Vor Ort für den Ganztag: Schulgartennetzwerke : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
„Jedes Kind hat ein Recht auf Schulgarten“ – diesem Motto ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten verpflichtet. Ihre Jahrestagung zeigte, wie engagierte Netzwerke in den Ländern diesem Anspruch gerecht werden.
„Wie, ihr habt auch einen Schulgarten?“ Birgitta Goldschmidt hat es auf einem der von ihr organisierten Treffen eines Schulgartennetzwerks erlebt, dass erst dort eine Lehrerin entdeckte, dass die Nachbarschule auch einen Schulgarten hat. Für die freiberufliche Referentin für Schulgarten und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) eine Begebenheit, die ihr den Zweck und Nutzen von Netzwerken vor Augen führte: Begegnungen ermöglichen Austausch und neue Einsichten und bahnen Kooperationen an.
Birgitta Goldschmidt, die bereits Netzwerke in mehreren Bundesländern sowohl geschmiedet als auch „nur“ begleitet hat, ist mit ihrem Engagement für den Schulgarten nicht allein. Das bewies die Jahrestagung „Schulgartennetzwerke“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten e.V. (BAG Schulgarten) am 9. September 2020. Ursprünglich war das Jahrestreffen in Münster im dortigen Schiller-Gymnasium mit seinem Schulgarten geplant. Schulen im Münsterland, die sich für eine naturnahe Gestaltung des Schulgeländes und naturkundliches Lernen engagieren, sollten sich dort vorstellen.
Schirmherrin der Jahrestagung war Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen. In ihrem Grußwort hob sie die Bedeutung von Schulgärten als „wesentliche Lernorte in der Schule“, die „außerordentliche Lernerfahrungen mit besonderen Erlebnissen verbinden“ und die zudem die Möglichkeit bieten, Unterricht nach draußen zu verlegen. „Die Schülerinnen und Schüler erleben aus eigener Anschauung unsere Natur- und Pflanzenwelt und gewinnen Einblick in unsere Garten- und Landschaftskultur. Dies hilft, einen ökologisch verträglichen und respektvollen Umgang mit Landschafts- und Naturräumen zu erlernen.“ Nicht zuletzt können in diesem Zusammenhang auch Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel angesprochen werden, die auch die Schülerinnen und Schüler der „Fridays for Future“-Generation ansprechen.
Nun fand die Jahrestagung erstmals als Online-Tagung statt. Für ein Thema wie Schulgarten nicht optimal, bei dem das direkte Anschauen und Erleben vor Ort natürlich besonders wesentlich ist. Aber nun konnten Schulgartenfreunde „von Rostock bis zum Bodensee dabei sein und klimaneutral anreisen“, wie die BAG-Vorsitzende Prof. Dorothee Benkowitz augenzwinkernd bei ihrer Begrüßung meinte. Dem lebhaften Austausch tat das Format keinen Abbruch. Schulgartenengagierte aus Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern präsentierten ihre Netzwerke und blieben bei den vielen Nachfragen der knapp 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer keine Antwort schuldig.
Niedersachsen: Andrang auf regionale Netzwerke
Die Lebhaftigkeit im Kreis der BAG Schulgarten findet ihre Entsprechung in der bundesweiten Schulgartenbewegung, die in den letzten Jahren an Zulauf gewinnt. Schulgärten sind wieder „angesagt“, wie die Teilnehmenden bestätigten. So berichtete zum Beispiel Marie Bludau, BNE-Fachreferentin des Landes Niedersachsen, von einem großen Andrang außerschulischer Partner auf die regionalen Netzwerke in Braunschweig, Hannover, Lüneburg und Osnabrück. Sie gab den Rat, Schulgartentage jährlich und nicht nur alle zwei Jahre zu organisieren, „weil das Interesse einfach da ist“.
Mit Ute Aderholz vom Umweltbildungszentrum Ammerland präsentierte sie das seit 2018 bestehende niedersächsische Netzwerk Schulgarten – „ein junges Netzwerk im Wachsen, das eine tolle Entwicklung nimmt“, so Marie Bludau. Ausgangspunkt waren die Schulgartentage, bei denen die „Nachfrage schon immer groß war“. Und es gingen immer mehr Anfragen im Niedersächsischen Kultusministerium ein, ob nach Unterstützung beim Aufbau von Schulgärten oder um brachliegende Schulgärten wieder aufleben zu lassen. „Die Frage, die sich nun stellte, war, wie man die Partner in diesem Bereich zusammenbringt“, berichtete Marie Bludau.
Das Kultusministerium und das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) fördern nun auch die Kooperation mit der Landesgruppe der BAG Schulgarten. Zusätzliche Unterstützung der regionalen Netzwerke leistet die Fachberatung BNE der Landesschulbehörden. In den regionalen und lokalen Netzwerken entstehen Materialien für die Praxis. Eine „Schulgarten-Bildungscloud“ ist in Planung. Schulgartentage und Fachforen werden organisiert. Außerdem bestehen Kontakte zu den Universitäten, insbesondere den Fachbereichen Biologiedidaktik. Für 2021 ist ein Fachforum „Biologische Vielfalt und Klimawandel“ geplant.
In Hessen koordiniert Silvia Fengler das Netzwerk Schulgarten, das an das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angebunden ist. Mitglieder des Netzwerks sind die Naturschutz-Akademie Hessen, das Kultusministerium mit dem Projekt „Umweltschule“, der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, der Landesverband Hessen für Obstbau, Garten und Landschaftspflege e. V. und das Umweltzentrum Hanau. Auch die BAG Schulgarten gehört dazu.
„Aktuell arbeiten bei uns rund 250 Gärtnerinnen und Gärtner mit“, berichtete Silvia Fengler. „Unser Netzwerk wächst ständig.“ Zu ihm gehören Lehrkräfte, außerschulische Multiplikatoren und Ehrenamtliche, unterstützt von Vereinen, Verbänden, der Wirtschaft und Universitäten an neun Standorten. Das Umweltministerium arbeitet eng mit dem Kultusministerium zusammen und bietet den Schulen vielfältige Projekte. Die Themen reichen von Ernährung über Energiesparen bis zum Thema Migration. Die zahlreichen Fortbildungen sind oft schnell überbucht.
Fünf regionale Schulgartennetzwerke gibt es in Rheinland-Pfalz: Koblenz, Eifel-Mosel-Hunsrück, Mitte, Westpfalz und Südpfalz. Birgitta Goldschmidt, die das Koblenzer Netzwerk koordiniert, begründete das damit, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht weite Anfahrtswege für den Austausch haben dürften. Die Koordination der Netzwerke haben die BNE-Beraterinnen des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz und teilweise auch Ehrenamtliche übernommen. Viermal im Jahr gibt es die Netzwerktreffen und thematische Fortbildungen, immer an anderen Orten in Schulen. „Wir besichtigen Schulgärten und tauschen in einer Wohlfühltatmosphäre unsere Erfahrungen aus“, und das sei „attraktiv für die Lehrerinnen und Lehrer“.
„Reallernlabor“ für biologische Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern
In Mecklenburg-Vorpommern hat sich 2018 das „Netzwerk Bildung für nachhaltige Entwicklung in Gemeinschaftsgärten“ aus einem Kooperationsprojekt der Universität Rostock entwickelt. Frederick Ernst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Grundschulpädagogik, und Judith Koch vom Kleingärtnerverein Weiße Rose e. V. in Rostock, stellten es vor.
„Unser Netzwerk möchte die Bildung für nachhaltige Entwicklung über Gemeinschaftsgärten erfahrbar machen. Dazu führen wir zwei Netzwerktreffen jährlich und gemeinsame Bildungsveranstaltungen mit Partnern durch.“ Solche Partner sind neben „Weiße Rose“ beispielsweise „Natur im Garten Mecklenburg-Vorpommern“, „Kurze Wege Bunte Höfe“, der Verein „Power On“, der Kinder und Jugendliche im ländlichen Raum fördert, oder Ackerdemia mit seinem Projekt „GemüseAckerdemie“.
Das vom Netzwerk betriebene Reallernlabor Gemeinschaftsgarten ist in diesem Monat als UN-Dekade-Projekt „Biologische Vielfalt“ ausgezeichnet worden. Dort finden selbstorganisierte BNE-Seminare für Studierende der Grundschulpädagogik statt, sie fördern das Lernen durch Engagement, wie Judith Koch erläutert: „Die künftigen Lehrerinnen und Lehrer lernen den Garten als Lernort aktiv zu gestalten.“
„Pauken, Pausen, Pastinaken“
In Nordrhein-Westfalen hat die Natur- und Umweltschutzakademie (nua) mit dem „Arbeitskreis Natur an der Schule“ die Netzwerkarbeit übernommen, wie Landschaftsarchitektin Martina Hoff berichtete. Die nua setzt sich für die naturnahe Gestaltung von Schulgeländen ein. Auch sie bietet Fortbildungen an und gibt praktische Arbeitshilfen und Beratung, die Themen reichen von Ressourcenschutz und Upcycling bis zur „Sinnesförderung“. Rund 400 Personen und Institutionen engagieren sich in ganz Nordrhein-Westfalen, es gibt bis zu acht Netzwerkveranstaltungen jährlich. Materialien wie die „Beratungsmappe Naturnahes Schulgelände“ oder der Kooperationsleitfaden „Urban Gardening trifft Schule“ sind besonders nachgefragt.
Die Stadt Köln hat mit „Gärtnern mit Pänz – Pauken, Pausen, Pastinaken“ ihr eigenes Netzwerk für Lehrkräfte, OGS-Fachkräfte und Interessierte. Seit 2015 unterstützt das Umwelt- und Verbraucherschutzamt der Stadt das Projekt, in dem sich die Beteiligten vor Ort in Schulgärten treffen und ihre Erfahrungen austauschen. Dabei sind auch das Institut für Biologiedidaktik der Universität Köln und die BUND-Kreisgruppe Köln. Gemeinsam organisieren die Partner Fortbildungen – von Biodiversitätsprojekten wie „Wildbienenschutz aktiv“ und „Wildwiesen an Schulen“ bis zu Themen wie „Säen, Pikieren und Pflanzen“ oder „Obstgehölzschnitt“.
„Es ist toll, so viele verschiedene Gärten zu sehen und Schulen kennenzulernen. Und es ist Gold wert, Tipps zu bekommen“, teilte Anna Heinermann, Biologiedidaktikerin der Universität Köln, ihre Erfahrungen mit dem Netzwerk. „Es ist auch schön, dass wir Fortbildungen hier bei uns an der Uni durchführen können. Die Studierenden lernen die Arbeit mit Kindern im Garten frühzeitig kennen. Ich bin sehr froh, dass es das in dieser Form gibt.“ 265 Kölner Schulen sind aktuell bereits im Verteiler für den Rundbrief des Kölner Netzwerks.
Froh sind alle Schulgartenbegeisterten auch noch aus einem ganz anderen Grund: Für den Lernort Schulgarten spricht, dass er an der frischen Luft, im Freien zu nutzen ist. Susanne Wille aus Niedersachsen zitierte eine Schülerinnenstimme: „Das Schönste in Corona-Zeiten war der Schulgarten.“
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