Sich Zeit nehmen in der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Zeit in der Ganztagsschule ist knapp – und wird für die Kooperation in multiprofessionellen Teams gebraucht. Eine Tagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft formulierte den Anspruch: „Die Zeit nehmen wir uns!“

Zeit, Zeit, Zeit – wer sich in Ganztagsschulen umhört und versucht, herauszuhören, was sich Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte, aber auch Eltern, Schülerinnen und Schüler wünschen, hört dieses eine Wort immer wieder. Und immer wieder tauchen diese vier Buchstaben auf, wenn es um die Frage geht, wo Stunden, mitunter Minuten gefunden werden können – für den Austausch, für Schulentwicklungsgespräche, für die Entwicklung des Ganztagskonzepts, für Gespräche mit Eltern, Schülerinnen und Schülern.

Passend dazu war kürzlich der Titel einer Online-Dialogveranstaltung der Vorstandsbereiche Jugendhilfe und Sozialarbeit & Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewählt: „Die Zeit nehmen wir uns! – Kooperation von Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften und Eltern im Ganztag“. Es war bereits die dritte von fünf digitalen Veranstaltungen der Reihe „Keinen Tag ohne – Qualität im Ganztag“, die sich zuvor unter anderem den „Multiprofessionellen Teams“ gewidmet hat und zudem die Themen „Landesschulgesetze“ und „Inklusiver Schulbau“ plant.

Gute Kommunikationskanäle werden gebraucht

Gleich zum Auftakt der Online-Tagung wies Dr. Stephan Kielblock vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) zu Recht daraufhin, wie sehr es sich im Interesse der Schülerinnen und Schüler lohnt, von der „knapp bemessenen Zeit in der pädagogischen Praxis“ einiges in eine erfolgreiche multiprofessionelle Zusammenarbeit zu investieren. Er machte deutlich, dass eine gute Steuerung des Ganztags, die eines der zentralen Anliegen von Schulen ist und daher auch ein Hauptthema des vom BMBF geförderten „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialogs“ war, auf gut „eingerichteten Kommunikationskanälen“ basiert.

Wörtlich betonte Kielblock: „Alle relevanten Informationen müssen sich in den Verästelungen des Ganztags wiederfinden.“ Er präzisierte das mit Blick auf die Entwicklung von Lerngelegenheiten. Es sei aufwändig, gute Lerngelegenheiten zu schaffen, wenn man dabei auch die Kommunikationsgrenzen überwinden wolle. Doch der Austausch dazu und darüber, was Ganztag an der Schule leisten soll, lohne sich. Der zu erwartenden Frage, wie viel Zeit für so einen Prozess einplant werden müsse, griff er voraus: „Das hängt davon ab, wo Sie stehen.“

Übersetzt: Ganztagsschulen, die sich gerade auf den Weg machen, gemeinsame Strategien zu entwickeln und die am Ganztag beteiligten Professionen zusammenzubringen, müssen mehr Zeit einkalkulieren als jene Schulen, die bereits über funktionierende Strukturen des Austauschs und des Miteinanders verfügen. Sein Fazit fiel ermutigend aus: „Gute Kommunikation und Kooperation lassen sich entwickeln. Dabei handelt es sich um gut investierte Zeit.“

Im „Wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog“ wurden aus den Erfahrungen von Wissenschaft und Praxis dazu hilfreiche Materialien entwickelt, übersichtliche, informative Handreichungen zu wesentlichen Themenfeldern der Ganztagsschule als Leitfaden zur Orientierung. Die Broschüren sind auf dem Ganztagsschulportal unter „Qualitätsdialog“ zu finden.

Die gemeinsame fünfte Stunde

Einen weiteren, extrem spannenden Tagungspunkt stellte der Beitrag von Lena Hülst dar. Die Bereichsleiterin für den Ganztag an Schulen der Ballin-Stiftung stellte dem Publikum ein Modell vor, das die Stiftung gemeinsam mit Hamburger GBS-Schulen (GBS – Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen), in denen sie als Träger des Ganztags Bildungs- und Freizeitangebote durchführt – etwa an der Grundschule Tonndorf oder an der an der Schule Windmühlenweg – und Jugendhilfeträgern des Ganztags entwickelt hat.

Gespräche zum Austausch
© Britta Hüning

Dazu gehört beispielweise das Konzept der „Gemeinsamen Stunde“, das auf besondere Aufmerksamkeit der Teilnehmenden stieß. Schon ihre Beschreibung der Ausgangslage verdeutlichte die Schwierigkeit, die es zu beheben galt. „Die Lehrkräfte haben Dienstschluss, die Fachkräfte fangen ihren Dienst an“, schilderte sie die ursprünglichen Erfahrungen an den elf Standorten, an denen sich die Stiftung engagiert. „In all dem Trubel der Übergabe der Kinder bleibt wenig bis gar keine Zeit, um sich auszutauschen.“ Dieses Fehlen einer „gemeinsamen Zeit“ habe an vielen Standorten zu einem mangelnden Austausch zwischen den verschiedenen Professionen geführt.

Lena Hülst formulierte die Auswirkungen. Mangelndes Verständnis füreinander, Unzufriedenheit mit der Zusammenarbeit zwischen dem Vor- und Nachmittag, strukturell angelegte Trennung der beiden Arbeitsbereiche. Sie brachte es auf den Punkt: „Darunter leiden die Qualität der pädagogischen Arbeit und der gemeinsame professionelle Blick auf das einzelne Kind.“ Das aber stehe im Gegensatz zum Ziel ganztägiger Bildung.

Positives und Stolpersteine

Die Idee der gemeinsamen fünften Stunde wurde geboren: die Einführung einer Kooperationszeit. Sie bemisst 30 Minuten eines Tages, an dem Lehrkräfte und weitere pädagogische Fachkräfte die Gelegenheit haben, sich auszutauschen, gemeinsame Entwicklungsziele zu bestimmen oder Organisatorisches zu besprechen, um anschließend zusammen Projekte durchzuführen. Hülst: „Es sind tolle Projekte entstanden, beispielsweise Theaterstücke, Band- und Medienprojekte, Kochkurse oder gemeinsam gestaltete naturwissenschaftliche Projekte.“

Bewährt habe sich, dass die Lehrerinnen und Lehrer stärker den „theoretischen“ Part und die pädagogischen Fachkräfte eher den praktischen Teil des Ausprobierens übernehmen. Sie nannte das Positive – mehr gegenseitiges Verständnis, Transfer von Unterrichtsinhalten in den Nachmittag, Synergieeffekte –, aber verschwieg auch die Stolpersteine nicht. So habe die pädagogische Fachkraft nicht die Aufgabe, den Unterricht zu bewerten. Vielmehr sollte sie eigene Ideen zur Gestaltung einbringen und unterstützend wirken. Und sie mahnte: „Die pädagogische Fachkraft hat nicht den Auftrag, für die Lehrkraft am Kopierer zu stehen.“

Der Vortrag warf auch Fragen bei den Teilnehmenden auf. So etwa, ob das Opfern von 30 Minuten Pausenzeit bei den Lehrkräften keinen Widerstand auslöse? Nein, ließ die Referentin wissen. Zum einen seien durch ihre Erfahrungen alle vom Konzept überzeugt. Außerdem handele es sich um reguläre Arbeitszeit.

Kooperation und Kommunikation für die Qualität

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Barbara Schüll, die Vorsitzende der GEW Bremen, in der anschließenden Diskussionsrunde für mehr Zeit an Schulen aussprach. „Die Verpflichtungen für die Lehrerinnen und Lehrer sind so groß, das viele alles mit hängender Zunge erledigen müssen“, bedauerte sie. Angesichts des Fachkräftemangels und des Einsatzes von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern seien Kooperation und Kommunikation für die Qualitätssicherung von entscheidender Bedeutung. Die aber erfordere Zeit.

Die Vorsitzende des Bundeselternrates Christiane Gotte fügte hinzu: „Eltern, Schülerinnen und Schüler sollten in die Gestaltung des Ganztags noch stärker eingebunden werden.“ Für sie ist die Einbeziehung unterschiedlicher Professionen in den Ganztag „unglaublich wertvoll“. Sie stellte erfreut fest: „Der Ganztag entlastet uns Eltern und löst viele Betreuungsprobleme.“

Dass Zeit auch für die Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle spielt, unterstrich schließlich die Vorsitzende der Bundesschülerkonferenz. Katharina Swinka wünscht sich „mehr Zeit für Dinge jenseits des normalen Unterrichts“. Sie richtete sogar ein Angebot an die Lehrkräfte, sich auch durch Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler entlasten zu lassen, etwa in Bereichen wie der Digitalisierung, in denen sich, wie sie meinte, „die jüngere Generation mitunter besser auskennt“.

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