Mut zu grünen Ganztagsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Grau raus, Grün rein! In Berlin unterstützt die Beratungsstelle „Grün macht Schule“ die Umgestaltung von Schulhöfen. Koordinator Ulf Schröder spricht im Interview über Qualitätskriterien grüner Schulen in der Stadt.
Online-Redaktion: Herr Schröder, wie sind Sie zum Projekt „Grün macht Schule“ gekommen?
Ulf Schröder: „Grün macht Schule“ hat sich aus einem Arbeitskreis entwickelt, der 1983 aus einer Initiative von Lehrern, Eltern und der Stiftung Naturschutz hervorgegangen war. Von Anfang an war es die Idee, freie Flächen nach den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu gestalten und sie partizipativ an der Planung und Umsetzung zu beteiligen.
Ich war Lehrer und Konrektor und dann später Schulleiter der Neumark-Grundschule in Berlin-Schöneberg. 2003 wurden wir Ganztagsschule. Es war klar, dass unsere Schülerinnen und Schüler nun erheblich mehr Zeit in der Schule verbringen würden – und damit auch mehr Zeit auf dem Schulhof. Für den Umbau des Schulhofs haben wir damals Mittel aus dem bundesweiten IZBB-Programm und die Unterstützung durch „Grün macht Schule“ erhalten. Heute ist der Schulhof der Neumark-Grundschule einer unserer Referenzschulhöfe, der von Besuchergruppen, auch aus dem Ausland, angeschaut wird. Ich selbst habe früher solche Gruppen herumgeführt. Noch heute kommen Besucher, sogar aus Australien und den USA, um sich unsere Projekte bei „Grün macht Schule“ anzusehen. 2012 bin ich dann als Koordinator zu „Grün macht Schule“ gewechselt.
Online-Redaktion: Wer arbeitet neben Ihnen noch dort?
Schröder: Unsere Beratungsstelle ist bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie angesiedelt. Meine Kollegin Ulrike Wolf ist ebenfalls abgeordnete Lehrerin. Manfred Dietzen ist Landschaftsarchitekt. Wir arbeiten als Koordinatoren für die Berliner Bezirke. Edeltraud Schmölders leitet unser Büro und ist Ansprechpartnerin für allgemeine Projektfragen.
„Grün macht Schule" ist eine fachübergreifende Beratungsstelle für ökologische und kindgerechte Schulhofgestaltung des Freilandlabor Britz e.V. und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und wird durch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gefördert. Die beiden Senatsverwaltungen arbeiten hier kooperativ zusammen. Der Beratungsbereich von Kindertagesstätten liegt mit „Grün macht Schule – KinderGARTEN“ inzwischen ausschließlich beim Freilandlabor Britz e.V. Die Koordinatorin ist Katrin Herrmann.
Online-Redaktion: Wie können Projekte aussehen, die Sie an Schulen begleiten?
Schröder: Da ist alles dabei – vom Anlegen von Hochbeeten bis zur Umgestaltung größerer Flächen über mehrere Jahre. Das richtet sich nach den Bedürfnissen, die die Schulen an uns herantragen. Wir verändern die Schulhöfe, indem wir Umbaumaßnahmen beratend begleiten und zum Beispiel Planungs-Workshops und Schüler-Workshops organisieren. Die Schülerinnen und Schüler sind dann nach der Planungsphase auch, soweit das möglich ist, an den praktischen Arbeiten der Umgestaltung beteiligt. Wir wollen und dürfen nicht originäre Aufgaben der Bezirke übernehmen und technische Anlagen oder Ausrüstungsanlagen wie Zäune bauen.
Online-Redaktion: Wie kommen Sie und die Schulen zusammen?
Schröder: Initiativbewerbungen sind der gängige Weg. Oft kontaktieren uns Schulleitungen und Ganztagskoordinatoren, manchmal auch Elternvereine. Inzwischen sind wir durch Erfahrungen von Lehrkräften und Eltern ziemlich bekannt, es gibt uns ja nun auch schon eine Weile. Wir versuchen dann immer, Partner wie Vereine, Stiftungen oder die Bezirke zu gewinnen und eine breite Zusammenarbeit von verschiedenen Institutionen mit der gesamten Schulgemeinschaft zu etablieren. Die Entwicklung des Schulhofs oder des Schulgartens kann ein Motor für die Schulentwicklung sein.
So ein Projekt kann nicht nur von Einzelnen oder kleinen Gruppen, sondern muss von allen getragen werden, sonst wird das nichts. Möglichst alle, und die Schülerinnen und Schüler im Speziellen, sollen beteiligt werden. Das können wir als Beratungsstelle gut initiieren. Wir veranstalten zum Beispiel Teamfortbildungen für Schulen, regionale und überregionale Fortbildungsveranstaltungen, Tagungen, Seminare und Vorträge. Seit 2013 organisieren wir jedes Jahr den Schulgartentag. Da kommen inzwischen rund 120 Kolleginnen und Kollegen zusammen, um gute Beispiele kennenzulernen und sich auszutauschen. Es gibt verschiedene Workshops rund um Klima, Schulhofgestaltung und Schulgarten, für Anfänger und Fortgeschrittene.
Online-Redaktion: Welche Rolle spielen Schulgärten in der Großstadt Berlin?
Schröder: Es gibt große Unterschiede. In den Außenbezirken gibt es teilweise so große Schulgelände, dass man am ersten Schultag die Erstklässler suchen muss, weil die sich verlaufen haben, und entsprechend auch große Schulgärten. Das ist natürlich in einem sehr urbanen Umfeld nicht so möglich. Es beginnt oftmals damit, dass eine Nachmittags-AG im Ganztag gerne einen Schulgarten anlegen möchte, aber kein Platz vorhanden ist.
Da sind Hochbeete eine Alternative. Solche kleineren Formen sehen wir immer häufiger. An Oberschulen ist auch oft das Zeitbudget für die Bewirtschaftung eines Schulgartens nicht vorhanden. Schön ist es, wenn Hochbeete, Naschgärten oder Schulgärten sich als Gemeinschaftsgärten in die Nachbarschaft öffnen. Da können auch Nachbarn mal beim Gießen helfen oder ein Auge auf das Gelände haben.
Online-Redaktion: „Grün macht Schule“ hat Qualitätsstandards formuliert. Was ist Ihnen wichtig?
Schröder: Die Bewegungsförderung ist ganz klar ein Kriterium. Das heißt nicht, dass wir Sportflächen gestalten, sondern wir wollen Alltagsbewegung fördern. Ein liegender Baumstamm lädt ein zum Balancieren, zum Überspringen, zum Kommunizieren und zum Anregen der Fantasie. Das Gelände muss barrierefrei gestaltet sein, es muss dem Alter und dem Geschlecht der Kinder und Jugendlichen gerecht werden. Spielgeräte müssen verschiedene Schwierigkeitsgrade anbieten. Die Funktionen dürfen wiederum nicht zu stark vorgegeben sein, damit die Schülerinnen und Schüler eigene Ideen und Fantasien einfließen lassen können.
Ein entscheidendes Kriterium sind möglichst naturnahe Gestaltungselemente, zum Beispiel einheimische Grünpflanzen, was Auswirkungen auf Sonnenschutz, Lärmschutz, Temperatur, Emissionsschutz und Luftfeuchtigkeit hat. Die Bodenversiegelung soll minimiert werden. Bäume und Sträucher brechen die Sicht und eröffnen neue Räume. Die Kinder und Jugendlichen können natürliche Situationen erleben und lernen, Risiken einzugehen und selbst einzuschätzen. Gerade in den Städten gibt es die Tendenz zur Überbehütung. Es muss nicht immer alles hoch abgesichert sein, wir müssen die Schülerinnen und Schüler nicht in Watte gepackt mit Knieschonern auf ein Gelände lassen. Wir können und wollen auch nicht alle Pflanzen raushalten, die piken oder brennen.
Viele Eltern – und anfangs auch ich selbst, muss ich gestehen – haben Sorge, wenn sie eine Fläche mit Steinen, Holz und Klettermöglichkeiten sehen, dass es mehr Verletzungen geben wird. Diese Ängste sind da, und die muss man auch besprechen. Aber es hat sich gezeigt, dass diese umgestalteten Schulhöfe ein geringeres Unfallpotenzial aufweisen. Das ist auch von der Unfallkasse Berlin evaluiert worden. Die Unfallzahlen gehen zurück, weil die Geschwindigkeit gemindert und das Aggressionspotenzial gesenkt wird.
Online-Redaktion: Was gewinnen Kinder und Jugendliche mit einem gut gestalteten Schulhof?
Schröder: Es gab in Berlin ein Programm „Jugend mit Zukunft“ zum sozialen Lernen und zur Gewaltprävention, das heute im Programm „Vom Schulhof zum Spielhof“ der Senatsverwaltung aufgegangen ist. Kleinflächig gestaltete Situationen mit Bewegungsangeboten und Kommunikationsangeboten und vor allem die Nutzung der gesamten Fläche des Schulhofs senken Gewalt. Kleinflächige Rückzugsorte für alle statt Gruppenbildungen auf einer großen Freifläche.
Wichtig ist die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler: Wenn sie selbst etwas gestalten können, erhöht das die Identifikation mit ihrer Schule. An der Reinhardswaldschule in Kreuzberg haben zum Beispiel die 6. Klassen in den letzten sechs Jahren immer Betonbänke mit Mosaiken versehen. Sie nutzen ihr grünes Klassenzimmer für viele Aktivitäten, von Sachkunde bis Kunst.
Der Aspekt „Kunst im Grünen“ spielt ohnehin bei der Schulhofgestaltung eine wichtige Rolle. Kunstobjekte auf dem Schulgelände schaffen eine individuelle Atmosphäre. Die Schülerinnen und Schüler können sich ausprobieren, und künstlerische Betätigung im Freien ist besonders anregend.
Online-Redaktion: Einer Ihrer Slogans ist „Mut zu grünen Schulen“. Warum braucht es Mut?
Schröder: Grüner Lebensraum ist im Zeitalter des Klimawandels und der wachsenden Städte wichtiger denn je. Es braucht erstens den Mut von Einzelnen oder einer kleinen Gruppe in der Schulgemeinschaft, einen Prozess überhaupt erstmal anzustoßen. Veränderungen erfordern immer viel Mut. Und dann braucht es den Mut zu kleinen Schritten. Wenn sich nach und nach sichtbar ein Projekt erfolgreich entwickelt, kommen auch die Skeptiker und die Unentschlossenen aus der Reserve. Die Schulhofprojekte in Berlin zeigen, dass sich das auszahlt.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Hinweis der Redaktion: Unsere zahlreichen Schulporträts von Ganztagsschulen verdeutlichen sehr oft die große Bedeutung des Schulgeländes, Grüner Klassenzimmer und von Schulgärten im Ganztag und zeigen gute Beispiele der Gestaltung, einschließlich Fotos. Suchen Sie mit Stichworten wie „Grün“, „Schulhof“ oder „Schulgarten“!
Kategorien: Forschung - Ganztagsschulforschung: Interviews
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