Steinhagen: „Eine Familienstadt, der Bildung wichtig ist“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. In Steinhagen im Kreis Gütersloh wirkt das wie ein Magnet auf Familien und Unternehmen. „Hier findet Bildung statt“, sagt Bürgermeisterin Sarah Süß.
Online-Redaktion: Drei Jahre als Bürgermeisterin von Steinhagen liegen hinter Ihnen. Wie schätzen Sie die Bildungslandschaft Ihrer Gemeinde ein?
Sarah Süß: Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass wir alle üblichen Schulabschlüsse anbieten können. Wir verfügen über insgesamt fünf Grundschulen, eine Realschule mit Hauptschulbildungsgang sowie ein Gymnasium. Unsere Schulen sind ausgesprochen geschätzt und beliebt. Das hören wir von sehr vielen Eltern aus dem Umland, die ihre Kinder gerne bei uns anmelden möchten. Es gibt ja diesen wunderschönen Gedanken, dass Schulen die schönsten Orte einer Gemeinde sein sollten. Bei uns trifft das bald noch stärker zu. Aktuell bauen wir die Grundschule Brockhagen neu.
Und natürlich fließen in die Planung neue pädagogische Ansätze, aber auch der Wunsch ein, Schulen zu Anlaufstellen unserer Gemeinde wachsen zu lassen. So soll unter anderem eine Zweigstelle unserer Stadtbibliothek dort einziehen. Auch das Gymnasium erhält einen Erweiterungsbau. Die Nachfrage ist dort so groß, dass es vierzügig statt ursprünglich dreizügig arbeiten kann. Insgesamt stecken wir zwischen 25 und 30 Millionen Euro in diese beiden Projekte.
Neu- und Erweiterungsbauten einer Schule müssen heute ganz andere Aufgaben erfüllen, als das bei früheren Schulgebäuden der Fall war. Nehmen wir nur einmal die Differenzierungsräume – die gab es an meinem Gymnasium in Hamm nicht. Und meine Schulzeit liegt noch nicht so lange zurück. Zugleich muss man heute die Anforderungen des Ganztags immer mitdenken. Dabei ist mir ganz wichtig, dass Ganztag nicht als reine Betreuung angesehen wird. Hier findet Bildung statt. Auch das war in meiner Schulzeit noch ganz anders.
Online-Redaktion: Wie stehen die Eltern Ihrer Gemeinde zum Ganztag?
Süß: Dass immer mehr Elternteile beide arbeiten, trifft natürlich auch auf unsere Familien zu. Entsprechend geben Zahlen eine aussagekräftige Antwort auf Ihre Frage. 67,6 Prozent aller Grundschülerinnen und -schüler sind bei uns für den Ganztag angemeldet worden. Spannend ist dabei das Gefälle. Während an drei Grundschulen die Quote bei rund 70 Prozent und mehr liegt, fällt sie in einem Ortsteil mit 39,4 Prozent deutlich geringer aus. Das liegt sicher nicht am dortigen Angebot, sondern an einem anderen Wahlverhalten der Eltern im ländlichen Raum. Wie groß der Bedarf an Plätzen aktuell ist und wie er künftig sein wird, zeigte die Nachfrage nach Kita-Plätzen für unter Dreijährige.
Ich erinnere mich noch gut, dass ich 2022 die Frage gestellt hatte, ob wir in diesem Bereich etwas tun müssten. Damals schätzten manche, dass wir mit den vorhandenen Plätzen in unseren 12 Kitas auskommen würden. Wir wurden eines Besseren belehrt. Am Ende fehlten uns 60 Plätze. Nur durch viel Geschick, die Bereitschaft der Kitas, an ihre Belastungsgrenzen zu gehen, und engagierte Tageseltern konnten wir das Problem lösen. Aber wir reagieren und bauen nun eine zusätzliche Einrichtung.
Online-Redaktion: Mit welchen Gefühlen denken Sie angesichts solcher Zahlen und Erfahrungen an den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026?
Süß: Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir werden die Grundschulen entsprechend erweitern, planen die notwendigen Ergänzungsbauten. Natürlich müssen wir dann in der Folge auch über ein verändertes Nutzungsverhalten bei den vorhandenen Räumen nachdenken. Größere Gedanken machen sich die Träger des Ganztags. Sie benötigen Fachpersonal. In der näheren Umgebung gibt es Überlegungen, wie wir Standort für die Berufsausbildung von Erzieherinnen und Erzieher werden können. Das würde uns und den Trägern die Personalgewinnung gewiss erleichtern.
Unserer stark mittelständischen Gemeinde geht es finanziell sicher besser als vielen anderen. Dennoch muss man heute kreativer planen und arbeiten als mit prall gefüllten Geldbeuteln. Ein Beispiel ist unsere Mittagsverpflegung. In unserem Schulzentrum haben wir eine große Küche. Hier wird täglich das Essen für alle unsere Schulen und die kommunalen Kitas gekocht und dann auf die einzelnen Standorte verteilt. Im April waren das 17.000 Essen. Das ist effizient.
Online-Redaktion: Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist Träger aller Ganztagsangebote in Steinhagen. Sollten die Angebote in einer Hand sein?
Süß: Natürlich könnte man jetzt anmerken, dass mehrere Träger eine größere Vielfalt an Angeboten garantieren. Aber bei uns sind in der Kooperation mit der AWO über viele Jahre ein tiefes Vertrauen und ein sehr enger Draht gewachsen. Bislang gibt es auch weder seitens der Schulen noch der Eltern anderweitige Wünsche oder Klagen, die über das übliche Maß hinausgehen. Ein großer Vorteil des einen Trägers ist, dass im Krankheitsfall das Personal auch einmal flexibel eingesetzt werden kann. Die Handelnden kennen sich gut, und die Konzepte in den unterschiedlichen Einrichtungen ähneln sich.
Online-Redaktion: Apropos Nähe: Welche Vorteile bieten sich in einer 20.500 Einwohner-Gemeinde und welche Abhängigkeiten drohen?
Süß: Die Vorteile überwiegen bei Weitem. Man kennt sich, man kann direkt miteinander sprechen. Man entwickelt Verständnis füreinander. Schulleiterinnen und Schulleiter rufen an oder kommen direkt vorbei. Sie berichten persönlich, wo sie der Schuh drückt. Aber sie kommen einfach auch, um einmal danke zu sagen. Natürlich möchten sie durch die Nähe zu den Entscheidungsträgern auch Einfluss nehmen und Beschlüsse beschleunigen. Erläutern wir die Haltung und Zwänge der Gemeinde, zeigen sie dafür auch Verständnis.
Ich möchte noch einen ganz anderen Vorteil der Nähe erwähnen. Jedes Steinhagener Kind kommt in seiner Schulzeit mindestens einmal zu uns ins Rathaus, lernt uns kennen, erhält Kontakt zu Verwaltung und Politik. Für mich ist das eine Grundlage für die Förderung von Demokratieverständnis. Ich war weder als Kind noch als Jugendliche jemals im Rathaus meiner Geburtsstadt Hamm. Trotzdem bin ich zum Glück eine Demokratin geworden (lacht).
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben die Ganztagsschulen für Ihre Gemeinde grundsätzlich?
Süß: Ganztagsschulen sind angesichts des gesellschaftlichen Wandels heute mehr als Lernorte – sie sind Lebensorte für die Kinder und Jugendlichen. Ein gutes Angebot, wie wir es vorhalten, ist reizvoll für Familien, Arbeitgeber und insgesamt für Neuansiedlungen. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil einer guten, funktionierenden Infrastruktur. Wir gehen davon aus, dass Steinhagen rund 500 Zuzüge jährlich verzeichnen wird. Das ist bei aktuell rund 20.500 Einwohnerinnen und Einwohnern sehr viel.
Wir möchten, dass die Schulen noch stärker als bisher ein Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Lebens darstellen. Feste wie der Karneval, Sitzungen wie Ausschüsse der Stadt und Kulturelles wie die hochkarätigen Aufführungen unseres Vereins Kulturwerk Steinhagen können hier stattfinden. Die Schulen können darüber hinaus Treffpunkte der Generationen werden. Wir sind und bleiben eine Familienstadt, der Bildung wichtig ist und die in diese finanziert. Deshalb erhalten ja auch alle unsere Schülerinnen und Schüler ein Ticket für den Nahverkehr – zum Nulltarif.
Online-Redaktion: Wie ermitteln Sie Bedarfe an Schulen und deren Ausstattung?
Süß: Wir schreiben seit langem unseren Schulentwicklungsplan kontinuierlich fort. Bevor wir Millionen von Euro für irgendwelche Bauprojekte ausgeben, müssen wir verantwortlicherweise beispielsweise wissen, wie sich die Geburten- und Zuzugssituation entwickelt. Bei der Geburtenrate ist natürlich viel Fachwissen und Erfahrung vonnöten, beim zweiten Teil aber kennen wir natürlich mehr Fakten. Wir wissen, wieviel Bauland zur Verfügung steht, wir kennen die Entwicklung in den uns durch das uns umgebende Autobahnnetz so nahen Städten Bielefeld, Osnabrück oder Paderborn. Ferner ist uns bewusst, dass unsere gute Anbindung Unternehmen anlockt. Entsprechend planen wir.
Was die Ausstattung der Schulen anbetrifft, stehen wir mit ihnen im engen Austausch. So haben wir lange vor Corona deren Digitalisierung vorangetrieben. So konnten wir mit Fördergeldern des Bundes und des Landes sowie unseren eigenen Geldern alle unsere Schülerinnen und Schüler mit Tablets oder Laptops ausstatten. Zum Nulltarif für die Eltern. Auch hier ein paar Zahlen. Im September 2022 hatten wir schon 1733 Schüler- und 231 Lehrertablets, 115 PCs sowie 300 Laptops in den Schulen, wo natürlich überall keine herkömmlichen Tafeln, sondern ActivPanels genutzt werden. Drei sogenannte IT-Schulhausmeister, also Experten für den Support, sind im Schulamt angestellt. Sie sorgen für einen möglichst reibungslosen Ablauf der digitalen Welt in den Schulen. Wichtig ist aber, dass man sich nicht ausruht, wenn die Ausstattung abgeschlossen ist. Wir schauen jetzt schon nach Lösungen, was eines Tages mit dem ganzen Elektroschrott geschehen soll.
Online-Redaktion: Als erstmals die Sommerferienspiele in Steinhagen angeboten wurden, hat man und konnte man nicht soweit vorausschauen…
Süß: Wohl wahr. Wer hätte schon gedacht, dass die Ferienspiele, die das Lehrerehepaar Renate und Dieter Halle vor 50 Jahren erfanden, ins Leben riefen und finanzierten, bis heute im Programm unverändert existieren würden. Drei Wochen lang kann jedes Steinhagener Kind ohne Anmeldung und Kosten, außer beim großen Ausflug, wie zum Beispiel in den Safaripark, an Spiel-, Spaß-, Bastel-, Sport- und Kulturangeboten an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet teilnehmen. Eine wunderbare Alternative für Daheimgebliebene und nebenbei auch ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 50.000 Euro lässt sich das Steinhagen jährlich für Betreuungspersonal und Material kosten. Jeder Cent ist da gut eingesetzt. Ich wünschte, ich hätte es erfunden.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
GS Amshausen | GS Brockhagen | GS Steinhagen | Gesamt | |
Schülerinnen und Schüler | 198 | 132 | 249 | 781 |
OGS-Kinder | 151 | 52 | 186 | 528 |
OGS-Quote | 76,3% | 39,4% | 68,8% | 67,7% |
Kategorien: Bundesländer - Mecklenburg-Vorpommern
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