Zweiter Münchner Ganztagsbildungskongress : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Vom 15. bis 17. Januar findet der Zweite Münchner Ganztagsbildungskongresses statt. In seinem Impulsreferat spricht Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts in München, über „Die lebensweltliche Bildung – für ein zukunftstaugliches Bildungskonzept“. Im Interview mit www.ganztagsschulen.org plädiert er für ein erweitertes Bildungskonzept und eine bessere Kooperation der Professionen im Ganztag.
Online-Redaktion: Ganztagsschulen bieten die Chance für eine neue Lernkultur und für mehr Chancengerechtigkeit. Nutzen Ganztagsschulen diese Chance?
Thomas Rauschenbach: Die Situation ist nach wie vor heterogen. Unter dem Etikett Ganztagsschule firmieren ganz unterschiedliche Ausprägungen von Ganztagsangeboten, deren Entwicklungsstadium wiederum ausgesprochen disparat ist. Vorsichtig formuliert, kann man auf der Basis der Daten der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“ sagen, dass mindestens ein Viertel der Schulen diese Chancen eher noch nicht nutzen.
Online-Redaktion: Ein Argument für Ganztagsschulen ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was aber müssen Ganztagsschulen im Interesse der Kinder und Jugendlichen leisten?
Rauschenbach: Es mag sein, dass für die Einführung der Ganztagsschule und deren politische Akzeptanz die Vereinbarkeitsfrage ein wichtiger Impuls war. Es wäre aber eine bildungspolitische Bankrotterklärung, den Auf- und Ausbau der Ganztagsschulen darauf zu reduzieren. Im Kern muss es darauf ankommen – und nur so wird der Ganztag zu einem fachlich überzeugenden Bildungsprojekt –, dass mit dem Projekt Ganztagsschule die Schule neu definiert wird: offener, ergänzt um andere Akteure, Inhalte und zusätzliche Lernarrangements. Es geht darum, dass die Vielfalt lebensweltlicher, erfahrungsbasierter Lernmöglichkeiten Einzug in die Welt der Schule hält, mit gleichzeitig verbesserten Gelegenheiten, Kinder und Jugendliche auch jenseits von Unterricht und Schulnoten sozial zu integrieren und ihnen Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen.
Online-Redaktion: Die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler verändert sich schnell. Wie kann Ganztagsschule darauf reagieren?
Rauschenbach: Gegenfrage: Wie kann denn eine herkömmliche Halbtagsschule darauf reagieren? Doch fast gar nicht. Wenn überhaupt, gelingt das im Ganztag. Dann nämlich, wenn es dort nicht einfach „mehr Schule“ gibt, sondern ein Mehr an anderer Bildung, an alltagsrelevanten Inhalten in den nichtunterrichtlichen Teilen des Ganztags, die sehr viel kurzfristiger in Schule einfließen können. Auch andere Formen des Lernens können hier für schulische Verhältnisse vermutlich Wunder bewirken.
Online-Redaktion: Auch aus der Erkenntnis, dass Lernen mehr als Schule ist, wollen sich Ganztagsschulen öffnen. Unter welchen Voraussetzungen können sie zum Herzstück einer lokalen Bildungslandschaft werden? Sollten sie das überhaupt und wenn ja, welche Fehler sollten vermieden werden?
Rauschenbach: Sie sollten es versuchen. Es wäre unangemessen, hier von Fehlern zu sprechen. Eher würde ich sagen: Ganztagsschulen sollten die Schwierigkeiten wahrnehmen, die es bei dem Prozess auf jeden Fall geben wird und unterschiedliche Logiken der Akteure im Blick behalten. Ich will nur zwei oder drei benennen: Lehrkräfte und Fachkräfte der Jugendhilfe, etwa Erzieherinnen oder Sozialpädagoginnen, haben bisher nicht sonderlich viele Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten. Umso wichtiger ist es, dass sie lernen, auf Augenhöhe und in wechselseitigem Respekt zu kooperieren. Oder: Nach wie vor nicht hilfreich sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Länder für die Schule, der Kommunen für die Jugendhilfe und der freien, meist zivilgesellschaftlichen Akteure für Kultur, Sport, Jugendarbeit etc. Hier gibt es Entwicklungsbedarf auf dem Weg zu lokalen Bildungslandschaften.
Online-Redaktion: Ist die Kooperation verschiedenster Professionen ein Selbstläufer?
Rauschenbach: Nein, dazu braucht es Unterstützung von außen. Notwendig ist aber auch eine deutlich verbesserte personelle Ausstattung für den nichtunterrichtlichen Teil der Angebote. Wenn dieser Teil der Ganztagsschulen nicht nur zu einem Low-Level-Freizeitangebot werden soll, wenn es nicht nur um ein Wellnessprogramm für Kinder geht, sondern um ein erweitertes Bildungskonzept, dann müssen auch die anderen Akteure sehr viel stärker in den schulischen Alltag eingebunden und das Kooperationsgebot gestärkt werden.
Online-Redaktion: Wie beurteilen Sie die aktuelle Ganztagsschulentwicklung?
Rauschenbach: Wir befinden uns inmitten eines Umbauprozesses, bei dem allmählich das Gesamtausmaß der Reform sichtbar wird: Deutschland als Ganztagschulland, bei dem aber noch nicht so ganz klar ist, wie das gesamte Gebäude im Detail am Ende aussieht. Um im Bild zu bleiben: Wir sollten uns langsam mal um die Innenausstattung kümmern. Dann könnte es am Ende eine überzeugende Architektur werden.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Partizipation
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