Mannheim setzt auf Ganztagsgrundschulen : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke
Kommunen sind Impulsgeber beim Ausbau von Ganztagsschulen. Heute im Interview: Mannheims Bürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb.
Für 70 Prozent der Grundschulkinder in Mannheim sollen perspektivisch Ganztagsangebote bereitgestellt werden. Das kündigt Bürgermeisterin Dr. Ulrike Freundlieb im Interview mit www.ganztagsschulen.org an.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung messen Sie Bildung und Betreuung in Mannheim zu?
Ulrike Freundlieb: Die Stadt Mannheim hat sich zum Ziel gesetzt, ein Vorbild für Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zu sein. Daneben will sie sich als Stadt der Talente etablieren und durch eine die Potentiale der Kinder und Jugendlichen fördernde Integrationspolitik ein Beispiel für das Zusammenleben in Metropolen geben. Durch Bildung und Betreuung sollen zum einen die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen erhöht werden. Um dies zu ermöglichen, investieren wir in den Ausbau gebundener Ganztagsschulen. Außerdem soll durch Bildung und Betreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichergestellt werden. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es in Mannheim Kinderhäuser und Betreuungseinrichtungen an Grundschulen. Hier können die Eltern zwischen dem Betreuungsangebot im Rahmen der Verlässlichen Grundschule (VGS) und einer Hortbetreuung wählen.
Online-Redaktion: Wie wichtig sind Ganztagsschulen für die Eltern und Kinder in Mannheim?
Freundlieb: Eine Elternbefragung im Frühjahr 2012 unterstrich, dass Eltern bei der Schulwahl für ihr Kind neben dem Qualitätsaspekt dem Merkmal Ganztagsschule eine entscheidende Bedeutung beimessen. Vor allem für Eltern mit niedrigem Schulabschluss, für Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund ist wichtig, dass die Schule über ganztägige Betreuungsangebote verfügt. Sowohl die Elternbefragung als auch eine frühere Großgruppenkonferenz mit Eltern aus der ganzen Stadt bestätigten, wie bedeutend Eltern ganztägige Betreuungsstrukturen einschätzen. Die Folge: Die Nachfrage nach Schulkindbetreuungsplätzen steigt jährlich stetig an.
Online-Redaktion: Wie sehen die Angebote in Mannheim aus, und gibt es Ausbaubedarf?
Freundlieb: Früher wurden in Mannheim vorrangig die Hauptschulen zu Ganztagsschulen ausgebaut, heute vorrangig die Grundschulen. Wir präferieren dabei die gebundene Form. Derzeit gibt es in unserer Stadt 18 Ganztagsschulen. An Grundschulen, die noch keine Ganztagsschulen sind, gibt es immer eine Betreuung im Rahmen der Verlässlichen Grundschule und einen städtischen Hort. Zusätzlich kooperieren wir mit freien Trägern, um den Bedarf zu decken. Durch diese Kooperationen konnten im Grundschulbereich weitere Betreuungskapazitäten im letzten Schuljahr geschaffen werden. Um die Kooperationen mit freien Trägern weiter ausbauen zu können, kommt es ab dem Jahr 2013 jährlich zu einem Zuschuss von insgesamt rund einer Million Euro.
Mit der Betreuung in der Kindertagespflege für Kinder von 0 bis 14 Jahren, stellt die Stadt Mannheim ein weiteres attraktives und flexibles Betreuungsangebot bereit. Alleine hier wurden im Jahr 2012 rund 2,8 Millionen Euro zur Förderung der Strukturen aufgebracht. Hier profitieren Eltern von einem zeitlich flexiblen und gegenüber dem Hort vergleichsweise kostengünstigen Angebot bei den Betreuungsgebühren. Bis August 2013 wird die Stadt Mannheim die geforderte Betreuungsquote von 35 Prozent für die unter Dreijährigen mit 2762 Plätzen umgesetzt haben. Das werden 2077 Krippenplätze und 685 Kindertagespflegeplätze sein. Derzeit haben wir eine Betreuungsquote von 23,8 Prozent.
Perspektivisch ist es unser Ziel, dass 70 Prozent der Grundschulkinder mit Ganztagsangeboten versorgt sind. Zusätzlich möchten wir jeweils zwei Grundschulen pro städtischen Doppelhaushalt ermöglichen, sich zur gebundenen Ganztagsschule weiterzuentwickeln. Zum Stichtag 1. März 2012 wurden in Mannheim 49 Prozent aller Grundschulkinder in einer Ganztagsschule, in einem Hort oder im Rahmen der Verlässlichen Grundschule betreut. Beim Vergleich der Schulkindbetreuungsquote mit anderen baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen belegt Mannheim Platz zwei hinter Stuttgart und vor Karlsruhe.
Online-Redaktion: Wie zufrieden sind Sie mit der derzeitigen Bildungs- und Betreuungssituation, und wo hapert es vielleicht noch?
Freundlieb: Bislang gibt es noch keine Gesetzgebung zur Ganztagsschule. Sie befindet sich gegenwärtig immer noch im Modellversuch. Aktuell erwarten wir das angekündigte Ganztagsschulgesetz des Landes Baden-Württemberg.
Des Weiteren macht sich der pädagogische Fachkräftemangel auch in Mannheim bemerkbar. Vor diesem Hintergrund beteiligt sich die Stadt Mannheim als Arbeitgeberin ab dem Ausbildungsjahr 2012/13 an der neu konzipierten Praxisintegrierten Erzieherausbildung PIA. Seit Schuljahr 2012/2013 läuft ein Projekt, in dem 30 geeignete Personen in befristeter Anstellung als Beikräfte in Hortgruppen mitarbeiten und sich mit Unterstützung der Stadt Mannheim auf die sogenannte Schulfremdenprüfung zum Erzieher beziehungsweise zur Erzieherin vorbereiten. 1,4 Millionen Euro sind 2013 für diese Ausbildungsprojekte vorgesehen. Weitere Maßnahmen zur Personalgewinnung, welche im Rahmen eines Attraktvitätsfonds der Stadt Mannheim beschlossen wurden, sind zum Beispiel die Einrichtung eines kommunalen Beratungsbüros für Erzieher und Erzieherinnen, die Bereitstellung von „Coachings vor Ort“ in den Betreuungseinrichtungen und die Entwicklung einer gemeinsamen „Online-Bewerber-Plattform“ für alle Träger in Mannheim. Dafür stellt der Gemeinderat bis 2015 jährlich 450.000 Euro zur Verfügung. Ziel aller Maßnahmen ist es, die Attraktivität des Erzieherberufs für junge Menschen zu erhöhen sowie Wertschätzung für die Tätigkeit der Erzieher und Erzieherinnen auszudrücken.
Die Betreuung von Grundschulkindern im Rahmen der Verlässlichen Grundschule und Horte erfolgt derzeit außerhalb der Verantwortung der Schulen. Diese unterschiedlichen Zuständigkeiten werden durch die Weiterentwicklung von Grundschulen zu Ganztagsschulen aufgelöst. Gebundene Ganztagsschulen sollen vorrangig in Stadtteilen mit hoher und sehr hoher sozialer Problemlage errichtet werden, um den Bildungserfolg der Kinder zu erhöhen. In Stadtteilen mit keiner oder geringer sozialer Problemlage wird unter dem Aspekt Vereinbarkeit Familie und Beruf die Weiterentwicklung von Grundschulen zu offenen Ganztagsschulen diskutiert.
Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben Lokale Bildungslandschaften?
Freundlieb: Die Chance besteht darin, dass sich die in der Regel auseinanderstrebenden Professionen der Sozial- und der Schulpädagogik zum Nutzen von Kindern und Jugendlichen in integrierten Bildungsangeboten wechselseitig befruchten.
Ganztagsschulen wissen um die hohe Bedeutung von Kooperation für die Qualitätsentwicklung ihrer Schulen. Das betrifft die Kooperation im Kollegium, die multiprofessionelle Zusammenarbeit mit weiteren pädagogischen Fachkräften und die Öffnung der Schule in ihr Umfeld. Dabei kann es sich etwa um Partner aus der Kommune, Träger der Jugendhilfe, Verbände, Vereine, kulturelle und andere Bildungseinrichtungen handeln.
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit trägt dazu bei, dass die Angebotsqualität und -vielfalt, die Lernkultur und die Lebensweltorientierung einer Ganztagsschule bereichert und erweitert werden.
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