Stadt Tuttlingen: Ganztagsangebot mit TUPF : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Die Stadt Tuttlingen legt seit über 20 Jahren den Fokus auf Bildung und Betreuung – und passgenaue Angebote für Kinder und Eltern. Oberbürgermeister Michael Beck im Interview.
Online-Redaktion: Sie sind seit 2004 Oberbürgermeister von Tuttlingen und waren davor Bürgermeister für Kinder, Jugend und Schulen. Das heißt wohl, Sie kennen kommunale Bildungspolitik „aus dem Effeff“?
Michael Beck: An jeder meiner beruflichen Stationen konnte ich neue Umstände, Projekte und mehr oder weniger große Erfolge in der Bildungspolitik kennenlernen. Beschäftigt man sich eine Weile mit diesem Thema, weiß man: Hier muss die Priorität liegen, das ist unsere Zukunft und das macht eine Stadt attraktiv und lebenswert. Bildung und die auch dazugehörende Betreuung sind die Grundlagen unserer Gesellschaft.
Seit über 20 Jahren wird der Fokus in Tuttlingen auf Bildung und Betreuung gelegt. Es wird sehr viel für Familien, Kinder und Jugendliche getan. Dabei werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die wir als Kommune haben. Das ist spürbar und erlebbar.
Online-Redaktion: Was würden Sie als besonders an der Bildung in Tuttlingen hervorheben?
Beck: Sowohl im Kita- als auch im Schulbereich tun wir alles, was im Bereich unserer Möglichkeiten liegt. Wir bieten schon heute nahezu an allen Kitas und Schulen Ganztagesangebote und bauen unsere Bildungsstätten permanent aus. Für die Sanierung der beiden Gymnasien geben wir derzeit rund 72 Millionen Euro aus. Kaum eine andere Kommune unserer Größenordnung investiert in vergleichbarem Umfang. Ergebnis ist eine Infrastruktur, die im Landesvergleich wieder ganz oben steht.
Besonders wichtig und auch besonders ist unsere bis zu hundertprozentige Ermäßigung bei den Kita-Gebühren für Familien mit geringem und mittleren Einkommen. Denn neben dem Landesfamilienpass bietet die Stadt Tuttlingen auch einen ganz eigenen Familienpass an, der einige zusätzliche Vorteile enthält. Bei einem bis neunzigprozentigen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in unseren Kitas legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf Sprachförderung, aber auch Bewegung und Forschen.
Schließlich darf ich noch hervorheben, dass in der Stadt Tuttlingen eine wunderbare Vernetzung der Kultureinrichtungen mit den Regelschulen gepflegt wird. Beispielsweise ist die Musikschule mit musischen Angeboten an allen städtischen Schulen vertreten, alle Grundschulkinder sind mindestens einmal bei einer Klassenführung in der Stadtbibliothek dabei. Und die städtische Galerie macht gemeinsam mit unserer Jugendkunstschule gezielte Angebote für Schulklassen. Das sind nur drei Beispiele für tolle Aktionen, die nicht nur erwünscht sind, sondern auch gefördert werden.
Online-Redaktion: Baden-Württemberg hat unterschiedliche Formen der Schulkinderbetreuung und der Ganztagsschule. Wie sieht das in Tuttlingen aus?
Beck: In Tuttlingen wurden die Ganztagsangebote der städtischen Grundschulen auf den Bedarf der jeweiligen Schule zugeschnitten. Wir nutzen also derzeit eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns das Schulgesetz bietet, um ein möglichst passgenaues Angebot für die Kinder und deren Eltern vor Ort im Schulbezirk vorhalten zu können. Mit den Bausteinen Ganztagsschule, Verlässliche Grundschule, flexible Nachmittagsbetreuung und der Tuttlinger Pädagogischen Ferienbetreuung TUPF decken wir die Betreuungswünsche der Elternschaft bereits heute schon ab.
Online-Redaktion: Was wünschen sich die Eltern in Ihrer Stadt in Bezug auf den Ganztag?
Beck: Der Bedarf an Ganztagesbetreuung im Kitabereich steigt stetig. Alle neuen Einrichtungen werden so geplant und gebaut, dass Ganztagesbetreuung in allen Gruppen möglich ist. Aktuell setzt der bestehende Fachkräftemangel einem weiteren Ausbau einige Grenzen. Bei den Grundschulen haben wir in der Kernstadt Tuttlingen eine sowohl bezogen auf die Fallzahlen als auch bezogen auf den zeitlichen Umfang eine größere Nachfrage an Betreuungsangeboten als beispielsweise in den Teilorten Nendingen und Möhringen. Wir orientieren uns hier am jeweiligen Bedarf der Eltern einer Schule, der zeitnah im Zuge der Schulentwicklungsplanung und mit Blick auf den kommenden Rechtsanspruch erneut abgefragt wird.
Online-Redaktion: Sie erwähnten TUPF – die „Tuttlinger Pädagogische Ferienbetreuung für Schulkinder", für die Sie qualifizierte Fachkräfte zusichern. Wie gelingt Ihnen das?
Beck: Durch die langjährige Durchführung von TUPF haben wir inzwischen einen großen Stamm an Fachkräften, die uns als Honorarkräfte bei den Ferienangeboten unterstützen. Dazu kommen noch viele Studierende und Auszubildende aus den entsprechenden Fachstudien und ‑ausbildungen. Zusätzlich setzen wir unsere eigenen Fachkräfte der städtischen Jugendarbeit und Schulsozialarbeit ein. Die TUPF hat einen hervorragenden Ruf, so dass sich Mitarbeitende leichter finden lassen. Auch die gute Honorierung der Arbeit und Unterstützung spielt eine Rolle.
Online-Redaktion: Was bedeutet für die Stadt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026?
Beck: Da wir bereits weitreichende Betreuungsangebote an den Grundschulen vorhalten, geht es beim Rechtsanspruch zunächst alleine um die zusätzliche Schaffung ausreichender Kapazitäten für das neue Zeitmodell mit acht Betreuungsstunden an fünf Wochentagen in 48 Wochen des Jahres. Nur weil ein Rechtsanspruch besteht, ist diese sehr weitreichende Spielart der Ganztagesschule noch nicht zwingend die einzig richtige für die Tuttlinger Eltern- und Schülerschaft.
Dieses angesichts der nicht vorhandenen Betreuungs- und Lehrkräfte sportliche Zeitmodell gibt das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) verbindlich vor, und dementsprechend arbeiten wir als Schulträger aktuell an der realistischen Sicherstellung eines solchen künftigen Angebots. An welcher Schule das aber entstehen kann, hängt von zahlreichen Faktoren ab und wird derzeit geprüft. Meine Schulabteilung ist beauftragt, im Herbst im Zuge der Schulentwicklungsplanung dem Gemeinderat einen Vorschlag zu machen, wie wir den Rechtsanspruch in Tuttlingen erfüllen wollen.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat der Ganztag für Tuttlingen mit Blick auf Arbeitsplätze, die Ansiedlung von Unternehmen und als Zuzugsgebiet?
Beck: Für unsere Unternehmen in Tuttlingen spielt eine flexible Betreuung, auch die Ganztagesbetreuung, eine wichtige Rolle. Einige große Unternehmen kooperieren in diesem Bereich sehr aktiv mit der Stadt. So beitreiben wir als Träger die größte Kita in Tuttlingen für das größte Unternehmen. Wir bieten zusätzlich Belegplätze für Unternehmen an, die hochflexibel mit sehr wenigen Schließzeiten arbeiten. Auch die Unternehmen selbst setzen immer mehr auf Standards, die eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen – wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten usw. Wichtig ist es, dass eine ausreichende Ganztagesbetreuung in den Grundschulen fortgeführt wird und nicht nach der Kita-Zeit endet.
Online-Redaktion: Welche Schwerpunkte in der Bildung wollen Sie noch setzen?
Beck: Das größte und finanziell aufwändigste Projekt ist die Sanierung unserer beiden städtischen Gymnasien, des Immanuel-Kant-Gymnasiums und des Otto-Hahn-Gymnasiums. Wir investieren 72 Millionen Euro in die beiden Schulen und werden im Ergebnis zwei bestens ausgestattete, hochmoderne Schulgebäude bekommen. Aber Räume und Ausstattung sind das eine – die Fachkräfte zu finden, die Unterricht oder Betreuung leisten, etwas anderes.
Wir werden uns dem schon bestehenden und noch weiter steigenden Fachkräftemangel stellen müssen, der sowohl einem Ausbau der Betreuung in den Kindertagesstätten als auch dem anvisierten Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung an den Grundschulen Grenzen setzt. Hier werden wir alle Möglichkeiten nutzen, die vom Land Baden-Württemberg gestellt und akzeptiert werden. Wir haben jetzt schon unsere eigenen Ausbildungsmöglichkeiten verdreifacht und werden das nach Möglichkeit noch weiter steigern. Wir werben konzentriert um Wiedereinstieg und Quereinstieg in unsere Bildungsstätten. Trotz aller Schwierigkeiten wollen wir ohne Einbuße an Qualität die Bildungsangebote weiter nach Bedarfslage ausbauen und optimieren.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Kooperationen - Kulturelle Bildung
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