Mit dem "Sportkarussell" in die Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

American Football oder Drachenboot im Ganztag? Für die Kooperation von Vereinen und Ganztagsschulen müsse jeder „aus seinem Mauseloch herauskommen“, meint Klaus Willwacher vom Bildungsbüro Kleve.

Online-Redaktion: Herr Willwacher, schon der Titel Ihres Projektes „Sportkarussell“ macht neugierig. Was steckt dahinter?

Klaus Willwacher
Klaus Willwacher © Klaus Willwacher

Klaus Willwacher: Wir haben, angeregt durch eine Initiative des Ennepe-Ruhr-Kreises, überlegt, wie wir mehr Schulen und Sportvereine zu Kooperationen bewegen können. Die Problematik ist doch bekannt. Schule wird immer mehr zum Lern- und Lebensraum der Kinder und Jugendlichen. Die ungebundene Freizeit und die zeitlichen Möglichkeiten, an den Angeboten des Vereinssports teilzunehmen, werden kleiner. Gleichzeitig stehen die Schulen vor der Aufgabe, zusätzlich zum Schulsport mehr qualifizierte Angebote im Sport zu schaffen.

Ein Weg ist das Miteinander. Das aber können viele, insbesondere kleine Vereine im Flächenkreis nur schwer oder gar nicht leisten. Lange Wege begrenzen die Zahl möglicher Kooperationen. Viele der ehrenamtlichen Übungsleiterinnen und Übungsleiter gehen einer beruflichen Tätigkeit nach und stehen während der Schulzeit nicht zur Verfügung. Gleichzeitig aber benötigen die Ganztagsschulen ein hohes Maß an Kontinuität und Verlässlichkeit.

Online-Redaktion: Und da hilft ein Karussell?

Willwacher: Davon sind wir überzeugt. Denn das Karussell bedeutet, dass sich mehrere Vereine aus unterschiedlichen Sportarten eine Kooperation mit einer Ganztagsschule teilen. Will heißen: Die Vereine beteiligen sich an einer Arbeitsgemeinschaft, benötigen folglich nur ein Viertel des Personals und der Zeit. Und vor allem: Die Kinder lernen während einer Arbeitsgemeinschaft gleich mehrere Sportarten kennen.

Online-Redaktion: Soweit die Theorie. Welche Erkenntnisse ergab der Testlauf Anfang dieses Jahres an der Montessori-Grundschule in Kleve?

Willwacher: Durchweg nur positive, insbesondere auch, was die Bereitschaft der Vereine anbelangt, sich einzubringen. Wir haben vier Vereine gefunden, die sich an dem Versuch beteiligt haben. Und zwar nicht aus den Mainstream-Sportarten, wie Fußball oder Leichtathletik. Vielmehr handelte es sich um Judo, Tennis, American Football und Drachenboot. Deren Übungsleiterinnen und Übungsleiter sprangen sozusagen jeweils für sechs Wochen auf das Karussell auf. Diese hohe Flexibilität führte zu erheblicher Erleichterung auf allen Seiten.

Online-Redaktion: Das klingt extrem unkompliziert. Gab es keinerlei Probleme?

Willwacher: Probleme würde ich es nicht nennen, eher Notwendigkeiten. Die hohe Flexibilität erfordert natürlich auch sehr genaue Absprachen untereinander. Alle Beteiligten müssen schauen, welche Möglichkeiten sie haben, was sie anbieten können. Darüber muss gesprochen werden und dafür muss ein jeder aus seinem Mauseloch herauskommen.

Online-Redaktion: Wie viele Kinder haben sich für die AG interessiert und wie fielen ihre Reaktionen aus?

Judo
Dojo des Judovereins "Budo Sportgemeinschaft Kleverland" © Kreis Kleve

Willwacher: Acht haben teilgenommen. Manche waren tatsächlich skeptisch, weil sie sich ja auf Sportarten einlassen mussten, die sie gar nicht kannten. Die Kinder wurden über einen Feedback-Bogen nach ihrer Einschätzung gefragt. Ein Ergebnis: Alle Kinder fanden den Wechsel der Sportarten „super“. Viele wollen „auf jeden Fall“ oder „wahrscheinlich“ eine der Sportarten weiterverfolgen, nur sehr wenige „nie wieder“. Fast alle Kinder würden an einer Neuauflage des Sportkarussells gerne wieder teilnehmen.

Viele wünschten sich in einem solchen Fall weitere Nischen-Sportarten, wie Tauchen, Bowling, Kung Fu und Segeln. Aber auch Schwimmen und Fußball wurden genannt. Erfreulich für unser Projekt: Die Leiterin der Schule und der OGS berichteten, dass das Karussell ein großes Gesprächsthema in den Pausen gewesen sei – andere, nicht an der AG beteiligte Schülerinnen und Schüler wären geradezu neidisch gewesen.

Online-Redaktion: Wer hat den Testlauf organisiert?

Willwacher: Das Regionale Bildungsbüro des Kreises Kleve hat dies in enger Zusammenarbeit mit dem Kreissportbund geleistet. Die Ansprache der Vereine erfolgte teilweise über persönliche Beziehungen zu Vertretern der Vereine oder auch durch im Netz verfügbare Kontaktadressen.

Online-Redaktion: Die erfolgreiche Suche verlief zügig?

Willwacher: Das kann man so nicht behaupten. Die Vereine benötigen offensichtlich schon eine sehr lange Vorlaufzeit für ihre Entscheidung. Absprachen zwischen den Vereinsakteuren machen diese erforderlich, zumal die meisten ehrenamtlich tätig und nicht immer erreichbar sind. Die Zu- oder Absage hängt dann mitunter noch von der Nutzungsmöglichkeit geeigneter Trainingsflächen und Sportgeräte ab.

Für den Tennisverein etwa ergab sich die Schwierigkeit, dass keine Kinder-Tennisschläger vorhanden waren. Der Verein organisierte sie über einen bezahlten Trainer. Die Kosten übernahm der Verein. Schulen, die sich für das Karussellmodell interessieren, raten wir, einen Satz Tennisschläger für die Schülerinnen und Schüler aus dem Schul- oder Ganztagsetat zu finanzieren.

Online-Redaktion: Konnten alle Sportarten direkt in der Schule angeboten werden?

Kanu
Im großen Kanu auf dem Kermisdahl © Kreis Kleve

Willwacher: Drei der vier Sportstätten der Vereine waren zu Fuß zu erreichen. Für die vierte wurde ein Bustransfer erforderlich, da die Trainingsstätte des Judovereins, der sogenannte Dojo, in einem anderen Teil der Stadt liegt. Die Kosten übernahm der Ganztag.

Online-Redaktion: Welche Voraussetzungen müssen darüber hinaus erfüllt sein, damit das Sportkarussell reibungslos läuft?

Willwacher: Die verbindliche Zusage innerhalb der Kooperation über einen nur wenige Termine umfassenden Zeitraum kam den Übungsleiterinnen und Übungsleitern sehr entgegen. Die Gruppe sollte maximal zwölf Kinder stark sein. Wichtig ist die Anwesenheit von pädagogischen Kräften der Schule oder des Ganztags. In Konfliktfällen – manchmal hört man ja: „Ich gehe nicht mit X in eine Gruppe…“ – und bei größeren Streitigkeiten der Kinder untereinander muss eine Aufsichtsperson aus Sicht der Vereine unmittelbar ansprechbar sein. Darüber hinaus muss eine gewisse Flexibilität gegeben sein. Eine Übungseinheit erfordert schon den zeitlichen Rahmen einer Doppelstunde. In 45 Minuten ist das mit Hin- und Rückweg, Umziehen etc. nicht praktikabel.

Online-Redaktion: Wie gelingt die Finanzierung?

Willwacher: Natürlich entstehen Kosten – etwa für Material oder Fahrtkosten zu den Sportstätten. Es wird sicher Fantasie gefragt sein, aber da es sich um eine Schulveranstaltung handelt, wird die Kommune als Schulträger oder der Ganztag zum Beispiel den Transport zu den städtischen und vereinseigenen Anlagen übernehmen. Ansonsten können Mittel der Schule, zum Beispiel des Fördervereins, oder das Landesprogramm „1000x1000 – Anerkennung für den Sportverein“ genutzt werden. Das Landesprogramm fördert Kooperationsmaßnahmen der Sportvereine in den Bereichen „schulischer Ganztag“ und „Kindertageseinrichtungen“. Auch das neue Förderprogramm „Schulsportgemeinschaften“ ist eine Möglichkeit.

Online-Redaktion: Wie geht es jetzt nach dem Modellversuch weiter?

Training
Training "American Football" bei den Klever Conquerors © Kreis Kleve

Willwacher: Gemeinsam mit dem Kreissportbund bleiben wir als regionales Bildungsbüro unterstützend tätig. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir für die Idee und das Konzept in Kommunen, Schulen und Sportvereinen werben. Doch es bleibt nicht bei der Werbung. Wir begleiten und beraten potenzielle Kooperationspartner. Denn das gemeinsame Ziel von Schulen und Sportvereinen ist es doch, einen Beitrag zum gelingenden Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen zu leisten. Ein Mehr an Bewegung, Spiel und Sport verbessert die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit.

Darüber hinaus lernen die Kinder eine Vielzahl von Bewegungs- und Sportmöglichkeiten kennen und entwickeln hoffentlich die Motivation für eine bewusste, gesunde und bewegungsreiche eigene Lebensweise. Für die Kommunen kann das Sportkarussell ein wichtiger Baustein der Jugendarbeit werden. Die lokale Vereinslandschaft wird gestärkt, und damit wächst auch der soziale Zusammenhalt in der Kommune.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

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