Lengede: Vorfahrt für Ganztagsbildung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Gemeinde Lengede in Niedersachsen engagiert sich unter der Überschrift „Vorfahrt für Bildung und Betreuung“ auch in der Ganztagsbildung und -betreuung. Im Gespräch erläutert Bürgermeister Hans-Herrmann Baas das Konzept.

Online-Redaktion: Herr Baas, wieso arbeiten alle drei Grundschulen Ihrer Gemeinde als Ganztagsschulen?

Hans-Herrmann Baas: Die Eltern sind auf die Gemeinde zugekommen. Schon in den Kindertagesstätten wünschen die Erziehungsberechtigten überwiegend bis zu sieben Stunden Betreuung für ihre Kinder. Wir haben daraufhin vor 17 Jahren an einer Schule ein außerschulisches Nachmittagsprogramm organisiert und sind dann mit den Schulleitungen aller drei Schulen übereingekommen, die Schulen Zug um Zug zu Ganztagsschulen umzuwandeln. 2009 begann der Ganztagsbetrieb in der Grundschule Broistedt, 2010 an der Grundschule Woltwische und 2011 an der Grundschule Lengede.

Online-Redaktion: Haben Sie das Elterninteresse damals abgefragt?

Baas: Der Schulvorstand und wir haben seinerzeit die Eltern in der Ortschaft Broistedt befragt. Politisch hatten wir entschieden, dass, wenn ein Drittel der Eltern das Angebot wünscht, wir damit beginnen würden. Es gab dann von Beginn an 50 Prozent Nachfrage. In der Grundschule Broistedt wurden von 180 Kindern 90 in der Ganztagsschule angemeldet.

Für die Eltern war dabei auch ausschlaggebend, dass wir an jeder Grundschule zeitnah mit Beginn der Ganztagsschule eine neue Mensa eingerichtet haben und so ein warmes Mittagessen anbieten konnten. Heute können auch Kinder, die nicht am Ganztag teilnehmen, zum Essen bleiben, sodass die Teilnahmezahlen beim Essen teilweise über denen des Ganztags liegen.

Online-Redaktion: Wer kocht für die Schülerinnen und Schüler?

Baas: Für jede Mensa haben wir zwischen 750.000 und 800.000 Euro investiert, somit für alle drei Mensen 2,3 Millionen Euro, was für eine Gemeinde mit 13.000 Einwohnern schon ein gewaltiges Investment bedeutet. Einrichtungen für Kochen vor Ort hätten noch jeweils 200.000 Euro extra gekostet und damit unseren Finanzrahmen gesprengt. Wir arbeiten heute stattdessen mit einem Caterer, der für alle drei Schulen einen Vertrag über drei Jahre erhalten hat und der das Mittagessen organisiert.

Online-Redaktion: Läuft das zu Ihrer Zufriedenheit?
 
Baas: Wir sind zufrieden. Aber dennoch würde ich mich aus pädagogischer Sicht heute mehr für Schulküchen einsetzen. Dann müssten allerdings die hohen Auflagen wegfallen, damit die Küchen auch abends für Angebote der Volkshochschule oder durch andere Gruppen genutzt werden könnten.

Online-Redaktion: Wie haben Sie die Mensabauten finanziert?

Baas: In Broistedt haben wir das Konjunkturpaket der Bundesregierung in Anspruch genommen. In den anderen beiden Grundschulen konnten wir die Mensen aus Rücklagen der Gemeinde bezahlen.

Online-Redaktion: Wer organisiert den nachmittäglichen Bereich in den offenen Ganztagsgrundschulen?

Baas: Organisiert werden die Nachmittagsangebote jeweils von den Schulleitungen, unterstützt durch unsere Schulsekretärinnen sowie der Lehrerkollegien. Kooperiert wird mit Sportvereinen, Musikvereinen, aber auch Einzelpersonen aus den Bereichen Kultur und Kunst. Und unsere kommunalen Jugendsozialarbeiter sind mit AGs dabei. Ganztagsschulen sind auch eine Chance für die Vereine. Sie haben die Möglichkeit, alle Kinder kennen zu lernen und für ihren Verein zu werben. In Legende ist es inzwischen so, dass sich alle Sportvereine mit Übungsleitern einbringen.

Online-Redaktion: Lengede engagiert sich auch finanziell sehr stark beim Ganztagsbetrieb...

Baas: Momentan erhalten wir vom Land pro Schule und Jahr 16.000 bis 18.000 Euro für den Ganztag, was nicht ausreicht. Daher geben wir zusätzlich jährlich über 150.000 Euro für die Nachmittagsangebote an den drei Ganztagsschulen dazu.

Als 2004 die Landesregierung die Mittel für die Hausaufgabenhilfe eingestellt hat, haben wir die Finanzierung ebenfalls übernommen. Die Sprachförderung bezahlt die Kommune ebenfalls. Seit 2005 haben wir die Fünfjährigen in eigenen Gruppen in den Schulgebäuden auf die Einschulung vorbereitet, und ab September 2006 hat Lengede als eine der ersten Gemeinden Niedersachsens das Brückenjahr für die Fünfjährigen beitragsfrei gestellt.

Im Übrigen sorgen Kooperationen zwischen allen Bildungseinrichtungen von der Kindertagsstätte bis zur Integrierten Gesamtschule dafür, dass die Kinder jeweils auf den nächsten Schritt vorbereitet werden und keine harten Brüche bei den Übergängen von Krippe zu Kindergarten sowie vom Kindergarten zur Grundschule entstehen. Und als wir gemerkt haben, dass bei den Eltern der Bedarf besteht, ihre Kinder bereits um sieben Uhr zur Grundschule zu bringen, haben wir in den drei Schulen jeweils eine pädagogische Mitarbeiterin eingestellt, die ein Betreuungsangebot bereitstellt. Wenn gewünscht, organisieren wir ein solches Angebot auch nach der Schulzeit ab 15.30 Uhr.

Online-Redaktion: Wie schaffen Sie es, so viel zusätzliche Mittel für die Bildung zu mobilisieren?

Baas: Wenn es um bildungspolitische Beschlüsse geht, werden im Rat in der Regel einvernehmliche Beschlüsse gefasst. Lediglich bei der Frage der Einführung der Integrierten Gesamtschule hatten wir Differenzen, die sich aber aufgelöst haben, als klar war, dass bis zu zwei Drittel der Eltern eine Gesamtschule mit Oberstufe wünschen.

Online-Redaktion: Wie sieht es im Bereich der weiterführenden Schulen mit dem Ganztagsbetrieb aus?

Baas: Der Landkreis Peine hat vor Jahren Zug um Zug Nachmittagsangebote vorrangig an Hauptschulen eingeführt. Auf politische Initiative aus der Gemeinde heraus und mit der Unterstützung der Eltern eröffnete der für den Sek I und Sek II-Bereich zuständige Landkreis Peine vor vier Jahren die Integrierte Gesamtschule in Lengede. Fast alle Schulen im Kreisgebiet Peine sind inzwischen Ganztagsschulen.

Online-Redaktion: Welche Pläne haben Sie für die kommenden Jahre?

Baas: Wir möchten - auch in Absprache mit Schulleitungen und Elternvertretern - zumindest eine teilgebundene Ganztagsgrundschule anbieten, zumindest eine teilgebundene Ganztagsschule anbieten, mit mehr Lehrerstunden und Unterrichtsangebote am Nachmittag zu ermöglichen. Den Weg der alten niedersächsischen Landesregierung, auf offene Ganztagsschulen zu setzen, halte ich für grundfalsch.

Wenn man weiß, dass man den Unterricht anders als vor 30 Jahren gestalten und Bildung den ganzen Tag vorhalten muss, dann sollte dem Vorschlag der Fachkräfte gefolgt werden: Wechsel von Unterricht und Arbeitsgruppen, Sport und Freistunden, sowie ganztägig Unterrichtsangebote und Arbeitsgemeinschaften. Alle, die sich mit Pädagogik beschäftigen, sagen, dass sich hier etwas ändern muss – aber diese Erkenntnis gibt es schon seit Jahren - wenig hat sich in der Vergangenheit geändert. Jetzt ist die neue Landesregierung gefordert.

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