Sportfachkräfte für qualifizierte Ganztagsangebote : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

„Bewegungs- und Gesundheitsförderung sind etwas für Expertinnen und Experten“, sagt Susann Werner vom Landessportbund Berlin. Seit 2010 bietet der LSB die Ausbildung für Sportfachkräfte an Ganztagsschulen an.

Online-Redaktion: Was waren 2010 die Gründe des Landessportbunds Berlin (LSB Berlin), die Ausbildung zur B-Lizenz des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) „Sport im Ganztag“ zu konzipieren?

Susann Werner
Susann Werner vom Landessportbund Berlin © Studioline Photography

Susann Werner: Es hing mit der damaligen Entwicklung des Berliner Schulsystems zusammen. Haupt-, Real- und Gesamtschulen wurden zu einer Schulform, den Integrierten Sekundarschulen, zusammengeführt. Und zwar in Ganztagsform. Dadurch entstanden einerseits sehr heterogene Gruppen, zum anderen vergrößerte sich der Bedarf an außerschulischen Kooperationspartnern. Der Sport zählte schon damals zu den gefragtesten und wichtigsten.

Online-Redaktion: Welches Ziel verfolgte die damalige gemeinsame Vereinbarung zwischen der Senatsverwaltung und dem organisierten Sport von Berlin?

Werner: Ziel war es, dem ganzheitlichen Ansatz von Bildungsangeboten nachzukommen. Erziehung zu und durch Sport wurde und wird bei uns als pädagogischer Auftrag verstanden.
Der Übungsleiter-B in Ganztagsschulen sollte als Bereicherung im Sinne des rhythmisierten Schulalltages, als Arbeitsgemeinschaft, bei Sportfesten, in der bewegten Pause seinen Einsatz finden. Darüber hinaus sollte er Bindeglied zwischen Schule und Verein und Ansprechpartner im außerschulischen Bereich sein, auch für die Gewinnung und Bindung von Schülerinnen und Schülern in den Sportvereinen.

Online-Redaktion: Und was wollten und wollen Sie mit der Ausbildung bewirken?

Werner: Die Gruppen und Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag unterscheiden sich massiv von jenen des „normalen“ Unterrichts. Häufig sind sie klassenübergreifend zusammengestellt. Die Schülerinnen und Schüler bringen höchst unterschiedliche Voraussetzungen mit. In kognitiver, aber auch in motorischer Hinsicht. Darauf müssen die Übungsleiterinnen und -leiter speziell vorbereitet und dafür geschult werden. 

Die eigentliche Ausbildung Übungsleiter B „Breitensport im Ganztag“ der Sekundarstufe I hat der Landessportbund Berlin dann 2012 etabliert. Übrigens: Ein wichtiges Merkmal unserer Ausbildung ist, dass sie sich nicht nur an Vereinstrainerinnen und -trainer wendet. Auch Lehrkräfte, die bislang vielleicht nicht oder nur wenig im Sportverein aktiv waren, sind eingeladen. 

Online-Redaktion: Eine Betonung liegt auf dem Wort „Breitensport“. Warum?

Werner: Es geht uns bei dieser Ausbildung nicht darum, spezielle Sportarten in den Vordergrund zu stellen. Das leisten die Fachverbände und ihre Vereine. Die B-Lizenz zum Ganztag befähigt die Teilnehmenden dazu, Sport- und Bewegungsangebote zu unterbreiten, die alle Schülerinnen und Schüler nutzen können, wie etwa Klettern, Spiele in der Stadt – Geocaching, HipHop, Rollisport.

Online-Redaktion: Wer kann die B-Lizenz erwerben?

Broschüre Leichte Sprache
Susann Werner und Dr. Timo Schädler © LSB Berlin - Jürgen Engler

Werner: Eine Voraussetzung ist der Besitz einer sogenannten Grundlizenz, der DOSB-C-Lizenz. Diese umfasst mindestens 120 Lehreinheiten und bedient unterschiedliche Profile: entweder in einer Sportart, Volleyball, Turnen, Judo und anderen, oder ist zielgruppenspezifisch geprägt, für Kinder und Jugendliche oder für Erwachsene oder Ältere. Eine weitere Grundlage ist, dass man mindestens ein Jahr als Trainerin oder Trainer in einem Verein aktiv war oder wird.

Online-Redaktion: Ist die Hürde einer Vereinstätigkeit für ausgebildete Sportlehrerinnen und  lehrer keine zu hohe, ja vielleicht sogar überflüssige?

Werner: Ich glaube nicht, dass das ein Hindernis darstellt. Zumal es oft nicht Sportlehrerinnen und  lehrer sind, die die Lizenz erwerben möchten. Es kommen viele Lehramtsanwärterinnen und  anwärter, aber auch der Mathelehrer oder die Physiklehrerin. Ebenso dabei sind Erzieherinnen und Erzieher, die sich dem Sport verbunden fühlen und am Nachmittag eine Arbeitsgemeinschaft anbieten möchten. 

Eine weitere Motivation für unser Angebot ist, dass wir am immer wiederkehrenden Vorurteil „So ein Sportangebot kann jeder unterbreiten, dann stelle ich mich halt für ein Stündchen in die Halle“ feilen wollen. Bewegungs- und Gesundheitsförderung sind etwas für Expertinnen und Experten, die qualitativ Hochwertiges für die Schülerinnen und Schüler entwickeln. 
 
Online-Redaktion: Wie viele Menschen nutzen Ihr Angebot?

Werner: Wir bieten den Erwerb der B-Lizenz in Berlin und Brandenburg an. Insgesamt kann man von rund einem Dutzend Teilnehmenden im Jahr ausgehen. Das wirkt auf den ersten Blick nicht sehr viel. Doch bei der Einschätzung muss man bedenken, dass die Schulen frei bei ihrer Entscheidung sind, mit welchen Kooperationspartnern sie arbeiten möchten, ob mit dem DRK, Musikschulen oder eben Sportvereinen. Die Vereine selbst sind auch für nicht ausgebildete Übungsleiterinnen und -leiter offen, aber interessiert an qualifizierten, weil damit auch eine kleine Förderung durch den LSB gewährleistet wird. Für diese Art der Kooperation Schule-Verein wird allerdings eine Qualifizierung vorausgesetzt.

Online-Redaktion: Warum soll ich dann Zeit und Geld in den Erwerb der B-Lizenz investieren?
 
Werner: Mal ganz abgesehen davon, dass ich als Inhaberin der Lizenz fachlich qualifizierter bin und ein paar Euro pro Stunde mehr verdienen kann, ist es halt eine Frage der Qualität. Und es gibt viele „Sportverrückte“, die gern ihre Sportart voranbringen möchten. Da bietet sich die Schule an, Talente zu entdecken oder junge Menschen für den Verein zu gewinnen. Zudem wird die Ausbildung oft durch den Verein finanziert.

Online-Redaktion: Welche Inhalte haben die Fortbildungen?

Sportschule LSB
Gerhard-Schlegel-Sportschule in der Jesse-Owens-Allee © LSB Berlin - Jürgen Engler

Werner: Wir haben vor ziemlich genau zehn Jahren ein entsprechendes Pilotprojekt gestartet. Ihm ging eine Befragung unserer Fachverbände voraus. Wir wollten wissen, welcher Bedarf und welche Inhalte vor dem Hintergrund einer Arbeit im Ganztag gesehen werden. Die Antworten fielen eindeutig aus: Es sollte eine sportpädagogische und sozialpädagogische Grundausbildung sein. Die Förderung sozialer Kompetenzen, Konfliktmanagement und die Planung von Stundenkonzepten standen an oberster Stelle. 

Online-Redaktion: Die drei Pflichtmodule „Schulrecht und Vereinsangebot – wie geht das?“, „Umgang mit heterogenen Gruppen“ und „Soziales Lernen im Ganztag“ sind das Ergebnis dieser Bedarfsanalyse?

Werner: Richtig. Hier liegen die Schwerpunkte. Die höchste Kunst für Übungsleiterinnen und Übungsleiter ist mit Sicherheit der Umgang mit heterogenen Gruppen. In den Arbeitsgemeinschaften des Ganztags treffen sich häufig Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Altersgruppen. Es sind Kinder ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft. Dabei sind Talentierte und weniger Bewegungstalentierte, Hyperaktive, Kinder mit Handicaps. 

Also kurz: Es geht um den Umgang mit Verschiedenheit. Dieser „bunten Mischung“ von Kindern und Jugendlichen wollen wir spannende Bewegungseinheiten bieten. Übungsleiterinnen und -leitern muss es gelingen, bei den Schülerinnen und Schülern Willenskraft zu entwickeln und Erfolgserlebnisse zu schaffen. Dafür sind auch Kommunikation und Motivation – und das in angemessener Jugendsprache – notwendig.

Online-Redaktion: Warum stehen Schulrecht und Soziales Lernen auf dem Lehrplan?

Werner: Übungsleiterinnen und -leiter befinden sich ja zunächst einmal auf gewissermaßen fremdem Terrain. Sie müssen wissen, welche Rechte und Pflichten sie dort haben. Sie müssen sich ein Bild von der Gesetzeslage machen. Sie müssen schauen, welche Möglichkeiten des Konfliktmanagements ihnen zur Verfügung stehen. Was soziales Lernen betrifft, ist es gut, wenn sie wissen, wie sie Freundschaften fördern, weil die Beziehung zum anderen zum Wiederkommen motiviert. Und natürlich müssen sie „lernen“, Stundenkonzepte zu entwickeln. Das alles und noch einiges mehr beinhaltet die B-Lizenz.

Online-Redaktion: Wie viele Lerneinheiten umfasst die Fortbildung?

Sporthalle Balanceübung
Am Ende steht eine Lehrprobe im Verein © Susann Werner

Werner: Die 64 Lerneinheiten erstrecken sich über circa. sechs Monate. Die Teilnehmenden müssen in einem Verein hospitieren, bestenfalls bei einer/einem B-Lizenzinhaberin oder -inhaber, und das dokumentieren. Am Ende steht eine Lehrprobe im Verein, sozusagen eine Simulation unter Laborbedingungen. Eine Note gibt es nicht. Es heißt bestanden oder nicht bestanden. Letzteres hatten wir erfreulicherweise noch nie.

Online-Redaktion: Wie sehr beeinflusst Corona Ihre Ausbildung?

Werner: Die Theorie findet derzeit komplett online statt, die Praxisteile werden verschoben. Wir hoffen natürlich alle, dass wir bald wieder komplett „live“ arbeiten können, in der Ausbildung wie im Alltag der Ganztagsschulen. Sport heißt nämlich Kontakt, Kommunikation, Begeisterung, ja auch Nähe und Gemeinschaft. 

Zur Person:

Susann Werner, Jg.1962, ist seit 2013 Pädagogische Mitarbeiterin für Vereinsmanagement & Schulsport bei der Gerhard-Schlegel-Sportschule des Landessportbunds Berlin. In dieser Funktion hat sie u. a. für die Ausbildung zur DOSB-B-Lizenz „Sport im Ganztag“ mit konzipiert.
Sie ist ausgebildete Diplomlehrerin für Deutsch und Sport und besitzt außerdem die Zulassung zur Leitung von Integrationskursen und die Zusatzqualifikation für Alphabetisierungskurse. 

Die modularisierte Ausbildung erfolgt in enger Zusammenarbeit der vier beteiligten Kooperationspartner: der Bildungsstätte der Sportjugend Berlin, der Gerhard-Schlegel-Sportschule, der Europäischen Sportakademie Land Brandenburg und der Brandenburgischen Sportjugend.

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Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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