Offene Ganztagsschule – ein Bonner Erfolgsmodell : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. Heute: Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (Bonn).
Online-Redaktion: Welche Bedeutung messen Sie als langjähriger Leiter der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel der Bildung und Betreuung in Bonn zu?
Jürgen Nimptsch: Bildung, Betreuung und Erziehung sind von einander nicht zu trennende kommunale Aufgaben. Sie werden in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Offenen Ganztagsschulen (OGS) und Freizeiteinrichtungen wahrgenommen. Chancengerechte Bildung für möglichst alle Kinder und Jugendlichen ist ein wesentliches Ziel in unserer Stadt – und das nicht nur im Sinne eines umfassenden Inklusionsbegriffs. Inklusion heißt, Vielfalt als Chance zu begreifen und jedes Kind zu fördern und zu fordern. Chancengerechte Bildung sehe ich aber auch im Sinne einer Gesamtverantwortung für unsere Stadt. Wir brauchen alle Kinder und Jugendlichen, damit sie die Zukunft unserer Stadt-Gesellschaft gestalten können.
Online-Redaktion: Wie sehen die Angebote in Bonn aus?
Nimptsch: In der Bundesstadt Bonn gibt es aktuell insgesamt 51 Grundschulen, davon 49 in städtischer Trägerschaft. Seit dem Schuljahr 2003/04 verfügen wir über Offene Ganztagsschulen, kurz: OGS. Nachdem es im Startjahr sieben waren, sind seit dem Schuljahr 2007/08 alle Grundschulen OGS. Gleichzeitig wurde das Platzkontingent kontinuierlich ausgebaut: Die Zahl stieg von vier Prozent im Jahr 2003/04 auf nunmehr rund 57 Prozent. Diese kommen 6.643 Kindern zugute. In Bonn gibt es zum Schuljahr 2012/13 elf Förderschulen, von denen sich neun in städtischer Trägerschaft befinden. Alle Förderschulen in Bonn bieten OGS an. In der Primarstufe der Förderschulen, den Klassen 1 bis 6, befinden nutzen aktuell 26 Prozent der Kinder die Ganztagsangebote.
Die gegenwärtig sechs Hauptschulen, die sich alle in städtischer Trägerschaft befinden, bieten alle Ganztagsbetreuung an. Von den neun Realschulen bietet eine umfassende Ganztagsangebote an, und bei drei weiteren kommen die Elemente der Ganztagsbetreuung hinzu. Unter den 19 Gymnasien, darunter zehn städtische, befindet sich ein Gymnasium sukzessive im Ausbau zum gebundenen Ganztag. Zwei weitere Gymnasien werden in der Sekundarstufe I bzw. in einzelnen Zügen im Ganztag geführt. Da es aber eine Vielzahl alternativer Angebote gibt – Angebote an einzelnen Tagen, AG-Angebote, Ganztagsklassen und -züge –, ist die Zahl der Schulen, die ein Ganztagsangebot zumindest für einen Teil der Schülerinnen und Schüler oder für eine reduzierte Anzahl an Tagen vorhalten, tatsächlich höher. Alle fünf Bonner Gesamtschulen sind gebundene Ganztagsschulen.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben Ganztagsschulen für die Eltern?
Nimptsch: Im Bereich der Grundschule ist OGS für Eltern inzwischen zu einem fast selbstverständlichen Bestandteil von Bildung geworden. Viele Partner wünschen eine gleichberechtigte Teilhabe von Mann und Frau am Erwerbsleben und schätzen die Ganztagsangebote auch aus pädagogischer Sicht als wertvoll ein. Kinder gehen gerne in Ganztagsschulen oder nutzen Ganztagsangebote, weil sie ihre Bezugspersonen länger sehen und zum Beispiel auch Beratung durch ihre Lehrerinnen und Lehrer in Anspruch nehmen. Außerdem begrüßen sie es, wenn sie dort mehr Zeit mit ihren Freundinnen und Freunden verbringen können.
Online-Redaktion: Wie zufrieden sind Sie mit dem gegenwärtigen Ausbaustand?
Nimptsch: OGS ist in Bonn ein Erfolgsmodell. Es gibt inzwischen einige Schulen, die bereits OGS für alle Kinder, die dies wünschen, anbieten. Weitere machen sich auf den Weg. Allerdings stoßen wir an vielen Standorten – insbesondere bei den Bedarfen, die durch Inklusion entstehen – an Grenzen, was die räumlichen Kapazitäten angeht. In den Bereichen Essen, Ruhe und Bewegung kommt es schon jetzt zu erheblichen Engpässen, die nur durch An- oder Neubauten zu beheben wären.
Wir stehen als Schulträger angesichts stabiler, in den Folgejahren zum Teil steigender Schülerzahlen in Bonn vor großen Herausforderungen. Dass ist der Tatsache geschuldet, dass vielerorts die räumlichen Kapazitäten bis an die Grenzen ausgereizt sind und im Zuge von Inklusion neue Anforderungen an Räumlichkeiten zu richten sind. Eine Rolle spielt auch, dass seitens des Landes die Verringerung von Klassenfrequenzwerten angestrebt wird und gleichzeitig der Stadt in der bekannt schwierigen Haushaltssituation enge Grenzen des möglichen Handelns gesetzt sind. Unser Ziel, möglichst allen Kindern und Jugendlichen ein chancengerechtes Bildungsangebot zu unterbreiten, ist nur mit größter eigener Kraftanstrengung und der Unterstützung aller Partner, sowohl vor Ort als auch überregional und landesweit, zu erreichen.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben Lokale Bildungslandschaften?
Nimptsch: Der Begriff der regionalen Bildungslandschaften hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen, nicht zuletzt zweifellos auch durch das Modellprojekt des Landes NRW „Selbstständige Schule“ (2002-2008). Staatlich-kommunale Bildungsverantwortung, erweiterte Schulträgerschaft, regionale Bildungsnetzwerke auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages zwischen Kommune und Schulministerium NRW, regionales Bildungsbüro, regionale Bildungskonferenz usw. sind weitere Begriffe und Einrichtungen, die mit Bildungslandschaft in einem engen Zusammenhang stehen.
Eine regionale Bildungslandschaft geht weit über offene oder gebundene Ganztagsschulangebote hinaus, wenngleich diese natürlich ein bedeutender Bestandteil sind. Beispielhaft sei hier auf den Themenbereich „Übergang Schule-Beruf“ hingewiesen, der in Bonn mit hoher Priorität und Konsequenz bearbeitet wird. Die Vernetzung der regionalen Akteure, Professionen und Angebote ist dabei eine zentrale Aufgabe. Das „Regionale Übergangsmanagement Schule-Beruf in der Region Bonn/Rhein-Sieg“ – ein Kooperationszusammenschluss der Stadt Bonn, des Rhein-Sieg-Kreises, der Kammern, der Agentur für Arbeit, der Job Center, des DGB aus dem Jahr 2008 – ist ein sehr anschauliches Beispiel für diesen sehr erfolgreichen Vernetzungsprozess. Bonn ist aktuell in die Landesförderung im Rahmen des „Neuen Übergangssystems Schule-Beruf NRW“ aufgenommen worden, das diesen Prozess einmal mehr als eine zentrale regionale Aufgabe definiert.
Im Hinblick auf die Ganztagsschule ist mir noch der Blick auf die OGS-Trägerlandschaft in Bonn wichtig. Die OGS-Angebote werden von insgesamt 26 verschiedenen Trägern gestaltet und sichergestellt: von freien Trägern, Elterninitiativen und der Stadt Bonn. Diese Vielzahl macht die Bildungslandschaft bunt und eröffnet Eltern die Wahl zwischen unterschiedlichen pädagogischen Schwerpunktsetzungen in den OGS-Angeboten. Gerade die multiprofessionelle Zusammenarbeit in den Schulen ist ein Qualitätsmerkmal.
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