Gleichberechtigt in der Bildungslandschaft: Sport und Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kooperationen von Ganztagsschulen und Sportvereinen gelingen vielfach, doch es gibt noch einiges zu tun. Matthias Kohl, stellvertretender Geschäftsführer der Sportjugend NRW und Referatsleiter für Kinder- und Jugendsportentwicklung im Interview.
Online-Redaktion: Nordrhein-Westfalen gilt als ein Paradebeispiel, wie enge Kooperationen zwischen Ganztagsschulen und Sportvereinen gelingen können. Wo steht NRW heute?
Matthias Kohl: Als die Ganztagsschulentwicklung vor 13 Jahren begann, war es vergleichsweise leicht, die wenigen Ganztagsschulen und Vereine in Kooperationen zusammenzubringen. Doch das Ganze ist geradezu explodiert. Beide Seiten stehen vor großen Herausforderungen. Der Ganztag ist zum Katalysator für gesellschaftliche und bildungspolitische Veränderungen geworden. Und der zivilgesellschaftliche Sport kann und muss seinen Beitrag dazu leisten. 120 Jahre „duales System“ im Kinder- und Jugendsport mit Schulsport am Vormittag, ein paar Arbeitsgemeinschaften und Vereinssport am Nachmittag sind neu zu denken.
Online-Redaktion: Wie muss dieser Beitrag des Sports aussehen?
Kohl: Es reicht nicht, dass unsere rund 19.000 Vereine in NRW ein bisschen die Palette der Arbeitsgemeinschaften bereichern. Die Aufgabe ist größer. Der Grundgedanke des Offenen Ganztags in NRW führt in der Konsequenz über die Öffnung von Schule direkt in die lokale Bildungslandschaft. Und da wird es richtig spannend. Denn da wird die Frage gestellt, wer beteiligt sich wie an dem gelingenden Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen in einer ganz konkreten Stadt oder Gemeinde in NRW.
Dazu haben wir uns klar positioniert. Erstens ist Sport ein eigener Bereich von Bildung. Zweitens dürfen Sportvereine, Schulen und Kindertageseinrichtungen als die großen institutionellen Träger der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur in den 369 Städten und Gemeinden in NRW nicht aneinander vorbeiarbeiten. Und drittens sind Sportvereine hier Bildungsakteur – mit ihrem eigenen Kerngeschäft von regelmäßigem Training, Wettkämpfen und der außersportlichen Jugendarbeit.
Die Sportvereine werden als Bildungspartner von Schulen und Kitas gebraucht. Erfreulicherweise ist die bei vielen im Kinder- und Jugendsport engagierten Vereinen durchaus vorhandene Skepsis gegenüber diesen Veränderungen überwiegend der Erkenntnis gewichen, dass sich hier neue Chancen bieten.
Online-Redaktion: Die Barrieren in den Köpfen sind also abgebaut?
Kohl: Gänzlich sicherlich noch nicht. Viele Vereine haben gute Erfahrungen in ihren Kooperationen mit Ganztagsschulen sammeln können. Und der Wunsch der Schulen, mit ihren örtlichen Sportvereinen zu kooperieren, hat sich mit dem Ganztag deutlich verstärkt. Durch die neuen Rahmenvorgaben für den Schulsport auf der staatlichen und durch das Programm „NRW bewegt seine KINDER!“ auf der Seite des zivilgesellschaftlichen Sports gibt es in NRW auf Landesebene solide Grundlagen und Orientierungen für Schulen und Sportvereine in diesem Prozess. Trotzdem bleibt es eine freiwillige Entscheidung der einzelnen Schule und des einzelnen Sportvereins, tatsächlich zu kooperieren. Die Argumente, sich dafür zu entscheiden, sind stark.
Online-Redaktion: Oft wird das Arbeiten auf Augenhöhe als eine wesentliche Voraussetzung für gute Kooperationen benannt...
Kohl: Den Begriff muss man mit Leben füllen. Was ist Augenhöhe? Reicht es, wenn man freundlich miteinander umgeht, sich auch einmal über ein Kind austauscht oder Übungsleiter an Schulkonferenzen eventuell teilnehmen dürfen? Unsere Antwort lautet: Nein, das reicht eben noch nicht. Es geht darum, dass der Sport nicht als Dienstleister betrachtet wird, sondern dass er als gleichberechtigter Bildungspartner in einer regionalen Bildungslandschaft anerkannt wird. Darüber, wie und ob das gelingt, gibt es sehr ambivalente Rückmeldungen. Immerhin gibt es auch deutliche Hinweise, dass die Ganztagsschulen und die Kommunen uns zunehmend als solchen Partner wahrnehmen.
Online-Redaktion: Schwingt in Ihrer Antwort ein „aber“ mit?
Kohl: Durchaus. Denn gefühlt ist die Akzeptanz der Sportorganisationen bei den Ganztagsschulen höher als bei manchen Trägern der Ganztagsangebote.
Online-Redaktion: Mit welchen Folgen?
Kohl: Es gibt nach wie vor Träger, die arbeiten hermetisch, sie schließen sich ab, lassen keine „Fremden“ rein. Das hat vielleicht etwas mit Gewohnheit, einem Kontrollbedürfnis, Furcht vor Verantwortungsteilung oder ganz schlicht mit erhöhtem Verwaltungsaufwand zu tun. Das Kuriose dabei: Unsere Ausbildungen für Übungsleiterinnen und Übungsleiter werden von Mitarbeitern des Ganztagsbereichs überrannt. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Die Zugänge, die sich dem Sport im Ganztag und damit als Partner in der Bildungslandschaft bieten, könnten noch besser werden. Immerhin ist es nach wie vor der ausdrückliche Wunsch des Landes, den Sportvereinen für die Bewegung der Schülerinnen und Schüler im Ganztag den Vorrang einzuräumen.
Online-Redaktion: Wie schlägt sich das nieder?
Kohl: Neben der Rahmenvereinbarung, die eine Vorrangstellung der Angebote des gemeinnützigen Sports im Ganztag ermöglicht, wurde zwischen Land, Landessportbund und kommunalen Spitzenverbänden eine Bildungspartnerschaft vereinbart, die verlässliche Kooperationen von Schulen und Vereinen erreichen soll. Bewährt hat sich Letzteres besonders dort, wo Kommunen mit dem gemeinnützigen Sport einen Generalvertrag für die Sportangebote im Ganztag abgeschlossen haben.
Online-Redaktion: Bei dem es um Gleichberechtigung, Wertschätzung, Gestaltungsmöglichkeiten, letztlich aber auch um Geld geht...
Kohl: Die Generalverträge geben uns Handlungssicherheit. Dadurch können wir, auch dank der 54 geschaffenen Fachkräftestellen bei den Stadt- und Kreissportbünden, im Quartier versuchen, Schulen und Vereine stabil zusammenzubringen. Doch wir sind zunächst darauf angewiesen, dass die Kommune ein Sportbudget für den Ganztag bildet und das dann tatsächlich auch den Stadt- oder Kreissportbünden anvertraut wird.
Online-Redaktion: Eine optimale Lösung?
Kohl: Unserer Meinung nach ist das gut, aber nicht optimal, weil diese Prozesse mit viel Aufwand in jeder Stadt einzeln durchgefochten werden müssen. Gerne würden wir anregen, ob dieses Budget nicht schon auf Landesebene gebildet werden kann. Es würde einerseits dokumentieren, dass das Land Bewegung, Spiel und Sport im Ganztag stärkt und andererseits zeigen, dass der Staat die Bürgergesellschaft stark einbindet.In NRW sind die vereinzelten Rufe inzwischen zum Glück weitgehend verhallt, dass gute Schule nur mit ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern zu realisieren sei.
Online-Redaktion: Grund zur Klage bietet immer wieder einmal die Honorierung der Übungsleiterinnen und -leiter?
Kohl: Zu Recht. Das Honorar für eine Stunde schwankt je nach Träger zwischen dem Wunsch, doch bitte ehrenamtlich zu arbeiten, bis zu einem Spitzensatz von über 30 Euro. Der Durchschnitt liegt aktuell bei 13 Euro.
Online-Redaktion: Ein ausreichender Anreiz für Übungsleiterinnen und -leiter?
Kohl: Bei weniger als 13 Euro sicher nicht, danach hängt es von der persönlichen Situation des Übungsleiters ab. Noch problematischer aber ist die Systemlogik. In aller Regel schließen die Träger des Ganztags mit den Kooperationspartnern Verträge mit enger zeitlicher Rahmung, im schlechtesten Fall für ein halbes Schuljahr ab. Danach wird neu überlegt, welche Angebote den Schülerinnen und Schülern im zweiten Halbjahr unterbreitet werden. Da fragen sich selbst Vereine, die um die Vorteile eines Engagements im Ganztag wissen, ob sich das lohnt. Mit Unsicherheit motiviert man niemanden. Eine lokale Bildungslandschaft kann nur mit Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit geschaffen werden.
Online-Redaktion: Und was ist mit frühkindlicher Bildung?
Kohl: Sie wird von den Vereinen zunehmend in den Blick genommen. Die Zertifizierungsmöglichkeit zum „Anerkannten Bewegungskindergarten“ und das vor zwei Jahren ins Leben gerufene Kinder-Bewegungsabzeichen, das KiBaz, das bereits rund 25.000 Drei- bis Sechsjährige erworben haben, sind solche Schritte. Aktuell aber bieten nur 3.500 von 19.000 Vereinen etwas für Kinder unter sechs Jahren an. Und das bei 9.000 Kitas. Das ist eine weitere Herausforderung für die nahe Zukunft.
Kategorien: Kooperationen - Eltern und Familien
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