Qualitätsdialog: „Angebotsdurchführung“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Im „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog zum Ganztag“ kamen erneut Forschung, Verwaltung und Praxis an einen virtuellen Tisch. Diesmal ging es um die „Angebotsdurchführung“ und ihre pädagogische Qualität.

Der „Wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog zum Ganztag“ des DIPF I Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation mit seinen sechs thematischen Workshops erlebte seit Januar 2021 eine enorme Nachfrage, denn hier konnten sich die Teilnehmenden aus erster Hand über „Qualitätsthemen“ für den Ganztag informieren und ihre Erfahrungen austauschen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sogar bei allen sechs Themen dabei.

Das Thema „Angebotsdurchführung“ versprach einen besonderen Praxisbezug. In dem Online-Workshop, den die Bildungsjournalistin Katja Irle moderierte, diskutierten die Teilnehmenden, wie eine gute Organisation und Leitung von Ganztagsangeboten und zugleich eine hohe Qualität der Angebote realisierbar sind. Die Art und Weise der Durchführung ganztägiger Bildungsangebote soll deren Wirksamkeit erhöhen. Und sie soll insgesamt zu einer gewinnbringenden Lernkultur beitragen.

Zwischen schulischer und außerschulischer Bildung

Zum Einstand beleuchteten Prof. Markus Sauerwein von der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf aus Sicht der Ganztagsschulforschung und das Tandem Claudia Moritz und Verena Reis, die den Offenen Ganztag an der Kettelerschule in Bonn leiten, aus der Perspektive der Schulpraxis das Thema.

Markus Sauerwein
© Markus Sauerwein

„Was sind denn eigentlich Ganztagsangebote?“ Mit dieser Frage leitete Markus Sauerwein, langjähriger Mitarbeiter der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“, seinen Vortrag ein. Er gab auch gleich eine erste Antwort: „Meine These ist, dass Ganztagsangebote in der Schnittstelle zwischen schulischer und außerschulischer Bildung liegen und in ihnen unterschiedliche pädagogische Sichtweisen zusammentreffen.“ Dafür sei der Begriff der „Ganztagsbildung“ gefunden worden, die Sauerwein als eine „Einheit aus Aus- und Identitätsbildung“ sieht.

Auch nach 20 Jahren sei dieses Zusammentreffen noch etwas verhältnismäßig Neues. „Bildung ist mehr als Schule“, zitierte der Sozialpädagoge und Bildungsforscher ein bekanntes Papier des Bundesjugendkuratoriums von 2002, das für den Ausbau der Ganztagsschulen grundlegend wurde. Um kritisch zu bilanzieren: „Worin dieses 'Mehr', dieses 'Andere' genau besteht, bleibt oft noch unklar.“

Autonomieunterstützung und Partizipation

Aus der Perspektive der Schul- und Unterrichtsforschung würden als Qualitätsmerkmale der Angebote vor allem die effektive Nutzung der zusätzlichen Zeit zum Lernen, die kognitive Aktivierung und die Autonomieunterstützung der Schülerinnen und Schüler gesehen. Die Sozialpädagogik beziehungsweise die außerschulische Bildung wiesen wiederum die Partizipation der Kinder und Jugendlichen und den Anschluss der Angebote an deren Lebenswelt als Qualitätsmerkmale aus.

Er betonte, dass sich Merkmale von außerschulischer Bildung im Rahmen von schulischen Ganztagsangeboten jedoch verändern. „Bislang scheint der sozialpädagogische Diskurs diese Transformationen noch weitgehend auszublenden.“ Die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ habe gezeigt, dass nur wenn die Qualität der Angebote stimme, die emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen angeregt werde. Autonomieunterstützung und Partizipation stellten sich als besonders relevant für den Bildungserfolg heraus.

Schulunterricht
© Britta Hüning

„Wir müssen uns aber bewusst machen, dass diese Qualitätsmerkmale in unterschiedlichen Kontexten natürlich auch eine unterschiedliche Relevanz haben“, so Markus Sauerwein. Bei einem fachspezifischen Förderangebot gehe es möglicherweise um etwas Anderes als in einem Spielangebot. Für die erfolgreiche Unterstützung kognitiver Kompetenzen spiele wiederum die Motivation und daher auch die freiwillige Teilnahme an Förderangeboten eine große Rolle. Die Qualität der Angebote werde von den Schülerinnen und Schülern bei freiwilliger Teilnahme meist positiver bewertet.

„Kinder merken, dass sie eine Stimme haben und gehört werden“

„Rein in die Praxis“ ging es mit Claudia Moritz und Verena Reis. Partizipation wird an ihrer offenen Ganztagsgrundschule, der Kettelerschule Bonn, an der fast alle Schülerinnen und Schüler am Ganztag teilnehmen – und somit freiwillig –, durch verschiedene Gremien sichergestellt. Einmal in der Woche tritt der Klassenrat zusammen. Die Klassensprecher bilden das Kinderparlament, aus dem wiederum Schülersprecher gewählt werden, die in der Inklusionsgruppe zusammen mit Eltern, Erzieherinnen und Erziehern und Lehrkräften vertreten sind.

Claudia Moritz verdeutlichte an einem Beispiel den Beteiligungsprozess: „Die Kinder wollten ein Fußballturnier veranstalten. Das Kinderparlament hat die Durchführung beraten, in den Klassenräten wurden Ideen dazu gesammelt. Eine Klasse hat dann die Organisation übernommen. Nach dem Turnier gab es eine kurze Reflexion im Kinderparlament, wie alles geklappt hat. Und die Schülerinnen und Schüler haben schließlich gleich das nächste Turnier geplant.“

Mittlerweile seit einem Jahr moderieren sogar schon Erst- und Zweitklässler das sogenannte Monatstreffen, bei dem fast die gesamte Schulgemeinschaft – insgesamt 300 Personen, Kinder und Erwachsene – anwesend ist. „Durch ihre Mitarbeit in all diesen Gremien merken die Kinder, dass sie eine Stimme haben, dass sie gefragt sind und ihre Meinung wichtig ist“, erzählte die Ganztagsleiterin.

Zusammenarbeit als Garant für Qualität

Ein wichtiger Angebotsstein in der Kettelerschule ist die Sprachförderung. In jeder „Lernfamilie“ – so heißen die Klassen hier – üben zwei Erzieherinnen mit den Kindern, haben aber auch – „so banal das klingt“, wie Claudia Moritz anmerkt – Zeit, sich mit den Schülerinnen und Schülern zu unterhalten. So können sie ihre Sprachkompetenzen, gerade auch nach der Zeit der Schulschließungen, wieder festigen.

Lehrerin mit Schülerin
© Britta Hüning

Verena Reis fügte hinzu: „Über die Jahre haben wir eigene Fördermittel entwickelt, darunter eigene Spiele zur Sprachförderung, mit denen sich auch die Lernentwicklung nachvollziehen lässt. Diese Spiele werden über den ganzen Tag, auch von den Lehrerinnen eingesetzt.“ Überhaupt sei die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten, ob in der Vorbereitung oder der Durchführung von Angeboten, ein Garant für hohe Qualität, genauso jedoch für die Zufriedenheit aller Beteiligten an ihrer OGS.

Die Qualität ihrer Angebote evaluiert die Kettelerschule regelmäßig. „Wir befragen Jahr für Jahr im Wechsel die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die pädagogischen Fachkräfte zur Zufriedenheit in der Schulgemeinschaft“, berichtete Claudia Moritz. „Daneben evaluieren wir immer wieder einzelne Punkte wie unsere 'Expertenzeit'.“

Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein und Selbstkompetenz stärken

Im zweiten Teil des Qualitätsdialogs waren dann wie stets alle Beteiligten gefragt. In zwei Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Aspekte der „Sozialen Entwicklung“, der „Freiwilligkeit“, der „sozialpädagogischen Qualität“ und der „Kindheitsperspektive“. Amina Kielblock vom DIPF fasste die Diskussionsergebnisse des Komplexes „Freiwilligkeit“ zusammen: „Um die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu begünstigen, an den Angeboten teilzunehmen, ist Transparenz wichtig. Die Angebote werden im Unterricht oder im Klassenrat vorgestellt. Zweitens ist es wichtig, die Kinder bei der Planung und Durchführung einzubeziehen.“

Das gilt, wie ein Teilnehmer bestätigte, genauso für die „sozialpädagogischen Qualität“: Wichtig sei, die sozialpädagogische Arbeit und die Aufgaben der Professionen transparent zu machen. In der Diskussionsgruppe habe sich das breite Spektrum der Professionen schon abgebildet: Kinder- und Jugendtherapeutinnen, systemische Berater, Erzieherinnen und Erzieher. „Bei aller Gemeinsamkeit haben wir festgestellt, dass es wünschenswert ist, die Eigenständigkeit der einzelnen Professionen anzuerkennen.“ In dieser Gruppe wurde auch der Sozialraum außerhalb der Schule als wichtig angesehen: Er sollte in die Angeboten einbezogen werden. „Eine Exkursion auf den Bauernhof macht anschaulich, wo das herkommt, was in meinem Kühlschrank steht.“

Die Gruppe „Kindheitsperspektive“ war schnell wieder bei den Themen Freiwilligkeit und Partizipation angelangt, wie ihre Sprecherin berichtete: „Freiwilligkeit ist bei den Schülerinnen und Schülern sehr anerkannt und sehr wichtig.“ Sie stoße allerdings an Grenzen, wenn ein Kind kognitiv, emotional oder sozial selbst noch nicht in der Lage sei, sich um Hilfe zu bemühen. Ein weiteres Thema in der Gruppe war die Förderung. Hier komme es auf „individuelle und situationsangepasste Förderangebote“ an, „die die Selbstwirksamkeit, das Selbstbewusstsein und die Selbstkompetenz stärken“.

Angebotsdurchführende, die für ihr Thema „brennen“

Zur Partizipation stellte die Gruppe fest, dass Kinder nicht nur bei der Gestaltung der Räumlichkeiten, sondern auch an der inhaltlichen Gestaltung der Ganztagsschule beteiligt werden sollten. „Die Schülerinnen und Schüler können sehr gut das bestehende Angebot bewerten und angeben, wie sie gerne ihre Zeit nach dem Unterricht verbringen möchten. Man kann ebenso die Eltern befragen, was sie zu Hause vielleicht nicht bieten können.“

Lehrerinnen unterhalten sich im Lehrerzimmer
Zeit für Kooperation muss eingeplant werden. © Britta Hüning

Immer wieder wichtig und zentral für die Qualität seien AG-Leiter und -Leiterinnen, die selbst für ihr Thema und ihr Ganztagsangebot „brennen“. Ihre Leidenschaft übertrage sich erfahrungsgemäß dann auf die Schülerinnen und Schüler. AGs, die Kinder und Jugendliche selbst für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler anbieten, haben ebenfalls oft besonders gute Chancen, gut angenommen zu werden.

Die stellvertretende OGS-Leiterin Verena Reis, selbst ausgebildete Erzieherin, zeigte sich zum Abschluss erfreut: „Es war schön zu hören, dass das Thema der Arbeit der pädagogischen Fachkräfte auf Augenhöhe und die Absicht, unsere Profession mehr in den Blick zu nehmen und wertzuschätzen, schon so weit entwickelt sind und sich sehr darum bemüht wird. Das fand ich bereichernd und ermutigend.“ Über dieses Resümee konnte sich auch Nora Wazinski, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIPF und Veranstalterin des Qualitätsdialogs, freuen. Sie verwies schon einmal auf die geplante Broschürenreihe, in der die Ergebnisse festgehalten werden.

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Kategorien: Bundesländer - Berlin

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