Ganztagsschulverband: „Ganztag gelingt gemeinsam“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Ganztag gelingt gemeinsam“ – unter diesem Motto fand in Bremen der diesjährige Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes statt. Verbandsvorsitzende Eva Reiter erläutert, warum es den „Nerv der Zeit“ trifft.

Eva Reiter, Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes
Eva Reiter, Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes © Claudia Pittelkow, Hamburg

Online-Redaktion: Der Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes ist gerade zu Ende gegangen. Welche Eindrücke nehmen Sie mit?

Eva Reiter: In der Kürze der Zeit konnten wir noch gar nicht alle Rückmeldungen lesen und gewichten. Aber mein Gefühl sagt mir, dass unsere rund 350 Teilnehmenden genauso wie die 17 Ausstellenden und schließlich wir selbst als Veranstalter angefüllt mit neuen Eindrücken, Ideen und Impulsen vom Bundeskongress nach Hause gefahren sind. Viele haben sicherlich wieder neue Kontakte gewonnen, denn unsere Vorträge und Workshops, die Länder- und Professionsrunden und schließlich die von der Kongressvorbereitungsgruppe und dem Landesvorstand Bremen toll organisierten Besuche in Bremer Ganztagsschulen boten hervorragende Möglichkeiten, einmal über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Unser Thema „Ganztag gelingt gemeinsam“ hat sicherlich den Nerv der Zeit getroffen. Fragen der multiprofessionellen Zusammenarbeit und Teamarbeit zogen sich wie ein roter Faden durch alle 16 Workshops, aber auch die Gespräche zwischendurch. Und es ist sicherlich die Zauberformel für gelingenden Ganztag. Ich würde unserem Motto heute sogar noch das Wörtchen „nur“ hinzufügen: „Ganztag gelingt nur gemeinsam“.

Online-Redaktion: Was ist das Besondere an den Länder- und Professionsrunden?

Reiter: Ich könnte es mir jetzt leicht machen und mit einem Wort antworten: Vernetzung. Wir organisieren auf jedem Bundeskongress zum einen Runden für den Austausch aller Teilnehmenden aus einem Bundesland zum Kennenlernen und Vernetzen für Vorhaben in dem jeweiligen Land. Zum „Austausch der Professionen“ können sich alle Personen aus einer Akteursgruppe treffen: Schulleitungen, Lehrkräfte, pädagogisches Personal, Schulverwaltungen oder auch Serviceagenturen. Die Runden sind dazu gedacht, einmal ein Ohr an das zu halten, wie es andere machen.

Ein aktuelles Beispiel: In Hamburg gibt es den Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung für alle Schulkinder bis 14 Jahre schon lange, seit 2012. Jetzt interessiert es natürlich viele aus den Bundesländern, die den Rechtsanspruch erst einführen, wie wir das gemacht haben, welche Anfangsschwierigkeiten es gab und wie diese gelöst wurden. Zeit zu haben, um solche Erfahrungen auszutauschen, ist ein wertvolles Gut unserer Kongresse. Ich weiß, dass häufig ein Ergebnis unserer Treffen ist, sich zu Hospitationen zu verabreden. Wenn das gelingt, ist das doch wunderbar. Manch einer wird sich freuen, dass er das Rad nicht noch einmal neu erfinden muss.

Online-Redaktion: Gelingt die Mischung der Professionen auf Ihrem Kongress?

Eva Reiter (re.) eröffnet den Kongress mit Silke Zimmermann (Bremen)
Eva Reiter (re.) eröffnet den Kongress mit Silke Zimmermann (Bremen) © Eva Reiter

Reiter:  Das ist ja das Erfreuliche. Wir wissen, dass an unserem Bundeskongress überwiegend Lehrkräfte und Schulleitungen teilnehmen, auch diesmal in Bremen. Doch sie bleiben nicht unter sich. Es sind Sonderpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher dabei, auch Schulverwaltungen und die Schulaufsicht sind vertreten, die Serviceagenturen Ganztag aus den Ländern und zunehmend auch Träger des Ganztags wie die Jugendhilfe. Wir wissen alle, dass multiprofessionelle Teams in der Ganztagsschule von entscheidender Bedeutung sind.

Ein wenig ist es während unserer Kongresse wie in einer guten Ganztagsschule: Gemeinsam wird überlegt, wie man Ganztag noch besser machen kann, wie die Zusammenarbeit in der Schule und mit externen Kooperationspartnern gelingt. Und so war es auch diesmal. In den unterschiedlichen Formaten wurde darüber nachgedacht und diskutiert, wie man etwa Räume gemeinsam nutzen kann. Ein immer wieder interessierendes Thema sind Vertragsfragen, also, wie Teilzeitverträge mit Kooperationspartnern sinnvoll abgeschlossen werden können. Und die wichtigste Frage: Wie können wir gemeinsam, Unterricht und Außerunterrichtliches so verzahnen, dass diejenigen davon profitieren, um dies es geht: unsere Schülerinnen und Schüler.

Online-Redaktion: Wo drückt bei den Kooperationen der Schuh am meisten?

Reiter: Ohne Frage kommt immer wieder das Thema Ressourcen auf den Tisch, personeller, aber auch zeitlicher Art. Dass wir überall einen Fachkräftemangel zu beklagen haben, ist bekannt. Daran können wir im Ganztag Tätigen nichts ändern, außer durch Mundpropaganda und durch Weitererzählen, wie wichtig unsere Aufgabe ist, aber auch, wie erfüllend sie sein kann. Was die zeitlichen Ressourcen betrifft, geht es darum, Zeiten in den Schulen zu haben, um als Team zusammenzuwachsen.

Dazu gehört, dass sich die unterschiedlichen Professionen mit ihren Kompetenzen wechselseitig besser kennenlernen und gemeinsame Bildungs- und Erziehungsziele vereinbaren. Eine gute Ganztagsschule braucht eine tragfähige Abstimmung, Arbeitsteilung und Arbeitsökonomie. Und nicht zuletzt geht es um Zeit für die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern, im Sinne von fördern und fordern. Zeit für Austausch und Kommunikation im Kollegium ist in den Arbeitszeitmodellen meist nicht vorgesehen.

Online-Redaktion: Können Sie uns eine Lösung verraten?

Reiter: Es gibt viele spannende Modelle, wie man das Problem löst. An der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg, in der ich Ganztagskoordinatorin bin, haben wir uns vom Elternrat zwei Planungstage, einmal als pädagogischer Tag, einmal als Teamtag, absegnen lassen. Das sind jeweils acht Stunden. Sie würden aber nicht reichen. Also haben wir Gesamtkonferenzen verabredet, an denen alle Professionen teilnehmen, aber wir haben auch Koordinierungszeiten für die Klassen- und Jahrgangsteams eingerichtet. Ich sage aber auch: Zeit zum Austausch zu finden, ist eine Frage des Wollens und der Kreativität.

Online-Redaktion: Wir haben jetzt über das Thema des Kongresses gesprochen. Wie gelingt das Miteinander im Ganztagsschulverband?

Der Bundesvorstand mit dem Bremer Schulamtsleiter Stephan Rademacher (2.v.re.)
Der Bundesvorstand mit dem Bremer Schulamtsleiter Stephan Rademacher (2.v.re.) © Eva Reiter

Reiter: Aktuell verzeichnen wir rund 900 Mitglieder im Bundesverband. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden diese direkt in den Landesverbänden. Da gibt es natürlich deutliche Unterschiede. Die Verbände in Hamburg, Bremen, Sachsen, Bayern und gerade auch wieder in Schleswig-Holstein sind sehr aktiv. Wir befinden uns aktuell in regen Gesprächen in anderen Bundesländern, beispielsweise in Niedersachsen und im Saarland, wo es hoffentlich zu Neugründungen kommt.

Für uns als Bundesverband ist es sehr wichtig, dass wir aus den unterschiedlichen Ländern erfahren, wo genau welcher Unterstützungsbedarf bei der Weiterentwicklung der Ganztagsschulen besteht. Dafür benötigen wir aktive Landesverbände mit Ansprechpartnerinnen und -partnern im Land. Die vergangenen Jahre haben schließlich auch gezeigt, wie unterschiedlich die Ganztagsschule von Land zu Land ausgestaltet und organisiert ist.

Online-Redaktion: Welche Ziele verfolgt der Ganztagsschulverband in naher Zukunft?

Reiter: Wir möchten die Landesverbände weiter stärken. Zu unseren Mitgliedern gehören auch Schulen, die sich entweder auf den Weg zur Ganztagsschule begeben oder die an der Qualität ihres Ganztagsangebots arbeiten möchten. Sie begleiten wir weiter. Auch der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 wird uns sicher in den kommenden Jahren beschäftigen und fordern. Gleichzeitig möchten wir unsere Mitgliederwerbung intensivieren, denn nur mit vielen Stimmen sind wir stark. Die Umgestaltung unserer Homepage soll das unterstützen.

Online-Redaktion: Wird der Verband in der Ganztagsschuldebatte immer ausreichend einbezogen?

Übergabe des Staffelstabs für München 2024
Übergabe des Staffelstabs für München 2024 © Eva Reiter

Reiter: Das kann ich nicht pauschal beantworten. Auch das ist von Land zu Land unterschiedlich. Von Verbänden und Stiftungen werden wir in den fast 70 Jahren unseres Bestehens als Expertinnen und Experten sehr geschätzt. Wöchentlich erhalten wir im Schnitt zwei Einladungen zu Veranstaltungen, die wir, das muss ich ehrlich sagen, gar nicht alle annehmen können. Wir arbeiten ja als Verband ehrenamtlich. Sicherlich gibt es immer noch Luft nach oben, beispielsweise bei bildungspolitischen Entscheidungen zu Fragen der Qualität von Ganztagsangeboten. Da haben wir uns mit unseren langjährigen Erfahrungen oft zu Wort gemeldet. Unsere Verbandszeitschrift „Die Ganztagsschule“ erscheint bereits im 63. Jahrgang, in diesem Jahr übrigens passend zum Kongress zum Schwerpunkt „Team(s) im Ganztag“.

Online-Redaktion: 2024 wird der Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes in München stattfinden. Gibt es schon ein Thema?

Reiter: Ja, für den Kongress, der vom 18. bis 20. November 2024 in München stattfinden wird haben wir den Arbeitstitel: „Kulturelle Bildung“. Da der Ganztagsschulverband 1955 in Frankfurt am Main gegründet wurde, wird der Kongress zu unserem runden Gründungsgeburtstag vom 12. bis 14. November 2025 in Frankfurt stattfinden.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Eva Reiter, Jg. 1971, ist seit 2018 die Vorsitzende des bundesweiten Ganztagsschulverbandes und seit 2016 Vorsitzende des Landesverbandes Hamburg. Die ausgebildete Lehrerin ist seit 2008 Ganztagskoordinatorin an der mehrfach ausgezeichneten Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg. Der Landesverband Hamburg hat 2018 den Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes „Demokratie in der Ganztagsschule“ ausgerichtet.

Aus dem Inhaltsverzeichnis (Auswahl) der Zeitschrift
„Die Ganztagsschule“, 63. Jg, Heft 2023: „Team(s) im Ganztag?“

Martin Hermann: Psychologische Sicherheit als eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Teams in Ganztagsschulen.

Susanna Larcher & Frank Brückel: Multiprofessionelle Zusammenarbeit an Ganztagsschulen: Chancen und Grenzen.

Corinna Maulbetsch & Annette Scheible: Kollegiale und multiprofessionelle Teamarbeit an Ganztagsgrundschulen – ein Hochschulangebot zur Professionalisierung von Studierenden.

Ruth Johnke: Alle spielen im ‚Team Reichwein‘. Teamstruktur als Grundgerüst der pädagogischen Arbeit und Entwicklung an der Adolf-Reichwein-Schule Nürnberg.

Barbara Pampe, Meike Kricke, Lisa Lemke & Antonia Blaer-Nettekoven: Wie das Projekt ‚Ganztag und Raum‘ multiprofessionelle Teamarbeit stärkt – am Beispiel des Pilotprojektes in Ulm.

Astrid Krus & Richard Hammer: Bewegter Ganztag – Bildungspotenziale fördern.

Andreas Wildgruber: Warum die Horte für die Entwicklung des Ganztags wichtig sind.

Kategorien: Kooperationen

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