"Bewegung – Gesundheit – Bildung" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Auf riesiges Interesse stieß das 12. Thüringer Bildungssymposium mit dem Schwerpunkt "Bewegung – Gesundheit – Bildung". Mehr als 1.000 Interessierte ließen sich am 24. Mai in Erfurt von rund 80 Vorträgen und Workshops inspirieren.

Sie hatten die Qual der Wahl. Denn das Angebot an spannenden, hoch interessanten Themen deckte ein ungemein breites Spektrum ab. Es reichte von der Sprach- und Leseförderung über individualisierte Unterrichtsformen, die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur bis hin zum Einsatz von Computer- und Multimediatechnik. Aber auch Fragen des harmonischen Miteinanders von Schule und Eltern, der Kita-Bildung oder der Bildungschancen von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund waren Themen.

„Außerdem bietet mir dieses Symposium wie kaum ein anderes die Gelegenheit zum fachlichen Austausch“, lobte eine junge Erzieherin aus Erfurt die Veranstaltung, die vom Thüringer Bildungsministerium gemeinsam mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien – bundesweit als „Thillm“ bekannt – organisiert worden war. Angesichts der Fülle der Angebote sprach ein am frühen Morgen angereister Pädagoge vielen aus der Seele: „Es wäre schön, wenn die Messe künftig zeitlich noch ausgedehnt werden könnte. Viele interessante Workshops konnte ich nicht besuchen.“

„Kinder lassen sich bewegen“

Bernd Gröben beim Vortrag
Prof. Dr. Bernd Gröben, Universität Bielefeld © Susann Nürnberger

Da war es gut, dass die Veranstalter den Hauptvorträgen der Sportwissenschaftlerin Prof. Dr. Christina Müller (Universität Leipzig) und ihres Kollegen Prof. Dr. Bernd Gröben (Universität Bielefeld) „konkurrenzlose“ Zeitfenster eingeräumt hatten. Schließlich standen Bewegung und Sport im Mittelpunkt des Tages. Wie wichtig beides für Kinder ist, unterstrichen die Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Erfurter Grundschule Urbich in ihrer musikalischen Eröffnung. „Mit Musik, Bewegung und Rhythmus macht uns Lernen mehr Spaß. Und wenn wir Spaß am Lernen haben, macht Ihnen die Arbeit doch auch mehr Freude“, appellierten sie an die Lehrerinnen und Lehrer im Publikum.

Die Vokabel „bewegen“ nutzte der Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Christoph Matschie, für ein Wortspiel, nachdem die Grundschüler in einem Rap ihre Sorge um die Umwelt deutlich gemacht hatten („Helft uns, das Ruder herumzureißen“). „Kinder lassen sich bewegen von Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit“, betonte er und hob anschließend die Bildungsanstrengungen Thüringens hervor. Zur „Bedeutung von körperlicher Bewegung“ verwies er auf eine Studie des Landessozialministeriums, nach der 20 Prozent aller Achtklässlerinnen und Achtklässler zuviel Gewicht hätten. Matschie: „Schule und Kitas können da viel machen, und unsere 3.000 Sportlehrerinnen und -lehrer tun auch viel.“ Es bleibe aber noch einiges zu tun, kommentierte eine Pädagogin.

Zu selbstbestimmtem Leben befähigen

„Gesundheit“ – den Begriff mochte er eigentlich nicht ins Zentrum seiner Überlegungen stellen – „unterliegt unserer Kompetenz der Selbststeuerung“, so der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Gröben im Gespräch mit www.ganztagsschulen.org. Schule und damit auch der Sportunterricht müssten Kindern und Jugendlichen die Kompetenzen vermitteln, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können. „Sie sollen befähigt werden, Regie im eigenen Leben führen zu können, gleichzeitig die Selbstbestimmung des anderen zu achten“, erläuterte der Sportpädagoge. Wer dazu in der Lage sei, könne auch gut entscheiden, ob der Obstsalat oder das Ei für ihn die passende Frühstücksvariante darstelle.

Gröben wünscht sich einen Sportunterricht, der Zugang schafft zum Körper und zur Bewegung als Element gelingenden Lebens. „Dabei ist die positive Erfahrung mit Bewegung  entscheidend. Eine moralische Gesundheitskeule oder ein Tugendkatalog helfen nicht“, mahnte er.

Sportunterricht: Chance und zugleich heikel

Infostände
© Susann Nürnberger

Zugang zum eigenen Körper könne man einerseits dadurch erlangen, dass man Bewegung im Schulleben exponiere, indem man etwa den Sitzalltag auflöse. Aber auch der Sportunterricht im engeren Sinne biete dafür gute Chancen. „Die Sportstunde bietet sich an und ist gleichzeitig heikel. Denn im Sportunterricht versammelt sich eine Gruppe zwangsläufig und unfreiwillig. Sie ist heterogen, es sind Kinder darin, die etwa gerne und gut Fußball spielen und solche, die das nicht mögen. Das unterscheidet Fußball im Unterricht vom Vereinssport.“ Dennoch gehe es darum, im Unterricht die Erlebniswelt Fußball zu zeigen. Stelle man nur zwei Tore auf und ließe die Schüler spielen, führe das automatisch dazu, dass sich die guten Fußballer den Ball zuspielten, die anderen Kinder aber gelangweilt am Rand stünden.

Nach Gröben sollte die Kompetenz, „zusammen zu spielen“, Vorrang haben. Das bedeute, den Grundgedanken des Spiels beizubehalten und es doch so zu gestalten, dass alle gebraucht würden. Etwa: einen auf den Kopf gestellten Turnkasten als Tor aufzustellen – der Ball muss aus der Nähe nicht mit Kraft, sondern mit Gefühl hinein„gehoben“ werden. Gröben: „Sie werden sehen, da entwickeln auf einmal die Mädchen und auch schwächere Fußballer besonderes Talent.“ Die Spielvariationen sollten mit den Schülern erarbeitet werden. Als methodische Herangehensweise empfiehlt der Wissenschaftler, Kleingruppen als gleich starke Teams zu bilden und eine Spielform zu finden, in der sich alle wohl fühlen. Erniedrigende Erfahrungen dürfen Kinder im Sportunterricht nicht sammeln.

Ganztagsschulen und ihre Möglichkeiten

Große Zustimmung erntete Gröben für seinen Hinweis, dass es nicht ausreiche, wenn Kinder sich in der Schule bewegen. Sie müssten auch die Kompetenz erlangen, zu erkennen, was gute Ernährung bedeutet oder Wissen über den Körper. „So gesehen ist guter Sport immer ein Gesundheitsauftrag“, meinte er. Eben dort liege auch die große Chance von Schule: „Schließlich erreichen wir anders als im Sportverein alle.“ Den Ganztagsschulen böten sich in diesem Kontext besondere Möglichkeiten. In Kooperation mit den Sportvereinen ließen sich hier Neigungsgruppen bilden, in denen Kinder losgelöst vom Strukturnachteil des herkömmlichen Sportunterrichts in unterschiedlichsten Sportarten gefördert werden könnten.

Dass Bewegung mehr ist als die wöchentliche Sportstunde hatte zuvor Prof. Dr. Christina Müller verdeutlicht. „Es handelt sich um eine Querschnittsaufgabe“, betonte sie und ermunterte die Pädagoginnen und Pädagogen, Bewegung in jedes Unterrichtsfach zu integrieren. „Bewegung hat eine anregende, aber auch eine beruhigende Wirkung – wie Abbau von Stress, positive Stimmungsveränderung, Prävention“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Bewegung sei zudem die Voraussetzung für eine gute motorische und körperliche Entwicklung, differenzierte Wahrnehmungen, sie helfe beim kognitiven Lernen und fördere das soziale Verhalten.

Anregungen durch Gespräche am Rande

interessierte Teilnehmerin an einem Infostand
© Susann Nürnberger

In jenen Einrichtungen, die sich als „Bewegte Schule“ mit einem entsprechenden Profil verstehen, kann man diese Erkenntnisse der Wissenschaft nur unterstreichen. Das machten einige der Workshops und Vorträge, vor allem aber auch die Gespräche am Rande auf dem Messegelände deutlich. „Seit wir Bewegung, Kunst oder Musik nicht mehr als isolierte Fächer betrachten, sondern nahezu überall nutzen, sind die Kinder nicht nur aufmerksamer. Aggression und Mobbing gibt es bei uns kaum“, ermunterte eine Schulleiterin die Umstehenden. „Versuchen Sie es mal. Es wirkt Wunder“, meinte sie.

Dankend nahm ein Kollege den Vorschlag auf, der gerade den Workshop „Mobbing – was tun?“ von Dr. Wolfgang Wildfeuer (Sächsisches Bildungsinstitut) verlassen hatte. Dort hatte er wertvolle Hinweise zum Thema Mobbing erhalten – angefangen von der zielgerichteten Beobachtung der Vorfälle, über vertrauensvolle Gespräche mit den Betroffenen bis hin zur Mediation als Lösungsweg und eventuell erforderlichen Sanktionen. Optimistisches und zugleich nachdenkliches Fazit des Schulleiters: „Offensichtlich müssen wir tatsächlich die Chancen von Bewegung stärker nutzen. Dieses Symposium hat mir Mut gemacht.“

 

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