Sport als Bildungsmotor in NRW : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Der Kongress „Sport & Bildung in NRW! – Bewegte Kindheit und Jugend“ am 18. November in Düsseldorf bot den mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern viel Unterhaltung. Spannend wurde es in den Foren.

Keine Frage – der launige Vortrag von Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer (Universität Ulm) enthielt viele wissenschaftliche Erkenntnisse über Aufbau und Funktion des menschlichen Gehirns. Er war unterhaltsam, witzig formuliert und verständlich, garniert mit vielen Pointen (und deshalb auch Lacherfolgen) und auch mit viel Eigenwerbung – insbesondere für die eigenen Bücher.

Kongress
© Andrea Bowinkelmann

Die Nutzung von digitalen Medien, speziell des Handys – im Privaten wie in Kita und Schule - hatte es dem Wissenschaftler besonders angetan. Aus seiner tiefen Ablehnung des Mediums machte er in keiner Sekunde einen Hehl. Die Vermutung liegt nahe, dass Schulministerin Sylvia Löhrmann und Familienministerin Christina Kampmann ihm mindestens in diesem Punkt widersprochen hätten. Setzen sie sich doch beide für den Ausbau der Medienkompetenzen bei Schülerinnen und Schülern ein. Doch während seines Vortrags zum Abschluss des Vormittagsprogramms befanden sich beide bereits auf dem Weg zu einem Anschlusstermin.

Dass der Wissenschaftler seine Schwerpunkte wie beschrieben setzte, beglückte nicht alle im Saal. „Denn auf eine Verbindung zum Thema des Kongresses ‚Sport & Bildung’ haben wir zumindest vergeblich gewartet“, bedauerten zwei Lehrerinnen, die sich genau das von dem Vortrag als Argumentationshilfe für die eigene Schulentwicklung erwartet hatten. Sie räumten ein, dass der sprachlich gut anzuhörende Beitrag den Vormittag „zumindest“ aufgelockert habe.

Jogging als beste Form des Gehirnjoggings

Was aber konnte man inhaltlich vom Hirnforscher mitnehmen? Vielleicht den Satz, dass er Jogging als beste Form des Gehirnjoggings betrachtet, weil „Sport die Nervenzellen schneller wachsen lässt“. Er plädierte für strukturierte Bewegungseinheiten in Kita und Schule. Musik, Sport, mit den Händen etwas machen und Theaterspielen wirkten lernfördernd.

Schließlich gab er noch einen Hinweis zu den Folgen sozialer Ungleichheit, wie sie schon seit den 1960er Jahren diskutiert wurden und mit einer amerikanischen Studie von Betty Hart und Todd Risley (1995) neuerdings wieder mediale Aufmerksamkeit finden: „Bis zu 30 Millionen Wörter hören Kinder aus sozial besser gestellten Familien mehr gegenüber Kinder aus benachteiligten Verhältnissen.“ Für ihn sei nachvollziehbar, dass dies sich auf Sprachkompetenz auswirke. Und noch eine Info für „Sprachenmuffel“: Wer zwei Sprachen fließend beherrscht, bekommt durchschnittlich fünf Jahre später Demenz. Sagte Spitzer.

Einen Kontrast dazu stellte der Impulsvortrag des Leiters des Deutschen Jugendinstituts Prof. Dr. Thomas Rauschenbach zu Beginn des Kongresses dar. Ihn hatten die Veranstalter – das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW sowie der Landessportbund NRW – um Gedanken zum Thema „Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen – Perspektiven sportlicher Angebote im Zeitalter neuer Bildungskonzepte“ gebeten.

Sport – das beliebteste Zusatzangebot im Ganztag

Rauschenbach schlug zunächst einen Bogen von der „Kindheit vor einigen Jahrzehnten“ zur „institutionalisierten Kindheit heute“. Er verdeutlichte die veränderten Rollen von Schulen, Familien und Vereinen. Er beleuchtete die Ursachen für den Rollenwandel in der alten Bundesrepublik, sah unter anderem die Berufstätigkeit der Frauen als Grund dafür, dass der zentrale Ort des Aufwachsens nicht mehr die Familie im Dreiklang mit Schule und Verein, sondern immer stärker Kita und Ganztagsschule seien.

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Eine Absage erteilte er Schlagzeilen, dass die Ganztagsschule zu Bewegungsarmut beitrage. „Sport stellt, das belegen Studien, das beliebteste Zusatzangebot im Ganztag dar. Sportvereine sind die häufigsten Kooperationspartner“, betonte er. Rauschenbach hob die Chance hervor, die sich den Vereinen auftut. „Im Ganztag können Übungsleiter aus Vereinen das Interesse am Sport bei Kindern wecken, die dann auch den Weg in die manchmal geschlossene Vereinswelt finden“, meinte er.

Kein Zweifel könne daran bestehen, dass Vereine gleichberechtigte Mitglieder lokaler Bildungslandschaften sein sollten. Zumal die Erfahrungen, die Kinder im Sport sammelten – soziales Verhalten, Umgang mit Sieg und Niederlage, Erschöpfung und Kraft – eben auch  Bildung darstellten. Dass Bewegung und Sport den Kopf wieder freimachen, spürten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer bei der sich anschließenden Mitmach-Sport-Musik-Aktion „Boomwhacker“ mit der Gruppe Rhythmcoaching.

Gemeinsamer Bildungsauftrag

Kurzweilig ging es mit einer Gesprächsrunde weiter, an der sich die beiden Ministerinnen, der Präsident des Landessportbundes NRW Walter Schneeloch und der Beigeordnete des Deutschen Städtetages Klaus Hebborn beteiligten. Die Kernfrage lautete: Wie können Schule und Sport(vereine) ihrem Bildungsauftrag gemeinsam gerecht werden?

Dabei hob Christina Kampmann hervor, dass der Sport ein wichtiger Bildungsmotor auch für die Sprachentwicklung, die Ausbildung mathematischer Fähigkeiten und die Persönlichkeitsentwicklung sei. Auf dem Weg zu einem Miteinander sei man schon weit gekommen. „Aber“, so gestand sie, „wir befinden uns in einem Prozess, in dem beispielsweise die Vereine durchaus noch Unterstützung benötigen, etwa wenn es darum geht, ehrenamtliche Helfer in den Schulalltag zu integrieren.“

Was unter „weit“ zu verstehen ist, machte Walter Schneeloch deutlich. Es sei ein großer Erfolg, dass 70 dezentrale Fachkräfte seines Verbandes gemeinsam mit Fachberatern des Landes die Zusammenarbeit von Schulen und Vereinen unterstützen. Doch er gab sich auch selbstkritisch: „Wir haben noch einen großen Aufklärungsbedarf, dass Sport bildet.“

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© Andrea Bowinkelmann

Dem stimmte Klaus Hebborn zu: „Noch längst nicht alle Kommunen schätzen und betrachten den Sport als Bildungspartner.“ Er versprach, der Deutsche Städtetag werde seinen Anteil an Überzeugungsarbeit leisten. Und auch Sylvia Löhrmann betonte: „Wir als Land wollen das Miteinander und nicht das Nebeneinander von Schule und Sport organisieren.“ Im Übrigen sei es ein Trugschluss, den Vereinen werde etwas weggenommen, wenn sie in die Schulen kämen.

Kurzweiliges Forum „Sport im Ganztag“

Daran, dass Schule und Sportvereine bereits überall ein Miteinander auf Augenhöhe pflegten, hegten viele Gäste im nachmittäglichen Forum „Sport im Ganztag / Sport in Bildungsnetzwerken“ ihre Zweifel. Nach einem kurzen inhaltlichen Einstieg des Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Nils Neuber von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, in dem er die rasante Entwicklung der Ganztagsschulen in Deutschland seit dem so genannten PISA-Schock in den vergangenen 15 Jahren skizziert hatte, setzten sich die Forumsgäste intensiv mit den Strukturen der Kooperation von Schule und Sportverein auseinander.

Als zusätzliche Impulse dienten nicht nur zwei kurze Filme über die Kooperationsmodelle der Hüllbergschule Witten  und des Post SV Hagen, sondern auch eine lebendige Diskussionsrunde. An ihr nahmen die Leiterin der Schule, Maria Nehm, der Jugendwart der Handballabteilung des Post SV Hagen, Daniel Schwebe, der Referatsleiter Schulsport im NRW-Schulministerium, Holger Harpering, sowie Mathias Kohl, Referatsleiter Kinder- und Jugendsportentwicklung der Sportjugend NRW, teil.

Eine mögliche Idealvorstellung des Ganztags formulierte Schulleiterin Maria Nehm: „Wir sind nicht Grundschule und Ganztag, sondern Offene Ganztagsschule und leben das von morgens bis abends.“ Will heißen, die vielerorts noch beklagte Trennung von Schule und Nachmittagsangebot existiert an ihrer Schule nicht mehr.

Mathias Kohl sah dagegen in der Sekundarstufe I noch „eine absolute Blackbox“. Nils Neuber ergänzte: „Wir wissen, dass es Sportangebote gibt. Wir wissen auch ungefähr, welche Angebote die Vereine machen. Aber wie arbeiten die Übungsleiter? Wie halten sie es mit der Partizipation? Welche Wirkung haben die Sportangebote? Und nicht zuletzt: Was wollen eigentlich die Kinder? Darauf benötigen wir Antworten, wenn wir ein Bildungsangebot wollen.“

 

 

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