Momentan kann ich unser Angebot immer nur kurz vorstellen, dann werde ich herauskomplimentiert.“ Die Leiterin des Jugendhilfeträger aus dem Ruhrgebiet hat früher ähnliche Erfahrungen gemacht: „Bei uns war es anfangs ein Kampf, dass wir in die Konferenzen reindurften, aber jetzt sind wir dabei. Das ist total wichtig.“ Die Vertreterin eines Bildungsträgers aus Schleswig-Holstein berichtete: „Wir haben einmal wöchentlich einen E-Mail-Austausch mit den Eltern und können auf diesem Wege viel klären.“
Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang, zu dem es mehrere Wortmeldungen gab, war die Verknüpfung von Unterricht und Ganztagsangeboten, die auch Karin Lossen betonte. Ihr stimmte die Leiterin eines Kooperationspartners von Ganztagsgrundschulen im Rheinland zu: „Wenn wir die Vielfalt in die Angebote bringen und gut mit dem Vormittag kooperieren, geschieht die individuelle Förderung fast von alleine.“
Zum Abschluss des Qualitätsdialogs griff Heike Maria Schütz von der Akademie für Ganztagsschulpädagogik noch einmal das Thema der Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler als Qualitätsmerkmal auf: „Wir sind uns einig darüber, dass eine gute Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern die beste Grundlage für den Bildungserfolg ist.“ Sie bezog sich aber auch auf die Kooperation von Schulen und außerschulischen Partnern: „Die Verantwortung für gelingendes Lernen müssen alle Beteiligten gemeinsam tragen. Es muss heißen: miteinander statt nebeneinander und vor allem nicht an den Kindern vorbei.“
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