Pirouetten für den Ganztag in Ostfriesland : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
Der „Runde Tisch Ganztagsgrundschule“ der Bildungsregion Ostfriesland ist ein Erfolg. Diesmal informierte die Daalerschule in Leer über ihr Ganztagsangebot.
Als Lehrerinnen und Lehrer immer deutlicher den Wunsch äußerten, sich über das Thema Ganztagsschule auszutauschen, reagierte die Bildungsregion Ostfriesland und organisierte erstmals im Januar 2015 einen „Runden Tisch Ganztagsschule an Grundschulen“ in Emden. Der Runde Tisch richtet sich gezielt an Grundschulen, die bereits als Ganztagsschule genehmigt wurden, und an diejenigen, die eine Beantragung erwägen.
Die Bildungsregion Ostfriesland ist ein Kooperationsbündnis der vier Gebietskörperschaften Ostfrieslands mit den Landkreisen Aurich, Leer, Wittmund sowie der kreisfreien Stadt Emden mit dem Land Niedersachsen und dem Regionalverbund „Ostfriesischen Landschaft“. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen in Ostfriesland.
Zwei Schwerpunkte stehen dabei im Fokus: Die Bildungsregion unterstützt die Kultur der erfolgreichen Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule, baut entsprechende Netzwerke systematisch aus und organisiert wie im Fall des Runden Tisches gemeinsame Veranstaltungen. Man arbeitet zweitens mit wichtigen regionalen Bildungsakteuren an Strategien zur Verbesserung des Übergangs Schule und Beruf / Studium, koordiniert gemeinsame Veranstaltungen und stellt eine Übersicht zu den derzeitigen Maßnahmen der Berufsorientierung zusammen. Unter dem Motto „Übergänge gestalten“ ist das Kooperationsbündnis aktuell bis einschließlich 2017 unter Vorsitz der Ostfriesischen Landschaft angelegt.
Jugendamt bringt sich in Leerer Ganztagsgrundschulen ein
Die Organisatorin der Runden Tische ist Gudrun Stüber von der Bildungsregion Ostfriesland im Kommunalverband Ostfriesische Landschaft. Sie kann inzwischen schon auf zwei Tagungen und vier Runde Tische zum Thema Ganztag zurückblicken. „Das Interesse ist groß, und unsere Veranstaltungen sind immer ausgebucht“, freute sich die Bildungskoordinatorin am 8. September 2016 im Dachgeschoss der Daalerschule in Leer.
Viele Schulleitungen und Lehrkräfte waren an diesem Tag in die drittgrößte Stadt Ostfrieslands gereist, um an der Daalerschule in einem Vortrag des Schulleiters Ralf Hellmers etwas über die Offene Ganztagsgrundschule zu erfahren.
Den Impulsvortag „Jenaplanschule, eine Schule, in der man das Zusammenleben lernt“ hielt zur Eröffnung Freek Velthausz, ehemaliger Schulleiter einer niederländischen Grundschule, der heute für die niederländische Jenaplanvereinigung als Schulberater und Fortbildner arbeitet. Die niederländische Grenze ist gerade mal eine halbe Autofahrstunde von Leer entfernt. In seinem engagierten, multimedialen Vortrag brachte er den rund 50 Teilnehmenden die Pädagogik der Jenaplan-Schulen nahe.
„Die Schülerinnen und Schüler sind die Träger des Unterrichts“, erklärte Velthausz. „Ein guter Lehrer ist wie ein Regisseur, den man nicht auf der Bühne sieht. Er ist mitten unter den Kindern, aber er gibt nicht permanent Anweisungen. Er stellt echte Fragen, die Neugier entfachen, und sorgt für pädagogische Situationen. Die Schüler sind voller Fragen, das muss man nutzen. Und wenn sie etwas herausgefunden haben, sollen sie auch die Möglichkeit haben, die Ergebnisse präsentieren zu können.“ Zwei Unterschiede niederländischer zu deutschen Ganztagsschulen, die Velthausz schilderte: Es gibt weder eine Tradition des Mittagessens noch der Inklusion.
Adelheid Andresen, die Leiterin des Jugendamts Leer, war für ein Grußwort gekommen. Ihr, der „Jugendamtsleiterin mit Herzblut“, ist es wichtig, dass sich das Jugendamt einbringt, um in Leer eine durchgängige Betreuungskette zu organisieren. Zu diesem Zweck hat das Jugendamt eine Expertenrunde für Kinder von ein bis zehn Jahren gegründet, um in einer „Helikopterperspektive“ die Bedarfe zu klären.
„Wir tauschen uns mit den Beteiligten vor Ort aus, stoßen Planungsprozesse an und veröffentlichen das“, berichtet Adelheid Andresen. Demnächst soll dies für die Kinder und Jugendlichen im Alter von zehn bis 18 Jahren fortgeführt werden. Mit den Kindergärten arbeitet das Jugendamt bereits erfolgreich zusammen. Das Jugendamt bringt sich mit der Förderung einzelner Projekte in die Ganztagsschulen ein. Für die Jugendamtsleiterin dürfte die Zusammenarbeit ruhig noch verzahnter sein, zum Beispiel um Schulabsentismus gemeinsam anzugehen. Allerdings „wollen wir kein bloßer Reparaturbetrieb sein“, stellt Adelheid Andresen klar.
Schnupperzeit in den Ganztags-AGs
2012 waren im Landkreis Leer fünf Ganztagsgrundschulen gestartet; inzwischen arbeiten 32 der 46 Grundschulen ganztägig. Der Landkreis unterstützt die Arbeit der Schulen, auch finanziell, indem er die von 75 Prozent Ganztagszuschüsse vom Land auf 100 Prozent einer Lehrerwochenstunde aufstockt. Schulleiter Ralf Hellmers weiß das zu schätzen: „Ich habe mehr Geld als Leute“, erklärte er. Seine Daalerschule in der Trägerschaft der Stadt, die aktuell von etwa 290 Schülerinnen und Schülern besucht wird, gehörte zu den ersten, die den offenen Ganztag in Leer einführten.
35 Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Assistenzkräfte bilden das Kollegium der Daalerschule. An vier Wochentagen steht den Schülerinnen und Schülern das pädagogisch gestaltete und kostenfreie offenes Ganztagsangebot mit Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung sowie Bildungs- und Freizeitangeboten zur Verfügung. Nachdem 2010 die jahrgangsübergreifende Eingangsstufe geschaffen worden war, „lag es nahe“, so Ralf Hellmers, „im Rahmen der Qualitätsentwicklung dieses Bildungsangebot auch auf den Nachmittag auszuweiten“. Zudem hätten die Eltern den Bedarf nach einem Nachmittagsangebot artikuliert.
Vom ersten Tag eines neuen Schuljahres startet die Ganztagsschule an der Daalerschule jeweils sofort. „Wir drehen hier zwar Pirouetten, um das hinzukriegen, aber die Verlässlichkeit ab dem ersten Tag ist uns wichtig. Die Eltern müssen nicht erst wie an manchen anderen Schulen zwei Wochen warten, bevor der Betrieb hier richtig losgeht“, sagt der Schulleiter sichtlich stolz. In den ersten beiden Wochen, der „Schnupperzeit“, können die Schülerinnen und Schüler verschiedene Arbeitsgemeinschaften ausprobieren und sich dann erst endgültig entscheiden. Auch der organisatorische Aufwand dafür sei hoch, aber „das funktioniert gut. Rund zehn Prozent der Kinder wechseln die AGs“, bilanziert Ralf Hellmers.
Klare Tagesstruktur – wichtig für Schülerinnen und Schüler
Lange hat die Daalerschule an einem Vertretungskonzept getüftelt. Jetzt sind in der Lernzeit am Nachmittag auch Lehrkräfte im Einsatz, was die einzige personelle Verzahnung zum Vormittagsunterricht darstellt. „Hier würde ich mir mehr wünschen“, so Hellmers, „aber da stößt die offene Form an ihre Grenzen, und die Gesellschaft ist bei uns leider noch nicht so bereit für die gebundene Ganztagsschule.“ Manchmal fehle es „bedauerlicherweise“ sogar noch an einer angemessenen Wertschätzung der offenen Ganztagsschule.
Ein wichtiger Rat, den die Schule sich bei Hospitationen an anderen Ganztagsgrundschulen holte und den der Schulleiter an die Teilnehmenden des Runden Tisches weitergab: „Schaffen Sie eine klare und übersichtliche Tagesstruktur! Denn das ist genau wie die personelle Kontinuität wichtig für die Schülerinnen und Schüler.“ Auch der Einsatz von außerschulischem Personal bereichere das Schulleben und „modernisiert die pädagogische Arbeit“.
Der „Runde Tisch Ganztagsschule an Grundschulen“ arbeitet weiter. Inspiriert von den Beispielen der niederländischen Jenaplan-Schulen, hat Gudrun Stüber für den 5. Runden Tisch im Mai 2017 eine Hospitationsreise ins Nachbarland Niederlande organisiert.
Kategorien: Ganztag vor Ort - Schulporträts
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