Ganztagsschulverband Bayern: Neue Aufbruchstimmung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Nach Jahren der Pause hat Bayern seit 2021 wieder einen Ganztagsschulverband. Das Vorstandsteam um den Vorsitzenden Dr. Volker Titel will die Aufbruchstimmung früherer Jahre aufnehmen und neue Akzente setzen.
Online-Redaktion: Bayern ist doch immer für eine Überraschung gut. Der Rekordmeister entlässt den Trainer und der Ganztagsschulverband wird wieder belebt. Was ist passiert?
Dr. Volker Titel: (schmunzelt) Der Fall Nagelsmann ist schon wirklich speziell... Beim Ganztagsschulverband Bayern kam es nicht ganz so überraschend. Vor rund 20 Jahren als der Ganztagszug in Deutschland zu rollen begann, gab es schon einmal einen Landesverband. Doch irgendwie ging der Schwung nicht weiter. Die Verbandsaktivitäten schliefen Stück für Stück ein, sodass man eigentlich sagen muss, der Verband existierte bis 2021 nicht mehr, Dennoch blieb der Wunsch nach einem eigenen Landesverband lebendig.
Wenn wir als Einzelpersonen am Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes teilnahmen, wurden wir immer häufiger mit der Frage konfrontiert, warum es denn ausgerechnet in Bayern so schwierig sei mit einem Landesverband. Es gab in Bayern seit 2008 tolle Ganztagsschulkongresse, auf denen zum Beispiel über eine bessere Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten beraten wurde. 2012/2013 entstanden im Auftrag des Kultusministeriums hervorragende Qualitätsrahmen für Ganztagsschulen. Es gab eine Aufbruchstimmung.
Hinzu kam die Entwicklung der Ganztagsangebote im Freistaat. In immer mehr Schulen wurden offene und gebundene Ganztagsklassen eingerichtet. Und für Grundschulen war ein Meilenstein, dass ab 2016 die Umwandlung von Mittagsbetreuungen in Offene Ganztagsschulen, kurz: OGTS, möglich wurde. Auch die Diskussion um einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung spielte eine zunehmende Rolle. Kurz: Die Zeit war reif, und eine kleine Gruppe von Ganztagsengagierten übernahm die Initiative.
Online-Redaktion: Was sind Ihre konkreten Ziele?
Titel: Wir wollen an die erwähnte Aufbruchstimmung anknüpfen und ein Forum sein für all jene, die sich als Träger dieser Angebote sowie als Pädagoginnen und Pädagoginnen in der Praxis für guten Ganztag engagieren. Ich gebe zu, dass wir vor der Gründungsversammlung ein wenig aufgeregt waren. Hatten wir alles ordnungsgemäß und fristgerecht vorbereitet? Würden ausreichend Mitglieder zusammenkommen, um einen Landesverband etablieren zu können? Wir wurden nicht enttäuscht. Zu unserem online veranstalteten Treffen am 12. November 2021 kamen genug Interessierte. Mit viel Zuversicht und auch etwas Pathos wurde es vollbracht.
Online-Redaktion: In Sachsen war 2019 Ähnliches passiert. Haben Sie sich mit den dort Handelnden ausgetauscht?
Titel: Ja, das war wichtig für uns. Wir haben uns tatsächlich mit dem dortigen Vorstand des Landesverbandes, speziell mit Christoph Bülau, intensiv ausgetauscht und hilfreiche Tipps bekommen. Der Austausch ist bis heute rege, wie auch mit dem Landesverband Hessen, mit dem wir eng kooperieren.
Online-Redaktion: Was macht den bayerischen Verband für Ganztagsschulen, Institutionen, Träger des Ganztags oder potenzielle Kooperationspartner wie Sportvereine interessant?
Titel: Wir möchten einerseits eine Stimme gegenüber der Bildungspolitik sein. Das ist wichtig. Wir möchten vermitteln, wo die Bedürfnisse der Praxis liegen. Doch wir möchten auch den Austausch von Ganztagsschulen untereinander, das Netzwerken deutlich steigern. Wir spüren ein unglaubliches Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln. Viele möchten den Ausbau von Ganztagsangeboten mit einem neuen Bildungsverständnis verbinden, denn Schule kann für unsere Kinder mehr sein als kurzgetakteter Unterricht mit Notendruck und Hausaufgaben. Dabei wollen wir sie unterstützen.
Wichtig ist uns, dass dabei verschiedene Sichtweisen und Perspektiven vertreten werden – sowohl der Grund- und weiterführenden Schulen, der öffentlichen und auch der freien Träger, der Kommunen, der Bildungsverwaltung und der Wissenschaft. Die Zusammensetzung unseres Vorstands entspricht diesem Ziel. Vorstandsmitglieder sind aktuell Jörn Bülck, der ehemalige Schulleiter der Seerosenschule Poing, Thomas Dendl, der Leiter der Offenen Ganztagsschulen in der Stadt Bad Reichenhall, Sabine Haering vom Referat für Bildung und Sport der Stadt München, Ruth Johnke, die Schulleiterin der Adolf-Reichwein-Schule Nürnberg, Helmut Klemm, der Schulleiter der Eichendorffschule Erlangen, Doris Mehringer, die OGTS-Koordinatorin des Gregor-Mendel-Gymnasiums Amberg und Kristina Unsleber vom Idealverein für Sportkommunikation und Bildung in Schweinfurt.
Online-Redaktion: Wie viele Mitglieder arbeiten im Landesverband?
Titel: Bislang haben wir 80 Mitglieder, die jedoch für viel mehr Personen stehen, denn rund die Hälfte dieser Mitglieder sind Institutionen: Schulen, Träger von Ganztagsangeboten oder Kommunen. An unseren Online-Veranstaltungen haben schon mehr als 120 Personen teilgenommen. Wir spüren das enorme Engagement in den Schulen und sind sicher, dass sich der Kreis der Interessierten stetig vergrößern wird.
Online-Redaktion: Sie erwähnten bereits, dass Schule mehr sein könne als „kurzgetakteter“ Unterricht. Glauben Sie, die Halbtagsschule hat ausgedient?
Titel: Es gibt die Halbtagsschule weiterhin. Aber ein Blick in gute Ganztagsschulen belegt, dass Bildung umfassender sein sollte als Unterricht. Wir haben die Chance, formale und nonformale Lerngelegenheiten zu verbinden und dabei die Expertise anderer Bereiche und Einrichtungen wie der Kinder- und Jugendhilfe, des Sports oder der kulturellen Bildung einzubeziehen. Mit der zunehmenden Etablierung von Ganztagsschulen beteiligen sich beispielweise Träger der Kinder- und Jugendhilfe mehr und mehr als Kooperationspartner dieser Angebote, auch in Bayern. Als Ganztagsschulverband sehen wir das Potenzial dieser Kooperationen.
Online-Redaktion: Wo sehen Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der Verbandsarbeit?
Titel: Wir wünschen uns noch stärker als bislang einen rhythmisierten Ganztag. Über solche Fragen diskutieren wir aktuell im Landesverband, ohne dass wir hierzu bereits eine fest formulierte Position hätten. Wir diskutieren beispielweise, ob die unterschiedlichen Ganztagsmodelle nicht ein wenig flexibler gestaltet werden könnten. Warum beispielsweise soll es nicht eine gebundene Kernzeit an Grundschulen geben? Vielleicht bis 14 Uhr. Dann könnte man in diesem Zeitfenster schon einmal stärker rhythmisieren und nach 14 Uhr freiwillig wählbare Angebote unterbreiten.
Natürlich nimmt der Rechtsanspruch einen breiten Raum ein. Hier herrscht nach unserem Empfinden noch viel Unsicherheit. Wie soll der Rechtsanspruch von den Kommunen umgesetzt werden? Welches Personal mit welchen Qualifikationen wird benötigt? Und woher soll das Personal kommen? Wir möchten ein Forum für den Austausch sein, nicht nur online, sondern auch in Präsenz. Am 6. Oktober dieses Jahres werden wir in der Erlanger Eichendorffschule einen bayernweiten Fachtag zum Thema Partizipation von Schülerinnen und Schülerinnen veranstalten.
Und ich kann schon jetzt auf ein Highlight für hinweisen: Der große Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes wird 2024 zum Schwerpunkt „Kulturelle Bildung“ in München stattfinden. Das wird für uns als frischgebackenem Verband auch in Sachen Organisation und Selbstpräsentation ein Meilenstein.
Online-Redaktion: Wie möchten Sie Ihre Mitglieder bis dahin erreichen, mit ihnen kommunizieren?
Titel: Seit unserem Online-Neujahrsempfang 2022 laden wir monatlich an jedem letzten Dienstag im Monat zu einem Online-Café ein. Dazu greifen wir jeweils ein aktuell wichtiges Thema auf, das dann für diesen Abend den Austausch beherrscht. Schon jetzt erleben wir trotz aller Vorteile von Präsenzveranstaltungen den großen Zulauf bei diesem Format. Für anderthalb Stunden schalten sich viele zu, die eine weite Anreise nicht schaffen würden. So waren zuletzt im Februar Elternvertretungen aus Schulen, aus dem gesamten Freistaat und sogar der Bundeselternrat dabei. Und jetzt ganz aktuell im März gestalteten Schülerinnen und Schüler das Online-Café. Da ging es um Themen wie politische Bildung, Partizipation und überhaupt die Organisation des Ganztags.
Online-Redaktion: Was treibt Sie beim Blick in die Zukunft des Ganztags um?
Titel: Positive Erkenntnisse. Bayern hat vor 20 Jahren etwas zögerlicher als andere mit dem Ganztag begonnen. Doch der Ausbau und das Tempo sind seit Jahren erstaunlich. Ich bin optimistisch, dass dies so weitergeht. Wichtig ist uns als Ganztagsschulverband, dass die Gestaltung des Ganztags als Bestandteil der Schulentwicklung insgesamt angepackt wird. Dies ist nicht immer eine leichte Aufgabe, aber eine wichtige und auch spannende.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Bundesländer - Thüringen
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