Grundschule Urbich: Lernen mit allen Sinnen - Bewegung ist Trumpf : Datum: Autor: Autor/in: Martina Kefer
ABC: Üblicherweise werden Buchstaben geschrieben. Man kann sie aber auch gehen. Wie in der Staatlichen Grundschule Urbich in Erfurt, die mit dem Deutschen Schulsportpreis ausgezeichnet wurde.
Angefangen hat alles aber schon viel früher: Bereits 1995 wurde an der Grundschule beschlossen, den gesamten Tagesablauf naturverbunden, bewegungsfreundlich und damit gesundheitsfördernd zu gestalten. Schulleiterin Sabine Keßler: "Wir können dadurch heute auf vielfältige Erfahrungen zurückgreifen und entwickeln unser Konzept einer kindgerechten offenen Ganztagsschule auf der Grundlage der Schulentwicklungskonzepte hi.bi.kus und nelecom ständig weiter. Besonders wichtig sind uns dabei die Entwicklung der Lesekompetenz und Wertevermittlung."
Tchoukball hat sich als Meilenstein auf diesem Weg erwiesen. Kurz nachdem Sabine Keßler vor sieben Jahren die Leitung der Grundschule übernommen hatte, führte sie den Ballsport gemeinsam mit Rainer Eckert von der Sportgemeinschaft SG Urbich 1984/ Abteilung Tchoukball ein. Vom Schweizer Arzt Dr. Hermann Brandt zunächst als Rehabilitationssport erfunden, trägt Tchoukball zu Pflege und Erhalt der Gesundheit bei, lehrt den respektvollen Umgang miteinander - und macht einfach riesigen Spaß.
Taktisches Spiel ohne Körperkontakt
Tchoukball ist ein schnelles, intensives und abwechslungsreiches Spiel. "Es ist ein taktisches Spiel, das Bewegung und Denken kombiniert", fasst Sabine Keßler zusammen und ergänzt: "Tchoukball integriert, stärkt das Gemeinschaftsgefühl - nicht nur in der Schule, sondern in der ganzen Kommune."
Trafen sich zunächst die Schülerinnen und Schüler auch samstags zum Tchoukball-Training, sprang der Funke bald auf Eltern und sogar Großeltern über. Sie wollten nicht nur zuschauen, sondern selbst aktiv werden. Über die Kindergärten wurden inzwischen auch die ganz Kleinen ins Boot geholt. "Opis und Omis spielen heute schon mal gemeinsam mit ihren Enkeln Tchoukball", schwärmt Keßler. Auch hat die schulische Zusammenarbeit mit den Eltern eine andere Qualität durch die gemeinsam gelebte Tchoukball-Leidenschaft bekommen.
Sabine Keßler, die selbstverständlich auch dem Schweizer Ballsport frönt, hat die Eltern näher kennengelernt und umgekehrt - ein guter Sportsgeist durchweht die Schule. "Das afrikanische Sprichwort ,Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf' wird bei uns tatsächlich gelebt", freut sich die Schulleiterin. "Unsere Schule ist keine Insel, sondern eine kooperierende und in der Kommune vernetzte Einheit mit einer über die Schule hinaus erweiterten Lernkultur." Davon zeugen ehrenamtliche Helfer und externe Partner wie Lesepaten, Sportvereine oder Sponsoren, die gerne spenden, wenn die Kinder beim schulinternen Sponsorenlauf Kilometer zurücklegen. Von den Spenden werden dann neue Spiel- und Sportgeräte gekauft.
Ganztags ganzheitlich betreut
"Manche mögen nur den Kopf in die Schule schicken, aber immer kommt der ganze Mensch." Dieses Zitat steht nicht nur auf der Homepage der Grundschule, es wird von dieser auch als Leitbild verstanden. Und es ist für deren Selbstverständnis umso bedeutender, als die Kinder sehr viel Zeit dort verbringen: Der Frühhort der offenen Ganztagsschule öffnet bereits um 6.30 Uhr. Keßler: "In ruhiger Atmosphäre haben die Kinder die Möglichkeit, sich spielerisch auf den Tag einzustimmen." Ab 7.30 Uhr lernen die einzelnen Klassen im Blockunterricht, je nach Stundenplan. Mittags stehen das gemeinsame Essen, betreute Hausaufgaben und im Anschluss individuelle sowie Gruppenarbeiten auf dem Programm. Dazu gehören vielfältig vernetzte Projekte, gemeinsame Feste, das Experimentieren auch in Kooperation mit den vier Partnerkindergärten und vor allem viele musikalische und sportliche Angebote von schulinternen Pädagogen und externen Partnern. Ab 15.30 Uhr werden die Ganztagskinder bis 17 Uhr im Späthort betreut - je nach Witterung auch im Außengelände.
Und immer sind die Kinder in Bewegung. Im Sport- und Sportförderunterricht sowieso. Aber auch alle anderen Unterrichtsfächer werden methodisch so aufbereitet, dass sie Bewegungselemente enthalten. Vom 45-Minuten-Takt hat sich die Urbicher Grundschule längst verabschiedet. "Pausen gibt es dann, wenn die Kinder sie brauchen. Das kann nach zehn, aber auch erst nach 60 Minuten sein", so Keßler. "Unser Schulalltag ist durch eine altersgerechte lernfördernde Rhythmisierung von Belastung und Entspannung geprägt", fasst die Schulleiterin zusammen.
Bewegung baut Aggressionen ab
"Wir definieren die bewegungsfreundliche Schule als einen Weg, Schülerinnen und Schüler in ihrer Ganzheitlichkeit anzunehmen und sie in ihrer physischen, psychischen, kognitiven und sozialen Entwicklung unterstützend zu begleiten." Bewegung im Unterricht helfe den Kindern, Strukturen zu erkennen und wahrzunehmen. Keßler: "Bewegung entspricht einem Grundbedürfnis der Kinder, baut Aggressionen ab und wirkt sich auf das Bewältigen komplexer Situationen hilfreich aus. Anders herum ausgedrückt: Eingeschränkte Bewegungs- und Körpererfahrungen erschweren vielen Grundschulkindern das Lernen." In Urbich lernen die Schüler beispielsweise auch, sich ihre "Denkmütze anzuziehen". Diese Brain-Gym-Übung soll beispielsweise dabei helfen, konzentriert zuhören und verstehen zu können. Dabei wird die gesamte Ohrmuschel gründlich durchmassiert, bis die Ohren ganz warm und rot werden, als hätte man eine warme Mütze auf.
Schon seit einiger Zeit beschäftigt sich das Kollegium verstärkt mit den Auswirkungen von Bewegung auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Dazu zählt die Teilnahme am hi.bi.kus-Projekt, einem Programm des Thüringer Kultusministeriums, das sich der hirngerechten Bildung und Erziehung in Kindergarten und Schule widmet.
"Die Entwicklungspsychologie hat einen engen Zusammenhang zwischen Intelligenzentwicklung und Bewegung nachgewiesen und wir versuchen dieses Wissen zum Wohle der Kinder praktisch umzusetzen", betont Kessler. "Unser Ziehvater ist Gerald Hüther." Der Göttinger Neurobiologe hat drei Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum postuliert: Jedes Kind brauche Aufgaben, an denen es wachsen kann, Vorbilder, an denen es sich orientieren kann, und Gemeinschaften, in denen es sich aufgehoben fühlt.
Erfolge als Dünger für weitere Motivation
Diese drei Gelingensbedingungen versuchen in der nelecom-Kommune Urbich alle an der Bildung und Erziehung beteiligten Partner erfolgreich umzusetzen. In Urbich heißt deshalb ein Motto der Schule auch: "Die Stärken stärken." Erzielte Erfolge - das merken die Urbicher immer wieder - ziehen weite Kreise. "Sie sind der Dünger für weitere Motivation", sagt Sabine Keßler. Womit wir wieder beim Tchoukball wären. Konnte doch die Grundschule Urbich im Juni beim Wettkampf der Thüringer Grundschulen den Siegerpokal und die Goldmedaillen mit nach Hause bringen. Scheint so, als habe sich da einmal mehr etwas bewegt.
Kategorien: Forschung - Internationale Entwicklungen
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