Schulgarten im Ganztag mit Generation Smartphone : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Was alles in einem Schulgarten steckt und wie Schülerinnen und Schüler für Naturbeobachtungen Smartphone und Online-Acker nutzen können, zeigte ein Online-Seminar der österreichischen Initiative „Natur im Garten“.
Anbieter aus dem Bereich Umweltbildung haben es momentan natürlich nicht leicht. Der Aufruf „Bleibt zu Hause, bleibt im Garten“ geht mit der Realität einher, dass derzeit Veranstaltungen in Schaugärten und Natur ausgesetzt sind. Für die Fortbildungen der Initiative „Natur im Garten“ heißt es derzeit „Online-Seminar statt Seminar“. Doch das Team um Christa Lackner sieht darin eine Chance: „Warum die Natur nicht auch für den (Fern-)Unterricht nutzen? Digitales Lernen mit realen Erlebniswelten verknüpfen – das Erfolgsrezept für morgen!“
Und so fragte die Online-Fachtagung am 16. Mai 2020: „Garten trifft Internet – gekommen, um zu bleiben?“ Das halbtägige Programm entsprach einer klassischen Tagung, wie sie sonst im niederösterreichischen Tulln an der Donau stattgefunden hätte, mit drei Vorträgen und zwei Runden mit sechs Workshop-Angeboten: „Wie Schulgärten als Lernorte funktionieren“, „Mit Smartphone in Garten und Natur unterwegs“, „Komposthaufen: digital & spielerisch“, „Mi Kischta Gärtle – Kleine Gartenkiste mit großer Wirkung“, „Gärtnern am Fensterbrett“ und „Die Generation digital – Wie sich Kinder und Jugendliche Wissen im digitalen Raum aneignen“.
„Natur im Garten“ wurde 1999 von Wolfgang Sobotka, dem damaligen Umweltlandesrat von Niederösterreich, gegründet. Mit der Bewegung wollte er die Vielfalt im Garten fördern. Heute ist „Natur im Garten“ eine Plattform für naturnahes und ökologisches Gärtnern und hat sich zu einem breiten Netzwerk von Gemeinden, Schaugärten, Gartenplanern und Bildungsangeboten entwickelt. Dazu gehört auch die Kinderuni Tulln, in der eine Woche lang 120 Acht- bis Zwölfjährige experimentieren, Tiere und Pflanzen erforschen und verschiedene Umweltberufe kennenlernen. Inzwischen gibt es „Natur im Garten“ in der Schweiz, Italien, Tschechien, der Slowakei, aber auch in Deutschland, so in Bayern, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Virtueller Rundgang durch einen Mega-Schulgarten
Zum Online-Seminar schalteten sich rund 180 Interessierte zu, die über die Chat-Funktion oder am Mikrofon Fragen stellten und mitdiskutierten. Per Umfrage-Tool konnte Moderatorin Christa Lackner schnell die Zusammensetzung der Zuhörerschaft ermitteln: Rund 30 Prozent waren Studierende, rund 40 Prozent Lehrerinnen und Lehrer, 15 Prozent Umweltbildnerinnen und etwa 15 Prozent „pädagogisch Interessierte“. Von den teilnehmenden Lehrkräften nutzen laut Selbstauskunft 35 Prozent regelmäßig einen Schulgarten im Unterricht, 24 Prozent in der Pause und in der Freizeit. 9 Prozent gärtnern im Klassenraum oder am Fensterbrett.
Einer, der schon seit über 30 Jahren begeistert im Schulgarten arbeitet, ist Reinhard Marquardt. Er war prädestiniert, sich im ersten Vortrag mit diesem Thema zu befassen und dies später in einem Workshop noch zu vertiefen: „Wie Schulgärten als Lernort funktionieren“. Der ehemalige Schulleiter der Frauenwaldschule, einer Ganztagsgrundschule im hessischen Bad Nauheim, ist inzwischen Lehrbeauftragter am Institut für Biologiedidaktik an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
Am Computer führte der Schulgartenexperte die Teilnehmenden auf einem virtuellen Rundgang durch den über 10.000 Quadratmeter großen ökologisch orientierten und naturnahen Schulgarten der Frauenwaldschule. Zwölf Schulgarten-AGs und zwei Bienen-AGs kümmern sich dort um das Areal, „sonst wäre das gar nicht zu bewältigen“, so Marquardt.
„Ein Schulgarten funktioniert, wenn es ein festes Team aus naturbegeisterten Menschen gibt, die sich kümmern – Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte. Aber auch die Schulleitung muss mit ins Boot, Eltern, Großeltern, externe Fachkräfte, die zum Beispiel den Baumschnitt erledigen. Und ganz wichtig – der Hausmeister!“ Für die Finanzierung des Schulgartens könne man sich oft an Sponsoren aus der lokalen Wirtschaft wenden.
Ein Ort, der Kinder begeistert
Für Marquardt ist wichtig, bei der Schulgartenarbeit mit kleinen Projekten zu starten, gerade in der Primarstufe. Das kann ganz simpel ein zusammengekehrter Laubhaufen, ein aufgeschichteter Steinhaufen, ein Holzstoß oder eine aus Ästen aufgeschichtete Hecke sein, die über einen längeren Zeitraum beobachtet und gezeichnet oder beschrieben werden. Eine solche Aktivität trägt auch über den Winter und zudem Tierbeobachtungen einschließen. Bevor gleich ein Teich angelegt wird, können Schülerinnen und Schüler auch erst einmal eine Vogeltränke bauen.
Nach einfachen Projekten können dann anspruchsvollere Tätigkeiten folgen: „Gemüsebeete, Hochbeete, Kräuterspirale oder Teich bedürfen der regelmäßigen Pflege. Das Gartenschulteam muss sich auch Gedanken machen, wer das Gießen in den Ferien übernehmen soll. So ein Nutzgarten kann nicht nebenbei erledigt werden, sondern die Schülerinnen und Schüler müssen da regelmäßig für Stunden in der Woche hinein. Eine Blumenwiese muss regelmäßig gemäht, Obststräucher müssen gegossen und geschnitten werden. Wenn dann die Früchte geerntet werden, ist es für die Kinder natürlich ein Highlight.“
Der Schulgarten ist aber für Reinhard Marquardt nicht nur ein Ort, um gärtnerische Tätigkeiten zu lernen, sondern auch ein Lernort, der sich mit dem Unterricht verbinden lässt. Die Schülerinnen und Schüler können Bienen und Vögel beobachten oder das Leben im Schulteich zu dokumentieren. Es ist ebenso ein Ort, die Sinne zu schulen. Den Aufbau von Blütenpflanzen können die Schülerinnen und Schüler real studieren, statt nur im Biologiebuch darüber zu lesen.
Neben Biologie und Sachunterricht können weitere Fächer den Schulgarten integrieren. Zum Beispiel kann im Fach Informatik eine Webcam im Vogelkasten installiert werden. Der Religionsunterricht kann „Pflanzen der Bibel“ behandeln. „Dazu muss es im Schulgarten auch Plätze geben, an denen sich die Kinder und Jugendlichen niederlassen können, um etwas notieren zu können oder zu zeichnen und zu malen.“ Nicht zuletzt können Kräuter oder Gemüse für das gesunde Frühstück genutzt werden. Schlussendlich ist es aber, so Marquardt, „vor allem ein Ort, der die Schülerinnen und Schüler begeistert.“
Generation Smartphone in den Garten holen
Für Susanne Aichinger ist der Garten auch ein „digitaler Lernraum“, wie sie in ihrem Referat darstellte. Die Dozentin für „Virtuelle Lernumgebungen“ und „Digitale Lernräume“ an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien hält beide Welten – Garten und Digitalität – für sehr gut verbindbar.
„Durch innovative digitale Methoden können wir in der Umweltbildung eine höhere Partizipation der Generation Smartphone erreichen und Inklusion vorantreiben. Durch die Kombination der beiden Welten können wir Kinder und Jugendliche für Umweltbildung interessieren und auch ihre Meinungen zu Umweltthemen hören.“ Lehrkräfte sollten ruhig einmal „ihre Komfortzone verlassen und einen anderen Blickwinkel einnehmen“. Man könne den Schulgarten durch den Einsatz digitaler Medien mit kleinen Übungen von einer anderen Seite betrachten, „und Sie werden erstaunt sein, wie sich Lernen verändert“.
So sei es beispielsweise möglich, Abläufe in der Natur darzustellen, wie man sie sonst so nicht selbst beobachten kann. Initiativen wie myAcker in Kärnten ermöglichen es, einen Online-Acker anzulegen, zu bepflanzen, zu pflegen und zu beobachten und dann abzuernten. Ein weiteres Beispiel ist der Chemnitzer Hobby-Imker Dirk Liesch mit seinem kostenlosen Internet-Kurs „Bienen und Imkerei“, der unter anderem einen Grundlehrgang und eine Bienenjahrbegleitung für Imker-AGs beinhaltet.
Von „Flora Incognita“ der TU Ilmenau bis zu „Citizen Science“
Konkret zeigte Susanne Kropf in ihrem Vortrag an vielen Beispielen, wie Schülerinnen und Schüler „Mit Smartphone in Garten und Natur unterwegs“ sein können. Die Biologin und Umweltpädagogin ist seit 2007 bei „Natur im Garten“ in der Fortbildung und bei der Kinderuni Tulln dabei. Sie stellte Ideen vor, „mit denen man die Schülerinnen und Schüler bewegen kann, nach draußen zu gehen, statt nur mit Quiz-Apps auf dem Sofa zu sitzen“. Mit Hilfe der Smartphone-Kamera können sie beispielsweise die Wachstumszyklen einer Pflanze in einer Art Tagebuch dokumentieren. Eine andere kreative Möglichkeit sind Comics, in denen sie Naturvorgänge darstellen.
Mit der App „Flora Incognita“ der Technischen Universität Ilmenau lassen sich Pflanzen bestimmen, und es kann ein digitales Herbarium angelegt werden. Die App „Naturbeobachtung“ das Naturschutzbundes Österreich kann Tiere, Pflanzen und Pilze bestimmen. Zur Erforschung des Klimas und der Jahreszeiten lässt sich die App „Naturkalender“ der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien nutzen. Die App „BirdNET“ lässt sich nutzen, um mit dem Smartphone aufgenommene Vogelstimmen zu erkennen und die Vogelarten zu bestimmen.
„Sich trauen, ausprobieren, austauschen“
Schließlich verwies Susanne Kropf auf die „Plattform für Citizen Science“, ein vom BMBF gefördertes Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft im Dialog mit dem Museum für Naturkunde Berlin. Viele interessante und für Kinder geeignete Projekte aus den Bereichen Klima, Gewässer, Tiere, Mikroorganismen, Pflanzen und Wetter lassen sich dort leicht finden. „Sich einfach trauen, ausprobieren, mit anderen austauschen“, riet die Biologin. „Wir lernen voneinander.“
Die Referentinnen und Referenten und das Moderationsteam von „Natur im Garten“ brachten ihre Themen mit so viel Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft via Online-Seminar herüber, dass das Publikum am Ende, auch ohne selbst ins Grün eingetaucht zu sein, Lust verspürte, an einer Blume zu schnuppern oder dem Blätterrauschen zu lauschen. Im Chat war entsprechend einhelliges Lob der Teilnehmerinnen und Teilnehmer über die vielen Anregungen zu lesen.
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