Ganztags fit machen für die Verbraucherrolle : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Für Daniella Schenkenhofer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg bietet der Ganztag besonders gute Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche auf ihre Rolle als Verbraucherin und Verbraucher vorzubereiten.
Online-Redaktion: Warum ist frühe Verbraucherbildung wichtig?
Daniella Schenkenhofer: Ihre naturgegebene Neugier macht es Kindern besonders leicht, Sachverhalte zu verstehen, zu lernen. Sie lernen nicht nur Schreiben und Rechnen, sondern auch, sich in unserer Welt zurechtzufinden. Und dazu sollte eben auch das Bewusstsein gehören, dass wir alle in unserer Gesellschaft eine Rolle als Verbraucherinnen und Verbraucher einnehmen. Dabei geht es um noch viel mehr als um den Umgang mit unserer Natur, der Umwelt, der Ernährung im Sinne von Nachhaltigkeit.
Es geht darum, die Kompetenz zu entwickeln, sich selbstbestimmt in dem Spannungsverhältnis von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite bewegen zu können. Wir thematisieren dieses Spannungsverhältnis auf kindgerechte Art und Weise und bemühen uns, eine Handlungskompetenz zu vermitteln, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler zu selbstbestimmten und kritischen Verbraucherinnen und Verbrauchern heranwachsen.
Online-Redaktion: Wie sieht das konkret aus?
Schenkenhofer: Die Schülerinnen und Schüler erhalten zum Beispiel den fiktiven Auftrag, sich zu entscheiden, an welchem von mehreren Verkaufsständen sie Pommes Frites kaufen. Sie sehen, dass es unterschiedliche Preise gibt, dass es an einem Stand den Ketchup scheinbar umsonst dazu gibt, sie erleben, dass sie an einem Stand lange anstehen müssen und am anderen direkt bedient werden. Schon diese kleine Übung führt dazu, dass sich die Kinder mit ihren Bedürfnissen auseinandersetzen. Sie reflektieren, was ihnen wichtig ist, was und wo sie einkaufen.
Online-Redaktion: Sie wählen also bewusst möglichst realitätsnahe Szenarien?
Schenkenhofer: Zu theoretisches oder „abgedrehtes“ Unterrichtsmaterial erreicht Schülerinnen und Schüler nicht. Sie sollten gerne auch zeitnah etwas Ähnliches in ihrem Alltag erleben und das Erfahrene umsetzen und anwenden können. Daher geht es in den unteren Klassen zumeist um die eigenen Wünschen und Bedürfnisse. Sie lernen, dass man sich zwar viel wünschen, aber nicht alles kaufen kann: Was kann ich mir von meinem Taschengeld leisten und wie bekomme ich die für mich passendste Gegenleistung? Es geht also um die selbstbestimmte Kaufentscheidungen. Später, in den älteren Jahrgängen, fördern wir das Wissen über Verbraucherrechte, Garantie- und Gewährleistungen, über Verträge und natürlich auch das Wissen über Werbung, deren Absichten und Wahrheitsgehalt.
Online-Redaktion: Wie können Sie Kindern und Jugendlichen zu einem wachsamen Verhältnis zur Werbung, die in fast allen Medien auf uns alle einprasselt, verhelfen?
Schenkenhofer: Werbung findet inzwischen fast überall statt – mal offen, mal in versteckter Form. Wir sensibilisieren dafür, dass Unternehmen kein Geld für Werbung in die Hand nehmen, weil sie so nett sind. Wenn Firmen im Kinderkanal aktiv werden, haben sie genau ein Ziel: Kunden für morgen, ja fürs Leben zu gewinnen. Sie müssen nur einmal schauen, was beispielsweise rund um Fußball-Weltmeisterschaften in den Geschäften los ist. Vordergründig geht es ums Sammeln von Bildern der Idole, doch eigentlich geht es darum, im Kopf die Verknüpfung zu Produkten des Unternehmens herzustellen. Unternehmen nutzen die Sammelbegeisterung von Kindern, um ihre Marke mit einem positiven Ereignis zu verknüpfen. So lassen sich möglicherweise (lebenslange) Kundinnen und Kunden gewinnen. Diese Zusammenhänge verdeutlichen wir beziehungsweise unterstützen wir die Schulen in diesem Bemühen. Darüber hinaus bieten wir in Kooperation mit den Volkshochschulen Vorträge über die Wirkung von Werbung in sozialen Medien an.
Online-Redaktion: Welche Materialien stellen Sie Schulen zur Verfügung?
Schenkenhofer: Wir haben für die unterschiedlichen Altersstufen aller allgemeinbildenden Schulen mehr als 50 unterschiedliche Unterrichtsmaterialien entwickelt. Sie reichen von Wimmelbildern, über Poster, Erklärvideos bis hin zu konkreten Arbeits- und Aufgabenblättern, die häufig Partnerarbeit ermöglichen. In der Grundschule können die Materialien aktuell in Deutsch, Kunst und Werken, Mathematik und im Sachkundeunterricht eingesetzt werden, gerne auch fachübergreifend. Für die weiterführenden Schulen stellen wir Material für die Fächer Deutsch, Englisch, Ethik, Französisch, Gemeinschaftskunde, Geschichte, Mathematik, Musik und Wirtschaft, aber auch für Kurse zur Alltagskultur, Ernährung, Soziales oder die Berufs- und Studienorientierung zur Verfügung. Zu allem bieten wir Fortbildungen an. Darin geht es auch um den Einsatz unserer Materialien, die allerdings selbsterklärend sind.
Online-Redaktion: Wie gelingt die Verbindung zu den Fachkompetenzen, die laut Lehrplänen vermittelt werden sollen?
Schenkenhofer: Viele der Verbraucherkompetenzen bauen auf Fachkompetenzen auf. So kann in der Primarstufe die Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt am Beispiel altersgerechter Verbrauchersituationen erfolgen, wie zum Beispiel im Freibad, auf dem Weihnachtsmarkt oder im Supermarkt. Schreib- und Sprachkompetenzen können ebenfalls mit Verbraucherkompetenzen kombiniert werden. So üben Schülerinnen und Schüler beim Schreiben eines Beschwerdebriefes sowohl das Verfassen eines kohärenten Textes als auch das Durchsetzen der eigenen Interessen gegenüber Anbietern.
Online-Redaktion: Welche besonderen Möglichkeiten der Verbraucherbildung bieten Ganztagsschulen?
Schenkenhofer: Allein das Mehr an Zeit und Möglichkeiten stellt ein riesiges Potenzial für die Verbraucherbildung dar. Zahlreiche Projekte sind da möglich. Wenn beispielsweise ältere Schülerinnen und Schüler ein Aufklärungsvideo zur Werbung, zu nachhaltigem Konsum oder zu Verbrauchergewohnheiten für Jüngere drehen, stößt dies bei diesen zumeist auf eine noch größere Resonanz und Akzeptanz, als wenn wir Erwachsenen so etwas entwickeln. Dabei kann man sich zum Beispiel vorstellen, dass die Älteren ihren Input zu sozialen Medien und Werbung im Unterricht erhalten und in Arbeitsgemeinschaften des Ganztags dann die Videos produzieren. Diese wiederum können dann sowohl im Unterricht der unteren Jahrgangsstufen oder in speziellen Arbeitsgemeinschaften genutzt werden.
Online-Redaktion: Was kann ich als (Ganztags-) Schule außerdem tun, um die Sinne der Kinder und Jugendlichen zu schärfen?
Schenkenhofer: Sie können sich für die bundesweite Auszeichnung „Verbraucherschule“ bewerben. In einer „Verbraucherschule“ nehmen sich alle des Themas besonders intensiv an, planen und führen Projekte durch, die über den Unterricht hinausgehen. Hier werden Schülerinnen und Schüler gezielt auf das Leben als Verbraucherinnen und Verbraucher vorbereitet. Das dazu gehörige „Netzwerk Verbraucherschule“ unseres Bundesverbandes dient als Austausch- und Informationsbörse. Ihm kann eine Schule übrigens auch beitreten, ohne selbst bereits Verbraucherschule zu sein. Doch gleichgültig, ob Verbraucherschule, Projektwoche in der Schule, Arbeitsgemeinschaft oder Bestandteil des Unterrichts: Wichtig ist, dass wir unsere Kinder auf das Leben vorbereiten, jedes einzelne befähigen, sich im Spannungsfeld der gegensätzlichen Interessen selbstbestimmt zu behaupten und die eigenen berechtigten Interessen und bestehenden Rechte durchzusetzen.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Kooperationen - Lokale Bildungslandschaften
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