„Auf die Blaue!“ Ganztags. : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der SV Stuttgarter Kickers blickt auf über 100 Jahre Fußballkultur im Stadtteil Stuttgart-Degerloch zurück. Davon profitieren auch Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulen. Die Kickers punkten mit Programmen wie „Fußball trifft Kultur“ und Feriencamps.

Gruppenfoto der Kinder im Stadion
Gute Laune trotz des Abstiegs der Profi-Mannschaft. © Michael Raidt / Stuttgarter Kickers

Guido Arnold brennt für die Stuttgarter Kickers, das ist klar. Der Administrative Leiter des Nachwuchsleistungszentrums ist fest verwurzelt im Fußballclub im Stuttgarter Vorort Degerloch, dessen Jugendarbeit einst ein Fußballtalent namens Jürgen Klinsmann groß gemacht hat. Doch auch wenn Arnold „schon immer fußballaffin“ war, ist er nach eigener Einschätzung „ein Quereinsteiger“. Der Mann hat Selbstironie: „Von meiner Fußballkarriere, wo ich es nicht so weit gebracht habe, reden wir mal nicht.“ Eigentlich besaß er eine Elektrotechnikfirma, doch der Fußball hat immer eine Rolle gespielt. Denn Arnold arbeitete nebenher beim baden-württembergischen Fußballverband als Nachwuchsleiter, bevor er – ebenso ehrenamtlich – als Jugendleiter bei den Stuttgarter Kickers einstieg.

„Bei den Kickers wurde schon immer gute Jugendarbeit geleistet“, erzählt Arnold, „aber das organisatorische Drumherum passte noch nicht so richtig. Irgendwann sind sie auf mich aufmerksam geworden.“ Der Club brauchte jemanden, der das Nachwuchsleistungszentrum und den Physiobereich mit aufbaute. Arnold nahm an. Und als die Kickers ihm eine Vollzeitstelle anboten, musste er sich entscheiden – „Firma und Kickers zu 100 Prozent gingen nicht“. Guido Arnold machte sein „Hobby zum Beruf“.

Sport trifft Schule

Heute schaut der 59-Jährige auf die Arbeit von elf Nachwuchsmannschaften, 33 Trainern, 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sieben Jahre ist er nun dabei und hat seine Entscheidung nicht bereut: „Man fühlt sich richtig gut aufgehoben“, schwärmt Arnold, „weil wir hier einen Riesenspaß an der Arbeit entwickeln.“ Das sollen natürlich vor allem die Kinder und Jugendlichen merken. Aber  nicht nur die Leidenschaft ist entscheidend. „Ich habe auch Lebenserfahrung“, so Arnold. Er weiß, wie wichtig es ist, über den Sport die Schule nicht zu vernachlässigen. Daher gehört im Nachwuchsleistungszentrum „untrennbar beides zusammen“ – die sportliche wie die schulische Leistung.

Schülerinnen und Schüler bei einer Trainingspause
Im letzten Jahr nahmen 500 Kinder an den Ferien-Camps der Kickers teil. © Michael Raidt / Stuttgarter Kickers

„Unumstritten ist ein Schüler aufnahmefähiger, wenn er sich am Tag draußen bewegt“, so Arnold. „Ich weiß umgekehrt aber auch, dass wenn ein Schüler in der Schule Probleme hat, er abends nicht frei im Training sein kann. Der Sport profitiert von guten Schulleistungen. Wir möchten den Jugendlichen helfen, den schulischen Weg besser zu gehen. Wir nennen das Kompetenztraining, das individuell auf die Lernschwächen der Schüler ausgerichtet ist. Wir haben eine Laufbahnberatung, fünf Lehrer im Ehrenamt, darunter – das sage ich jetzt mal nicht ohne Stolz – drei Professoren, die die Kinder vollkommen individuell unter der Woche mit fünf bis sechs Stunden zusätzlich unterrichten, wenn sie Schwierigkeiten in der Schule haben oder um Grundlagen zu festigen. Und siehe da, da bleib ich fest dabei, dann ist auch die sportliche Leistung besser.“

Fußball trifft Kultur

Das Zusammenwirken von Fußball und Bildung wird besonders sichtbar im Projekt „Fußball trifft Kultur“, an dem die Stuttgarter Kickers beteiligt sind. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Kinderfreundliches Stuttgart“ trainiert ein Kickers-Trainer ein Schuljahr lang einmal wöchentlich mit Drittklässlern. Ein Teil der Klasse nimmt immer im Wechsel an einem Sprachförderunterricht teil.

Das 2007 von der gemeinnützigen Gesellschaft LitCam – Frankfurt Book Fair Literacy Campaign ins Leben gerufene Bildungsprojekt will Kinder aus sozial schwächeren Familien unterstützen und deren Kompetenzen stärken. Die Begeisterung für den Fußball dient dabei als starke Motivation. „Fußball trifft Kultur“ ist gewissermaßen Fußballtraining, Bildungsangebot und Kulturprogramm in einem. Die Schülerinnen und Schüler verbessern spielerisch ihre Sprachfähigkeiten und beteiligen sich aktiver am Unterricht. Das wirkt sich auch positiv auf ihr Selbstwertgefühl aus.

Seit 2010 hat das Programm in Stuttgart Fuß gefasst – mit „den Blauen“ – den Stuttgarter Kickers – und „den Roten“ – dem VfB Stuttgart. In diesem Schuljahr sind über 70 Drittklässler dabei. Die Kickers arbeiten mit der Fasanenhofschule zusammen, einer Grundschule, die sage und schreibe mehr als 30 Jahre Erfahrung im Ganztagsbetrieb hat und auf ihrer Schulhomepage einlädt: „Wir freuen uns auf jede neue Schülerin und jeden neuen Schüler.“ Die Fasanenhofschule ist „Bewegte Schule“ und GES-Schule. Das Projekt GES – GemeinschaftsErlebnis Sport – hat die Landeshauptstadt seit 1998 gemeinsam mit dem Kultusministerium und dem Sportkreis Stuttgart e.V. mehr als erfolgreich in drei Stadtbezirken etabliert.

„Die Blauen“ und die Ganztagsschulen

Gruppenfoto mit Schülern der Kooperationsschule Lerchenrainschule
Die Kickers kooperieren mit mehreren Schulen, so auch der Lerchenrainschule. © Michael Raidt / Stuttgarter Kickers

Bei Training und Unterricht bleibt es selbstverständlich nicht, wenn Fußball Kultur trifft. Die Kinder unternehmen auch Ausflüge in Museen, besuchen den Stadtteilbauernhof, gehen Klettern und besuchen natürlich die Stadien. „Wenn sie dann einen Spieler treffen, sind die hin und weg“, berichtet Arnold. „Das hat auch was mit Vorbildern zu tun, an denen man sich orientieren kann.“ Bei diesem Projekt seien übrigens „die Mädchen voran, die haben einen Wahnsinnsspaß“.

Regelmäßig kooperieren die Kickers mit dem Wirtemberg-Gymnasium, mit der Linden-Realschule, mit dem Schickhardt-Gymnasium und mit der Grundschule Lerchenrainschule. Alle sind „Eliteschulen des Sports“ oder – in Baden-Württemberg seit 2007 initiiert – „Eliteschulen des Fußballs“, die Sporttalente fördern und in der Regel auch Ganztagsschulen sind, weil die Verbindung von Schule und Training das geradezu herausfordert.

Guido Arnold erläutert das Prinzip: „Hier kommen die Kinder und Jugendlichen auch vormittags zu uns zum Training“. Dienstags und donnerstags trainieren sie mit zwei Trainern altersgemischt für jeweils 90 Minuten im ADM-Sportpark, dem nach Ehrenpräsident Axel Dünnwald-Metzler benannten Vereinsgelände in Degerloch. Die Sportschulen erhalten zusätzliche Deputatstunden, denn die jungen Sportlerinnen und Sportler sollen auch eine optimale schulische Förderung erhalten und erfolgreiche Schulabschlüsse erreichen.

Eine andere Form der Kooperation gibt es mit der Albschule Degerloch. In der „Bewegten Grundschule“, die mit ihrem Sportschwerpunkt schon über zehn Jahre als Modellschule wirkt, bietet der Verein im Ganztagsbereich eine Fußball-AG an. Ein FSJler ist das „Verbindungsglied zwischen Verein und Schule“, wie Arnold berichtet. Die Kickers haben einen Vertrag mit der Württembergischen Sportjugend, bei der die FSJler angestellt sind. „Die FSJler machen bei uns ihren Trainerschein, das sind ganz nachgefragte junge Leute.“

Beliebte Ferien-Camps

Kinder in der Fußballumkleide
Besuch in der Heimkabine der Stuttgarter Kickers. © Michael Raidt / Stuttgarter Kickers

Auch in den Ferien reißt die Arbeit mit Nichtvereinsmitgliedern nicht ab. Die viertägigen Fußball-Camps in den Oster-, Pfingst-, Sommer-, Herbst- und Winterferien, geleitet von Trainern und Spielern der Kickers, erfreuen sich großer Beliebtheit. Guido Arnold, der die Camps organisiert, freut sich: „Letztes Jahr haben 500 Kinder teilgenommen.“

Alle Kinder und Jugendlichen im Alter von sechs bis 13 Jahren sind willkommen. Den Anteil der Mädchen schätzt Arnold auf sechs bis sieben Prozent. Professionelles, altersgemäßes Teamtraining, Wettbewerbe und Technikschulung stehen unter dem Motto „Spaß und Entwicklung vereinen“. „In den vier Tagen entwickeln sich tolle Teams“, kann Arnold immer wieder beobachten. „Da gibt es keine Außenseiter.“

Natürlich erhoffen sich die Stuttgarter Kickers auch, dass sich Kinder und Jugendliche für eine Vereinsmitgliedschaft entscheiden. „Manchmal bleibt einer hängen“, schmunzelt Arnold. Im Schatten des großen VfB ist es nicht leicht, den Nachwuchs zu rekrutieren, und besonders schwierig ist es, ihn dann auch zu halten. „Die Guten holt sich oft der VfB irgendwann von uns.“ Vorbereitende Nachwuchsarbeit ist das Los so mancher Vereine, gerade in Großstädten. 1860 München, Fortuna Köln oder der FSV Frankfurt können auch ein Lied davon singen.

Die Stuttgarter Kickers können sich dennoch gegenüber dem VfB gut positionieren. „Als kleiner Verein haben wir uns auf die Fahnen geschrieben: Familiär, leistungsbezogen, den Kindern eine Heimat. Nicht umsonst bezeichnet man uns als die Kickers-Familie“, so Arnold. Alle eint die Begeisterung für den Fußball – mit den manchmal noch kleinen Knirpsen, denen die Trikots im Fußball-Camp bis an die Knie reichen, als den allerersten Fans. Und wie heißt es in den Leitlinien des Vereins? „Keine Kickers ohne Fans – ohne euch kein wir!“

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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