Angeln im Ganztag: Riesenpalette an Möglichkeiten : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Diplom-Biologe Christoph Wittek hat viel Erfahrung in der Arbeit mit Ganztagsschulen. Für den Landesanglerverband Mecklenburg-Vorpommern begeistert er Schülerinnen und Schüler im Projekt „Angeln macht Schule“.
Online-Redaktion: Herr Wittek, zum Start die Frage eines Laien: Muss man angeln können, um im Landesanglerverband Mitglied zu sein?
Christoph Wittek: Nein, muss man nicht. Anglervereine leisten mehr, als „nur“ gemeinsam zu angeln, was vielen Menschen nicht bekannt ist. Auch mir war, als ich den Angelschein gemacht habe, nicht bewusst, was am Angeln alles dranhängt. Viele Vereine betreuen ein Gewässer, an denen sie Gewässerförderungsmaßnahmen durchführen, zum Beispiel entsprechende Stellen freischneiden, Müll einsammeln und manchmal ganze illegale Müllabladeplätze mit Kühlschränken und so weiter beseitigen. Es gibt Vereine, die kartieren Laichgebiete von Lachsartigen, um die Wanderfische zu erhalten. Ein ganz großes Anliegen von uns ist es, die Qualität und die Durchgängigkeit der Fließgewässer zu erhöhen. Auch die Biodiversität zu erhöhen, ist unser Ziel. Deshalb schützen und unterstützen wir ganz gezielt bedrohte Fischarten wie Aal, Quappe und Meerforelle.
Online-Redaktion: Wie viele Mitglieder haben Sie?
Wittek: Insgesamt gibt es hier in Mecklenburg-Vorpommern etwa 100.000 Angler, und das Angeln ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Der Landesanglerverband ist mit 44.913 Mitgliedern zugleich der größte Naturschutzverband in Mecklenburg-Vorpommern. Unser Verband arbeitet auch mit den Fischern zusammen. Wir verfügen über viele Gewässer, zum Teil gepachtet, einige besitzen wir auch selbst – insgesamt sind es über 800 mit etwa 25.000 Hektar Fläche, in denen die Mitglieder mit ihrer Jahresangelerlaubnis angeln dürfen.
Da wir so viele Mitglieder haben, sind wir finanziell gut ausgestattet und können viele Projekte unterstützen, zum Beispiel Naturschutzprojekte wie die Ansiedlung von Eisvögeln und Gewässerrenaturierung. Wir bringen auch kleine Bücher wie „Das Angel-Einmaleins“ oder „Der kleine Besserwisser“ heraus, die beispielsweise Informationen über Angeltechniken und natürlich über das „Tier unserer Leidenschaft“ und seinen Lebensraum enthalten.
Online-Redaktion: Wie steht es um die Kinder- und Jugendarbeit?
Wittek: Wir wissen, wie wichtig es ist, in den Kindern die Liebe zur Natur zu wecken: Wir schützen, was wir nutzen. Die Anglervereine sind außerdem in ihrer Alltagsstruktur teilweise recht fortgeschritten und haben natürlich ein Interesse, junge Mitglieder zu gewinnen. Dabei unterstützt der Verband sie finanziell und mit Projekten wie „Angeln macht Schule“. Hier geht es nicht allein darum, für das Fischen zu werben, sondern die Grundlagen für den Fischereischein zu legen. „Angeln macht Schule“ beschäftigt sich mit allen Themen, die dafür relevant sind. Ursprünglich hatten wir es als halbjährliches Angebot für Ganztagsschulen konzipiert. Aber das erwies sich als unrealistisch, weil allein schon die theoretischen Inhalte ein halbes Jahr beanspruchen.
Für die Schülerinnen und Schüler kam da das eigentliche Angeln einfach zu kurz. Wir haben deshalb nach Beginn der Pilotphase vor drei Jahren in unseren beiden Pilotschulen, der Regionalen Schule „Prof. Dr. Friedrich Heincke“ in Hagenow und der Grund- und Regionalen Schule am See in Satow, das Projekt auf ein ganzes Schuljahr erweitert, damit die Praxis mehr zu ihrem Recht kommt.
Online-Redaktion: Was sind Inhalte von „Angeln macht Schule“?
Wittek: Das ist eine Riesenpalette. Bei der Gerätekunde geht es unter anderem um die Angeln, die Köder und Angeltechniken. In der allgemeinen Fischkunde wird viel aus dem Biologie-Lehrplaninhalt der 5. Klasse wiederholt und vertieft, unter anderem über den Aufbau der Fische, ihre Organe, wie sie leben, wie sie sich ernähren und wie man sie waidgerecht behandelt. Dann kommt die spezielle Fischkunde, wo es in die Artenkenntnis hineingeht. In der Gewässerkunde wird die Gewässerökologie aufgegriffen, die in der Schule sonst erst im Biologieunterricht der Klassen 9 und 10 vorkommt: Fließgewässer, Standgewässer, Nahrungsketten und Nahrungsverteilung. Und dann ist da noch die Rechtskunde mit den naturschutzrechtlichen Aspekten sowie den Rechten und Pflichten der Anglerinnen und Angler.
Ich habe in den vergangenen drei Jahren die Inhalte und die kompletten Unterrichtsabläufe erstellt und das Material während dieser Zeit laufend verändert und angepasst, nachdem ich es im Unterricht ausprobiert habe. Dabei habe ich auf Methodenvielfalt geachtet, damit es nicht nur in Erwachsenenreferate und Frontalunterricht ausartet. Die Schülerinnen und Schüler selbst sind gefragt, und derjenige, der vorne steht, begleitet das Ganze nur.
Teilweise habe ich das mit den Schülerinnen und Schülern zusammen erarbeitet, sie und die Dozenten beispielsweise in der zweiten Hälfte der Pilotphase befragt, was gut und was weniger gut angekommen ist. Jetzt drucken wir die finale Materialsammlung, um sie demnächst in einem Ordner, aber auch in digitaler Form den Vereinen und Schulen zur Verfügung zu stellen. Jeder Dozent kann dann damit vor die Klassen treten und arbeiten. Es gibt Info- und Arbeitsblätter und Vorschläge für Gruppenarbeit, alles ansprechend farblich gestaltet und zum Teil auf wasserabweisendem Papier.
Online-Redaktion: Für welche Altersstufe ist das Projekt konzipiert?
Wittek: Es richtet sich hauptsächlich an Fünft- und Sechstklässler, die Altersgruppe von 10 bis 13 Jahren. Der Landesanglerverband würde auch gerne jüngere Schülerinnen und Schüler ansprechen, aber mit diesem Umfang muss es in den weiterführenden Schulen stattfinden. Da es aber immer wieder Anfragen von Grundschulen gegeben hat und gibt, haben wir zumindest Teile der Inhalte dort angeboten, was auch gut angekommen ist.
Online-Redaktion: Die wenigsten Schulen dürften Angeln besitzen. Wie kommen die Schülerinnen und Schüler zu ihren Geräten?
Wittek: Mit unserem Infomobil, das wir ähnlich wie einen Fischverkaufswagen gestaltet haben, bringen wir unser Infomaterial unter der Überschrift „Gewässer erleben“ und die Angelgerätschaften an die Ganztagsschulen und an Schulen, die uns für einzelne Projekt- oder Wandertage anfragen. Unser Verband stellt die Angeln als Leihmaterial und das Verbrauchsmaterial wie Köder und Schnüre. Darum müssen sich die Schulen nicht kümmern.
Per Binokular können die Schülerinnen und Schüler sich die Nährorganismen genau anschauen. Daraus leiten sie ab, welche Gewässerqualität herrscht, woraus sie wiederum Rückschlüsse auf die vorkommenden Fischarten ziehen. Und natürlich können die Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Veranstaltung an den von uns gepachteten Gewässern kostenlos und bis zu einem Alter von 14 Jahren auch ohne Fischereischein angeln. Das Angebot ist für Gruppen von etwa zehn Schülerinnen und Schülern konzipiert, bei größeren Gruppen wird der praktische Teil schon schwierig, wobei dies natürlich abhängig von der Erfahrung der durchführenden Person ist.
Online-Redaktion: Wer führt das Projekt an den Schulen durch?
Wittek: Wir hatten ursprünglich geplant, Lehrerinnen und Lehrer einzuspannen, die den Theorieteil übernehmen – und, wenn sie angeln können, auch die Praxis. Aber wir haben Lehrermangel in Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe es selbst an den Schulen miterlebt, dass es aufgrund der Mehrbelastung schwierig ist, die Lehrkräfte noch über den Unterricht hinaus für Angebote zu verpflichten. So ist die Kinder- und Jugendarbeit in unseren Vereinen ins Spiel gekommen. In fast allen Anglervereinen gibt es Jugendwarte, die unsere Ansprechpartner sind.
An zwei Schulen, der Regionalen Schule Banzkow und der Regionalen Schule „Heinrich Schliemann“ in Möllenhagen, gibt es Jugendwarte, die mit unserem Arbeitsmaterial arbeiten. Bei beiden Schulen war das Interesse übrigens von den Vereinen ausgegangen. Und das ist toll, denn die Jugendwarte wissen natürlich genau, was sie selbst an Materialien in die Ganztags-AGs mitbringen können, um das Theoretische noch anschaulicher zu machen. Die Kinder und Jugendlichen schauen sich dann nicht nur Bilder vom Angeln an, sondern können das Angelmaterial anfassen und natürlich sogar selbst angeln. Und es gibt einen direkten Ansprechpartner vor Ort – da profitieren die Schülerinnen und Schüler, die Schule und der Verein, der neue Mitglieder gewinnen kann.
Wer aktive Jugendarbeit macht, der ist in seinem jeweiligen Dorf sowieso schon bekannt wie ein bunter Hund. Auf diesen Pool von unglaublich engagierten Ehrenamtlichen können wir glücklicherweise zurückgreifen. Und Hut ab vor den Vereinen und Jugendwarten, die schon lange vor „Angeln macht Schule“ dieses Angebot in die Ganztagsschulen getragen haben!
Online-Redaktion: Schließen die Vereine mit den Schulen Kooperationsvereinbarungen?
Wittek: Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern Kooperationsvereinbarungen für ganztägiges Lernen. Unser Bildungsministerium hat da ordentlich was bewegt, und ich bin sehr froh, dass es diese Vereinbarung gibt. Der Landesanglerverband managt für die Vereine die Bürokratie und stellt zum Beispiel die Rechnungen für Aufwandsentschädigungen. Wenn es mal Hürden bei Kooperationsvereinbarungen gegeben hat, sind die über die Schulämter schnell beseitigt worden. Das ist toll gelaufen bei uns.
Online-Redaktion: Wie häufig finden die AGs statt?
Wittek: In der Regel einmal in der Woche als Doppelstunde, meistens sind es die letzten beiden Stunden des Schultages. Manchmal liegt das Angebot, so wie in der Regionalen Schule Satow, auch in der Mittagszeit. Theorie und Praxis halten sich dabei die Waage, wobei sich beides sehr gut kombinieren lässt: Die Gewässerkunde lässt sich zum Beispiel mit einem Ausflug an einen See verbinden, was nebenbei auch noch die Erkundung der näheren Umgebung ermöglicht und den Bezug zur Heimat stärkt.
Online-Redaktion: Was interessiert die Schülerinnen und Schüler neben dem praktischen Angeln am meisten?
Wittek: Die Fischpräparation. Die beinhaltet natürlich auch einen emotionalen und moralischen Teil, auf den wir eingehen. Es gibt manchmal Schülerinnen oder Schüler, die das nicht möchten. Dazu empfehlen wir in den Materialien, dass Schülerinnen und Schüler nur freiwillig daran teilnehmen. Die Kinder und Jugendlichen interessiert auch sehr, welche Tiere noch im und am Wasser vorkommen – Vögel, Bisamratten, Libellen, Würmer, Flohkrebse, Wasserflöhe und vieles mehr. Unter den stark vergrößernden Binokularen sehen die Schülerinnen und Schüler Tiere, die wie Aliens aussehen und die sie noch nie gesehen haben. Wenn sie dann verstehen, dass das gesamte Gewässer von so vielen verschiedenen Lebewesen bewohnt wird, haben wir schon etwas erreicht. Wir wollen in unseren Jüngsten das Verständnis und die Liebe zur Natur wecken.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Lernkultur und Unterrichtsentwicklung
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