Offene Ganztagsschule in Wuppertal: Für jedes Kind ein Platz : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsangeboten. In Wuppertal möchte Schul- und Jugenddezernent Dr. Stefan Kühn jedem Kind, das es wünscht, einen Ganztagsplatz zur Verfügung stellen können, bei steigenden Schülerzahlen.
Online-Redaktion: Welchen Stellenwert besitzt die Ganztagsschule in Wuppertal?
Stefan Kühn: Fast alle Grundschulen haben den Offenen Ganztag eingeführt. In Wuppertal gibt es insgesamt 95 Schulen aller Schulformen in städtischer Trägerschaft. Von 56 Grundschulen sind 49 Offene Ganztagsgrundschulen. Von den weiterführenden Schulen haben 13 eine Ganztagsform. Aktuell können wir 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler einen Ganztagsschulplatz anbieten. Mittelfristig gehe ich aber davon aus, dass sich der Bedarf verdoppeln wird.
In unserem Haushalt haben wir für die kommenden Jahre jeweils drei Millionen Euro pauschal für den Ausbau der Ganztagsschulen eingeplant. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Geburten deutlich an. 2005 lag sie noch bei 2.900, inzwischen sind wir bei 3.600 angekommen. Aktuell bauen wir daher vier neue Grundschulen, für zwei weitere werden Pläne entwickelt. Und natürlich denken wir den Ganztag gleich so mit, dass im Bedarfsfall alle dort angemeldeten Kinder auch einen Platz im Ganztag erhalten können.
Online-Redaktion: Was spricht für den offenen Ganztag im Vergleich zum teilgebundenen oder gar gebundenen?
Dr. Stefan Kühn: Schon lange vor dem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz haben wir dem Thema eine hohe Priorität eingeräumt. Nach unserer Einschätzung stellt der Offene Ganztag das einzig zukunftsfähige Modell für eine moderne Bildungspolitik einer Stadt dar. Uns geht es dabei nicht nur um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern vielmehr um den bildungspolitischen Auftrag.
Wir zwingen niemandem ein System auf. Natürlich sind auch die anderen Modelle und Formen des Ganztags möglich. Wir achten und schätzen den Willen der Eltern. Dem werden wir tatsächlich mit der Offenen Ganztagsschule am besten gerecht. Die Wahlmöglichkeit ist ein hohes Gut. Darum verstehe ich auch nicht, warum daraus mitunter ein Konflikt entsteht. Wir rufen den Schulen immer zu, doch flexibel zu sein. Vielleicht laufen beispielsweise zwei Gruppen ohne Ganztag, zwei mit Offenem Ganztag. Ich kann mir da Vieles vorstellen.
Entscheidend sind die Bedarfe. Sie müssen herausgefunden werden und dann Angebote entwickelt werden, die zu den Eltern, Kindern und Familien passen. Allerdings habe ich als Jugenddezernent auch festgestellt, dass Eltern gerne zugreifen, wenn ihnen eine verlässliche Betreuung angeboten wird. Wobei ich mich gerne wiederhole: Betreuung alleine ist nicht unser Ziel, vielmehr eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Familien und Schulen.
Online-Redaktion: Werden die neuen Schulen auch nach Gesichtspunkten einer modernen Pädagogik geplant?
Kühn: Die Pädagogik bestimmt den Ganztagsschulbau. Die Zeiten, in denen Schulgebäude einfach nach Standard X gebaut wurden, sind bei uns vorbei. Wir gehören zu den so genannten Referenzkommunen und orientieren uns am Gedanken der „Phase 0“, wie sie unter anderem von der Montag-Stiftung empfohlen wird: Wir nehmen uns also ein Jahr Zeit, binden Schulleitungen, Praktiker und natürlich das Gebäudemanagement ein.
Wir haben eine Lenkungsgruppe eingerichtet, weil wir festgestellt haben, dass es viele Schnittstellen gibt. Wir wollen das Wissen sowie die Erfahrung der Fachämter vernetzen und nutzen und auch Reibungsverluste zwischen den Ämtern vermeiden. Die Federführung in der Lenkungsgruppe liegt bei Oberbürgermeister Prof. Uwe Schneidewind und mir als Jugend, Schul- und Integrationsdezernent. Mit am Tisch sitzen immer der Kämmerer, der Baudezernent und die Chefin unseres Gebäudemanagements. Die Lenkungsgruppe tagt wegen der großen Bedeutung monatlich.
Online-Redaktion: Vermutlich kommt dann auch zur Sprache, was Sie mit jenen Schulen machen, an denen der Platz nicht einmal für eine Mensa reicht?
Kühn: Wuppertal hat viele Schulgebäude, die 100 Jahre und älter sind, die Schulbauten der Gründerzeit und der Jahrhundertwende mit Klinkerfassade, die teilweise unter Denkmalschutz gestellt sind, wie die Grundschule Am Mirker Bach oder die Sankt Laurentius-Schule. Die können und wollen wir nicht abreißen. Viele haben einen kleinen Schulhof, den wir auch nicht für zusätzliche Räume nutzen möchten. Was also tun? Es gibt zwei Strategien.
Nummer eins hieße, die Zügigkeit zu reduzieren, sprich weniger Schülerinnen und Schüler sowie Klassen. Das aber erhöht den Bedarf an zusätzlichen Schulen. Außerdem benötigten wir dann weitere Träger für den Ganztag. Bei uns sind das durchweg Träger der freien Jugendhilfe. Strategie zwei erscheint uns sinnvoller. Wir werben für eine multifunktionale Nutzung der Räume. Es leuchtet nicht ein, dass Räume, die vormittags für den Unterricht genutzt werden, nachmittags leer stehen. Wir benötigen einen Nutzungs-Mix.
Online-Redaktion: Rennen Sie mit den Plänen offene Türen ein?
Kühn: Es ist uns schon bewusst, dass wir bei den unterschiedlichen Professionen Überzeugungsarbeit leisten müssen. Aber die Bereitschaft, sich an dieser Überlegung zu beteiligen, ist groß. Wir haben dazu ein Pilotprojekt gestartet, gehen in die Schulen, suchen unter der Federführung der Schulaufsicht nach Möglichkeiten und Kompromissen.
Online-Redaktion: Was passiert, wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler doch wieder sinken sollte?
Kühn: Mittelfristig wird der Platzbedarf in den Grundschulen ja allein schon durch den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz bis zur 5. Klasse nicht sinken. Wir begrüßen den Rechtsanspruch ausdrücklich und werden auch ständig auf dem „Gaspedal“ bleiben, um ihn zu erfüllen. Aber wir sind auch realistisch und wissen, dass das eine unglaubliche Herausforderung in personeller wie auch finanzieller Hinsicht ist. Sollte die Zahl der Schülerinnen und Schüler tatsächlich eines Tages wieder deutlich sinken, könnten wir vielleicht endlich unsere Klassen verkleinern. Natürlich nur, wenn die Lehrkräfteoffensive des Landes Erfolg zeitigt.
Online-Redaktion: Apropos Personal. Ganztagsschulen benötigen neben den Lehrkräften auch sozialpädagogisches und weiteres Personal.
Kühn: Auch dank des NRW-Förderprogramms konnten wir in den vergangenen Jahren 40 neue Stellen schaffen. Mehr sind aktuell nicht möglich. Das gilt auch für die stärkere Besetzung der Schulsekretariate. Hier findet ein sanfter Ausbau statt.
Online-Redaktion: Ihr Oberbürgermeister hat angekündigt, das Thema Nachhaltigkeit besonders im Blick zu haben. Stupsen Sie, ohne dafür zuständig zu sein, die Schulen in Wuppertal ein wenig an, etwas in dieser Richtung zu unternehmen?
Kühn: So richtig stupsen müssen wir sie nicht. Die allermeisten Schulen sind sich der Bedeutung bewusst und bauen das in den Unterricht und den Ganztag ein. Aber unser Wettbewerb „Energie gewinnt“ ist so ein Stupser. Schulen forschen nach Einsparpotenzialen. Wenn sie diese finden und nutzen, können sie einen Teil der Ersparnis behalten. Der Rest fließt in unsere Investitionen für Bildung.
Online-Redaktion: Was erhoffen Sie sich, wenn Sie vom Ganztag in zehn Jahren träumen?
Kühn: Ich träume davon, ausreichend Plätze für alle zu haben, damit für jedes Kind, für das es gewünscht wird, auch ein Ganztagsplatz zur Verfügung steht. Das liegt mir auch als Integrationsdezernent besonders am Herzen. Denn ein Kampf um ein rares Gut führt zu einem selektiven Ergebnis, das meist zulasten derjenigen geht, die sich weniger stark artikulieren können. Und ich träume von einer hohen Qualität der Betreuung, Bildung und Erziehung.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
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