Sportbund Pfalz: In der Ganztagsschule säen – im Verein ernten : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Pierre Anthonj ist Referent für Sportentwicklung im Sportbund Pfalz und begleitet den „Sport im Ganztag“. Die Chance für Vereine: Sie können „auch weniger im Rampenlicht stehende Sportarten präsentieren“.

Online-Redaktion: Dem Sportbund Pfalz gehören rund 2.100 Vereine mit mehr als einer halben Million Mitgliedern an. Wie viele haben sich auf Kooperationen mit Ganztagsschulen eingelassen?

Pierre Anthonj
Pierre Anthonj © Pierre Anthonj

Pierre Anthonj: Wir können das nicht ganz exakt sagen. Es gibt Kooperationsverträge, die direkt zwischen Vereinen und Schulen abgeschlossen werden, sowie Honorarverträge, die Ganztagsschulen mit einzelnen Übungsleitern oder Übungsleiterinnen vereinbaren. Wir schätzen, dass wir auf rund 250 Kooperationsmodelle pro Jahr kommen.

Online-Redaktion: Ist noch Luft nach oben?

Anthonj: Auf jeden Fall. Deswegen bemühen wir uns als Sportbund Pfalz, Hilfestellung bei der Kooperation zu geben, auch in Zusammenarbeit mit dem Landessportbund Rheinland-Pfalz, dem neben uns die Sportbünde Rheinland und Rheinhessen angehören. Wir wollen den Vereinen die Chancen von Kooperationen mit den Ganztagsschulen verdeutlichen.

Online-Redaktion: Die da wären?

Anthonj: Die Kooperation bedeutet für viele Sportarten die Gelegenheit, sich bekannt zu machen, junge Menschen für den jeweiligen Sport zu interessieren. Ich rede dabei nicht nur von so populären Sportarten wie Fußball. Nehmen Sie doch einfach mal Tennis oder Bogenschießen. Wo, wenn nicht in der Ganztagsschule, können Vereine denn dafür werben? Sie können also nicht nur weniger im Rampenlicht stehende Sportarten präsentieren, sie können auch vor Ort gewissermaßen Mitgliederwerbung betreiben.

Online-Redaktion: Nicht alle Vereine glauben an die Chance, neue Mitglieder durch ein Engagement in der Ganztagsschule gewinnen zu können...

Anthonj: Ja, auch wir hören immer wieder, dass es den Vereinen schwerfalle, sozusagen einen Übertrag von der Schule in den Verein zu erzielen. Darüber gibt es in den Vereinen sehr viele und zum Teil sehr kontroverse Diskussionen. Sie fragen sich: Lohnt sich der Aufwand? Oder stecken wir unsere Energie nicht doch besser in die Pflege des Mitgliederbestandes?

Wir raten dazu, einfach einmal einen Versuch zu wagen. Aber wir empfehlen auch, sich nicht ohne Vorüberlegungen einfach in Kooperationen zu stürzen. Die Vereine sollten zunächst intern ihr Ziel einer Zusammenarbeit mit einer Ganztagsschule definieren. Sich genau überlegen, welche ersten Schritte sie leisten können und wie sie möglicherweise schon dadurch für potenzielle neue Mitglieder interessant werden können.

Online-Redaktion: Wie könnte das aussehen?

Übungsszene einer Judo-AG
Training der Judo-AG © Pierre Anthonj

Anthonj: Nehmen wir doch beispielsweise einmal den Judosport. Er gehört ebenso wie Tennis und Bogenschießen, die ich als Beispiele erwähnt habe, nicht zum Lehrplan für den Sportunterricht. Eine AG Judo ist also schon einmal etwas Außergewöhnliches im Angebot von Ganztagsschulen. Irgendwann aber kommt es bei dieser Sportart folgerichtig zur Frage der Leistungsgrade, das ist der Erwerb von Gürteln. Warum also soll die AG Judo nicht in der Schule und die Leistungsabnahme im Verein stattfinden?

Und schon habe ich die interessierten Schülerinnen und Schüler dem eigenen Verein nahegebracht. Wenn ich ihnen dann eine für eine gewisse Zeit attraktive Mitgliedschaft anbiete, wird der eine oder andere sich eventuell auch entscheiden, dem Verein beizutreten. Und dabei handelt es sich dann mit großer Sicherheit um junge Menschen, die ohne die AG im Ganztag selten in Kontakt zur Sportart Judo gekommen wären. Oder das Beispiel Schwimmen: Der Verein gibt qualifizierten Unterricht in der Schule, das Seepferdchen nimmt er im Verein ab. Man kann auch sagen: Vereine säen in der Ganztagsschule und ernten bei sich.
 
Online-Redaktion: Wo sehen die Vereine in der Pfalz die größten Barrieren für ein Engagement in der Ganztagsschule?

Anthonj: Vereine sind zwar ein Ressourcenpool an Personal und Material. Aber sie fragen sich, wo sie diese Ressourcen einsetzen möchten, ja auch einsetzen können. Die meisten Übungsleiterinnen und Übungsleiter sind berufstätig, können daher wirklich schwer während der Schulzeiten aktiv werden. Aber es gibt ja auch immer erste kleine Schritte. Warum soll ein Verein nicht zunächst einmal eine Projektwoche anbieten oder daran mitwirken. Dann kann er auch feststellen, ob er mit dem System Schule klarkommt, ob es ihm Freude macht, mit gerade dieser Klientel, Jugendlichen dieser Schule zu arbeiten.

Online-Redaktion: Worin unterscheidet sich denn die Klientel „Jugendliche im Verein“ auf der einen und „Jugendliche in der AG der Ganztagsschule“ auf der anderen Seite?

Anthonj: In den Verein kommen jene, die sich wirklich für die Sportart interessieren. In der Schule wählt so manch einer die Sport-AG, weil er halt eine AG wählen muss.

Online-Redaktion: Sie sprachen die materiellen Ressourcen der Vereine an. Material bedeutet beispielsweise beim Tennis ja nicht nur Schläger und Bälle. Welche Schule verfügt schon über einen Tennisplatz?

Anthonj: Bei Sportarten, die mehr als eine Halle, einen Sportplatz oder eine Laufbahn erfordern, kommt die Kreativität ins Spiel. Ich kann Ihnen ein wunderbares Beispiel nennen: Der TC Weilerbach kooperiert mit der Ganztagsgrundschule Weilerbach. Aus Turnbänken werden die „Netze“ gebaut. Linien auf dem Hallenboden markieren die Spielfeldgrenzen. Es geht doch darum, den Schülerinnen und Schülern den Spaß am Tennisspiel und Ballgefühl zu vermitteln, und nicht unbedingt darum, maßstabgerechte Spielfelder zu nutzen.

Online-Redaktion: Kommen wir noch einmal auf das Hauptproblem der Vereine zu sprechen. Was, wenn der Verein niemanden findet, der während der Schulzeit als Übungsleiter oder Übungsleiterin tätig sein kann?

Tennis
Tennis-AG des TC Weilerbach in der Grundschule © TC Weilerbach

Anthonj: Eine hervorragende Lösung ermöglichen die Freiwilligendienste im Sport. Vereine stellen einen FSJler an, der hat dann die Kapazitäten für den Ganztag. Aber auch immer mehr Schulen in Rheinland-Pfalz beschäftigen junge Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr im Sport ableisten. Ausgebildet werden diese vom Landessportbund Rheinland-Pfalz und den regionalen Sportbünden, also auch von uns. Die FSJler sind ja meist selbst in Sportvereinen aktiv. Sie sind also nah an der Sportart und aufgrund ihres Alters auch nah an der Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler dran. Oft unterstützen sie aber auch einfach nur den Übungsleiter des Vereins oder die Lehrerin bei der Arbeit in der Ganztagsschule.

Online-Redaktion: FSJler stehen ein Jahr lang zur Verfügung. Bietet das den Ganztagsschulen nicht zu wenig Kontinuität?

Anthonj: Viele Vereine, die sich als Einsatzstelle für das FSJ im Sport anerkennen lassen, zielen auf ein langfristiges Engagement für Jugendliche ab. Dennoch wechseln die Freiwilligen jährlich. Als Lösung bietet sich die Tandemvariante, bestehend aus einem erfahrenen Trainer und einem FSJler an, um ein gewisses Maß an Kontinuität und feste Ansprechpartner zu gewährleisten.

Online-Redaktion: 2014 wurde die Rahmenkooperationsvereinbarung zwischen dem Land und dem Landessportbund aktualisiert. Was stellt aus Ihrer Sicht die wertvollste Neuerung dar?

Anthonj: Ganz klar die Tatsache, dass den Ganztagsschulen sehr nahegelegt wird, Kooperationen mit einem Verein und nicht mit privaten Anbietern einzugehen. Das regelt dann nicht nur die Honorar- und Versicherungsfragen, sondern garantiert Verlässlichkeit. Die Schulen wissen, dass sie es mit ausgebildeten Übungsleitern und Übungsleiterinnen zu tun haben werden. Der Verein muss auch dafür Sorge tragen, wenn es notwendig sein sollte, eine Ersatzperson zu stellen. Das heißt, mit dieser Kooperation wird alles kalkulierbarer und verlässlicher.

Online-Redaktion: Führt dies automatisch zu einer stärkeren Einbindung der Vereine in die Gremien der Schulen und die Planung des Schulsports?

Anthonj: Sicher nicht automatisch. Es wird immer wieder Schulen geben, die den Sportverein als Lückenfüller ihres AG-Angebots sehen. Aber immer mehr Schulen binden die Übungsleiter tatsächlich in den Schulalltag und die Sportgremien ein. Warum sollen sich der Schulsportkoordinator und der Übungsleiter nicht regelmäßig austauschen? Zum einen über die Gestaltung des Unterrichts und der AG, aber beispielsweise auch über die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Wir sind überzeugt, dass gute Kommunikation einen der größten Erfolgsfaktoren in der Zusammenarbeit zwischen Vereinen und Ganztagsschulen darstellt. Keine Absprachen dagegen sind der Killer, um es mal drastisch zu sagen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Pierre Anthonj, Jg. 1985, ist nach einem Sportstudium an der Universität des Saarlandes seit 2013 Referent für Sportentwicklung im Sportbund Pfalz und für die Gesamtkoordination des Servicebereiches Sportentwicklung mit den Teilbereichen Sportzentrum Pfalz, Leistungssport, Sport im Ganztag und Inklusion zuständig. Er ist selbst aktiver Fußballer und ehrenamtlich als Schiedsrichter tätig. Zum Aufgabenfeld des Servicebereiches Sportentwicklung im Sportbund Pfalz gehören auch die Fortbildung von Vereins- und Verbandsmitarbeitern im Sportmanagement sowie die Qualifizierung von Vereinsmanagern in Sportverwaltungs-, Finanzierungs-, Rechts- und Versicherungsfragen.

Anthonj, P., Emrich, E., Pierdzioch, C. (2013). Gewalt und Gewaltbekämpfung im deutschen Fußball. Empirische Bestandsaufnahme und sozioökonomische Modellbildung. Saarbrücken: Europäisches Institut für Sozioökonomie e. V.


Mit dem neuen „GTS-Marktplatz“ steht seit kurzem auf dem Bildungsserver Rheinland-Pfalz ein Serviceangebot bereit, das es Institutionen und Einzelpersonen ermöglicht, Projekte, Fortbildungen und AG-Angebote für Ganztagsschulen kostenfrei einzustellen!

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