Digitales Ganztagscafé: Schulgarten als Lernort : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Überraschung bei den Verantwortlichen war groß. Das Ganztagscafé „Der Schulgarten als Lerninhalt und Lernort“ in Niedersachsen stieß auf viel mehr Interesse als erwartet. Lernen in und mit der Natur fasziniert.

Als Prof. Dr. Steffen Wittkowske im März 2021 per Mail eine Anfrage erhielt, ob er sich vorstellen könne, eine einstündige Online-Fortbildung „Der Schulgarten als Lerninhalt und Lernort“ durchzuführen, sprang er nicht gleich vor Begeisterung vom Schreibtisch auf. „Nein“, sagt er heute, „ich habe gezögert und mich gefragt, wie viele Lehrkräfte da wollen kommen würden.“ Der Universitätsprofessor für die Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Vechta teilte dies auch dem Leiter des Kompetenzzentrums für regionale Lehrkräftefortbildung seiner Universität mit.

Und Dr. Niels Logemann nahm es dem in der Szene bekannten „Naturfreak“, wie er gerne betitelt wird, nicht übel. „Ich hatte ja selbst keine Idee, auf wie viel Interesse das stoßen würde“, gesteht er. Während sich die beiden an den Beginn dieser „wunderbaren Leidenschaft“ erinnern, müssen sie schmunzeln. Mit über 50 Teilnehmenden setzte sich diese Fortbildung weit nach vorne in der Hitliste aller „Digitalen Ganztagscafés“ der zwölf Kompetenzzentren des Landes Niedersachsen im letzten Jahr.

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Das Thema Schulgarten steigt seit Jahren im Beliebtheitsgrad. Lehrkräfte aller Schulformen finden Gefallen an der Frage, wie „Schule neu gedacht“ werden könne – unter Einbeziehung der Natur. Viele nutzten daher die Fortbildung möglicherweise auch mit Blick auf die Verankerung des Themas Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Curricula der Schulen, wie sie per Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums seit 2021 verpflichtend ist. Sie wissen, dass es im Unterricht behandelt werden muss und kennen seine Bedeutung für die Gesellschaft. Und sie wissen, in ihrer Ausbildung haben sie dazu meist noch wenig bis gar nichts gehört.

Dr. Niels Logemann ist überzeugt: „Der Informationsaustausch unter den Lehrkräften und ihre unterschiedlichen Schulgartenerfahrungen stellen einen wesentlichen Pluspunkt dieser Fortbildung dar.“ Einen, den er und sein sich selbst als „Garten-Verrückten“ bezeichnender Partner Steffen Wittkowske, weiterführen möchten. Der 60minütigen Online-Veranstaltung soll daher noch eine „Praxisversion“ folgen.

Kartoffeln im Hochbeet
Kartoffeln im Hochbeet © Redaktion

Für den Leiter des Kompetenzzentrums ist klar: „Der Ganztag mit den Möglichkeiten, sich Fragen der Ernährung, des Verbrauchs, der Gesundheit und Nachhaltigkeit in Unterricht und Ganztagsangeboten zu nähern, sollte stärker in die Ausbildung integriert werden.“ Im digitalen Ganztagsschulcafé möchten Logemann und Wittkowske das Bewusstsein der Lehrkräfte dafür schärfen. Denn sie glauben, dass in der Schulpraxis „alles, was nicht ausdrücklich in den Curricula verankert ist, gerne hinten herunterfällt, wenn es zeitlich knapp wird.“

Schulgärten für alle

Folgerichtig werben sie für ein anderes Lernen in Schule und Schulgarten. „Ganztag und Unterricht als eine Einheit betrachtet, können eine wunderbare Verbindung eingehen, die Kindern und Jugendlichen den praktischen Umgang mit der Natur ermöglicht“, versichern sie. Erforderlich dafür sei jedoch ein Aufbrechen herkömmlicher Strukturen. „Eine 45-Minuten-Hülse kann man vergessen“, sagt Wittkowske, der schon lange Zeit selbst vor Schulklassen bis hin zur Sekundarstufe II steht. Man benötige einfach anders organisierte Zeit. Logemann ergänzt: „Wir kennen Schulen, die heute bereits viel flexibler arbeiten und damit auch solchen Wegen gegenüber aufgeschlossen sind.“

Was bietet der Schulgarten, außer dass die Kinder und Jugendlichen einmal in der Natur sind?, mag manch einer fragen, zum Beispiel skeptische Eltern. Steffen Wittkowske würde wohl erstaunt reagieren: „Wieviel Zeit und Platz habe ich für meine Antwort…?“ Er schickt Grundsätzliches vorweg, sozusagen als Einstieg: „Eine Aufgabe von Lehrkräften ist es, Unterricht so zu gestalten, dass er der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler entspricht.“

Auf diesem Weg sei es „elementar“, die Eltern mitzunehmen. Manche müssten überzeugt werden, dass ihre Kinder im Schulgarten nicht nur „herumbuddeln“ oder bestenfalls ein wenig Gemüse für die Schulmensa anbauen, pflegen und ernten. Garten, so Wittkowske, ist Gemeinschaftsarbeit. Und bei der Betätigung dort unterlaufen auch Fehler, Kinder und Jugendliche lernen praktisch, machen sich schmutzig und holen sich vielleicht auch einmal eine Schramme. „Aber das ist doch Leben“, strahlt der Professor.

Wittkowske geht auch in die Geschichte zurück: Zu den Gründungsvätern der Deutschen Gartenbaugesellschaft, die 1822 als „Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preußischen Staaten“ gegründet worden war und im Juli ihr 200jähriges Jubiläum feiert, zählten der Naturforscher Alexander von Humboldt und der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt ebenso wie der Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné. Wittkowske schlussfolgert, dass es „sicher in ihrem Sinne wäre, wenn jede Schule einen Schulgarten besäße“.

Lebende Innenräume und kleine Oasen

In einem Buch über die allgemeine Bedeutung von Gärten schreibt Wittkowske in seinem Beitrag über „Schulgärten: Orte zum Leben und Lernen“: „Schule will Unmittelbarkeit fördern, um Kreativität entfalten zu können, und den Schülern stets neue Gelegenheiten zu bieten, Erlebnisfähigkeit, Wertbewusstsein sowie Urteils- und Handlungsfähigkeit zu erwerben und zu entfalten.“ Aus dieser Perspektive sei der Schulgarten vor allem „als ein bedeutsamer Lerninhalt anzusehen und zu profilieren“.

Den Umgang mit der Natur lernen: Imker-AG
Den Umgang mit der Natur lernen: Imker-AG © Redaktion

Naturbegegnungen sollten so früh als möglich angebahnt werden. „Die Einstellung zur Natur beginnt sich bereits in jungen Jahren zu formen“, betont er, denn Kinder stehen der Natur zumeist offen gegenüber. „Sie kennen noch keine Einteilung in gute und schlechte Tiere, nützliche oder schädliche Pflanzen.“ Es gelte, diese Offenheit und die Fähigkeit, „Wunderbares zu bestaunen, unbefangen Fragen zu stellen und Unbekanntes erforschen zu wollen, aufzugreifen“.

Es sei wunderbar, wenn in Schulen auch der gesamte Innenraum „lebt“, grün gestaltet sei. Ein kleiner, aber feiner Schulgarten, in dem die Möglichkeit besteht, sich zum gemeinsamen Lernen zu versammeln, erfülle jedoch auch seinen Zweck. Hier lernten die Kinder den Umgang mit der Natur, ja mit sich selbst und anderen. Wittkowske: „Und die allermeisten übernehmen gerne Verantwortung, gestalten gerne mit.“ Die pädagogische Arbeit im Schulgarten könne zugleich wichtige Impulse für die ganztägige Gestaltung des Schullebens vermitteln. Der Schulgarten sei ein Ort der Inklusion.

Mut zum „kleinen Eckchen“

Das Schulgarten-Duo aus Vechta weiß, dass ein Schulgarten nicht nur wichtig für die Beziehung zur Natur, für Ernährungs-, Gesundheits- und Verbraucherbildung ist. Er ermöglicht, so erinnern sie, „ganz nebenbei, auch gezielt Fachunterricht und Arbeitsgemeinschaften, die aufeinander aufbauen oder sich ergänzen können. „Man kann Berechnungen über Flächen anstellen, Ausrechnen, wieviel Saatgut erforderlich ist und was es kostet, sich in anderen Sprachen unterhalten, etwa über Esskulturen anderer Länder, und vieles mehr“, versichern sie.

Das digitale Ganztagsschulcafé „Der Schulgarten als Lerninhalt und Lernort“ wollte Lehrkräfte motivieren und ermuntern, Schulgärten zu schätzen und zu nutzen und all jenen Mut zu machen, deren Schule noch keine grüne Oase besitzt. Und so lautete die Aufforderung am Ende: „Suchen Sie ein kleines Eckchen, beginnen Sie und wenn die Idee erst einmal auf fruchtbaren Boden in der Schulgemeinschaft gefallen ist, wird das Saatgut sicher Früchte tragen.“

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