Landkreis Saarlouis: "Räumlich, organisatorisch und pädagogisch neu denken" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Familienfreundliche Kommunen und Landkreise werden  zum Standortvorteil. Das mag einer der Gründe gewesen sein, dass die Fachtagung "Partizipation als Chance. Entwicklung und Gestaltung von Bildungslandschaften" doppelt so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sah, wie erwartet.

Als sich der Landkreis Saarlouis dazu entschloss, eine Tagung zum Thema "Partizipation als Chance. Entwicklung und Gestaltung von Bildungslandschaften" anzubieten, hatte er offenbar den Nerv getroffen: Denn statt der erwarteten 75 Teilnehmerinnen und Teilnehmer meldeten sich rund 180 an, also mehr als doppelt so viel, wie angenommen. Die Tagung, die ursprünglich am Max-Planck-Gymnasium stattfinden sollte, drohte aus allen Nähten zu platzen. Die Veranstalter um Natalie Sadik, Programmleiterin für Schulentwicklung des Landkreises Saarlouis, und Margit Jungmann, Leiterin des Schulamtes Saarlouis, reagierten prompt, indem sie den Großen Sitzungssaal des Landkreises als neuen Austragungsort für die erste Hälfte der Tagung buchten.

Blick in einen Ausstellungsraum, in dem gestaltete Stellwände und Podeste mit Ausstellungsstücken stehen.
Ideen der Schülerinnen und Schüler zum Thema Partizipation

Dies führte dazu, dass ein Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem sonnigen Morgen vom Max-Planck-Gymnasium zum Großen Sitzungssaal transferiert werden musste. Angesichts der Verschiebung des Tagungsbeginns musste allerdings der saarländische Bildungsminister Klaus Kessler sein Erscheinen absagen. In seinem Grußwort, das von Monika Hommerding vorgelesen wurde, erklärte er unter anderem, dass der "ersten Tagung dieser Art im Saarland" bereits im Herbst eine weitere Veranstaltung folgen werde. Es sei wichtig, dass sich die Schulen zur Gemeinde öffnen und die Vereine in die Schulen kommen. Seinen Dank richtete er an den Landkreis Saarlouis sowie an die Serviceagentur "Ganztägig lernen" Saarland.

Schulträger auf Ideen der Schülerinnen und Schüler angewiesen

Wie erklärt es sich, dass so viele Akteure - angefangen von der Politik, der Verwaltung, dem Landkreis und dem Schulträger über acht Gymnasien des Landkreises, Haupt- und Realschulen, Vereine, Sozialpädagoginnen, Eltern bis zu den Schülerinnen und Schüler - erschienen waren? Natalie Sadik, in deren Händen viele Fäden zusammenlaufen und die neben Margit Jungmann gewissermaßen das "Schwungrad" der Veranstaltung war, wusste eine Antwort: "Die Schulträger und Verwaltungen haben erkannt, dass sie Bildungslandschaften nicht an den Schülerinnen und Schülern vorbei errichten können. Sie brauchen deren Ideen und Unterstützung, um aus der Schule einen Ort zu machen, den sie als Lebensort akzeptieren und mitgestalten."

Da Kinder viel mehr Zeit als früher an den Schulen verbringen würden, seien neue Anforderungen wie das G 8 Gymnasium und die Ganztagsschulen mit neuen baulichen Maßnahmen verbunden: "Die räumlichen, organisatorischen und pädagogischen Inhalte müssen ganz neu gedacht werden", erklärte Sadik. Der ehemaligen Mitarbeiterin der Serviceagentur "Ganztägig lernen" war es gelungen, den Erziehungswissenschaftler Prof. Waldemar Stange von der Leuphana-Universität Lüneburg für einen Vortrag zum Thema "Beteiligung von Kindern und Jugendlichen" zu gewinnen. Dieser machte gleich zu Beginn seinen Standort deutlich: "Ich nehme solche Einladungen nur noch an, wenn ich wirklich den Eindruck habe, dass man sich ernsthaft mit dem Thema Partizipation auseinandersetzen will".

"Macht zugunsten der Entscheidungsrechte der Kinder abgeben"

"In der Partizipation geht es darum, zu teilen und Macht abzugeben zugunsten der Entscheidungsrechte der Kinder. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass es schwer ist, abzugeben." Studien belegten, dass die Politikdistanz von Jugendlichen größer geworden sei. Dabei seien die Kinder und Jugendlichen "Experten für hochrelevantes Lebensweltwissen" - und die Partizipation ein Verfahren zur Effizienzsteigerung von Planungsvorhaben: "Wer Kinder nicht beteiligt, begeht einen lokalpolitischen Kunstfehler." Die Kinder und Jugendlichen bemerkten gewissermaßen seismographisch, wenn es zu Fehlentwicklungen komme.

Ein Mann steht an einem Rednerpult und spricht.
Prof. Waldemar Stange

Laut Stange gibt es einen Zusammenhang zwischen Partizipation und Lernen: "Schulklassen mit Schülerpartizipation haben ein positiveres Lernverhalten und eine höhere Bereitschaft, sich auf das schulische Lernen vorzubereiten." Die empirische Forschung zur Kinder- und Jugendpartizipation untermauere, dass in der Schule viel zu wenig Raum für Partizipation vorhanden sei. Befunde einer repräsentativen Partizipationsstudie im Rahmen der ZDF-Sendung "Logo" belegten, dass Kinder und Jugendliche in der Schule zu rund 60 Prozent "wenig" und zu rund 25 Prozent "überhaupt nicht" partizipieren. "Das ist eine harte Nuss - ein Stand, der nicht befriedigend ist." Demgegenüber hätten rund 60 Prozent der Kinder zu Hause "viel mitzubestimmen". Das sei ein echter Fortschritt, ein guter Wert: "Innerhalb von 20 Jahren hat sich hier viel getan."

Mehrheit der Kinder partizipiert in der Schule "wenig" oder "überhaupt nicht"

Hingegen weise die Schule bislang erhebliche Partizipationsdefizite auf. Noch am Besten schneide das Thema "Wie unser Klassenraum gestaltet ist" ab. Und auch am Wohnort bzw. im Stadtteil sehen 88 Prozent der Kinder und Jugendlichen "überhaupt keine" bzw. "wenig Partizipation". Dies bedeute, so der Erziehungswissenschaftler: "Die Kommunen müssen noch viel mehr unternehmen." Zu den wichtigen Aktionsfeldern zählte Waldemar Stange neben der Schule die Kitas, die Kommunen, die Vereine, die Verwaltung und das Jugendamt. Themen gibt es mehr als genug", man könne sich im Prinzip an jedem Thema beteiligen, führte der Erziehungswissenschaftler aus. Betätigungsfelder finden sich in der kindgerechten Wohnumfeldgestaltung, im Bereich Natur und Umwelt, der Planung von Spiellräumen, Freizeit, Verkehrsplanung, Stadtplanung, der kindgerechten Dorferneuerung: "Nur Geld geben, ist zu wenig".

"Ihr macht es selber"

Ein Geldgeber knüpfte seinen Zuschuss von 5000 Euro für ein Sport- und Freizeitgelände an die Bedingung, dass die Jugendlichen ihr "Skateland" selber bauen: "Ihr macht es selber!" Stange kommentierte: "Ein sehr kluger Vorschlag, denn die Skaterlandschaft gibt es noch heute." Stärker beteiligen könne man ebenso behinderte Kinder, etwa bei der künstlerischen Gestaltung des Schulhofes im Rahmen des Berliner Projektes "Grün macht Schule". Ein bedeutendes Feld der Partizipation ist die Beteiligung an der Schulbauplanung. Schule könne verkehrstechnisch - etwa wenn die Eltern mit den Autos zum Abholen kommen - ein gefährlicher Ort sein. Beteilige man die Kinder an der Verkehrsplanung, sei Prävention viel besser möglich.

Stadtteilentwicklung kann auch in der Schulklasse betrieben werden, etwa mit der Methode "Planning for real", die aus den USA kommt und neue Formen von Öffentlichkeit schafft. Die von den Schülerinnen und Schülern entworfenen Modelle werden öffentlich ausgestellt. Selbstverständlich habe die Beteiligung ihren angestammten Platz in der Schülervertretung, im Klassenrat oder in non-formalen, aber stark systemischen Aushandlungsverfahren wie zum Beispiel der Zukunftswerkstatt. Dazu gehöretn ferner Projektansätze wie Community-Services, Schülerfirmen oder Service Learning.

Partizipation immer transparent und überprüfbar halten

Um "Beteiligungsinseln" entgegenzuwirken, sei es notwendig, schulische Beteiligungsformen in die Bildungslandschaft zu integrieren, das heißt, in ein "übergeordnetes Gesamtsystem der Kooperation mit der Jugendhilfe, den Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen als Teil lokaler und regionaler Bildungslandschaften." Dieses Gesamtsystem müsste strukturell verankert und verbindlich sein. Resümierend hielt der Erziehungswissenschaftler fest, dass es einer klaren Definition der Rechte der Kinder und Jugendlichen bedürfe, aber auch transparenter Grenzen von Partizipation: "Was allein Sache der Erwachsenen bleiben muss, sollte immer transparent und überprüfbar sein. Was nur von Erwachsenen und Kindern gemeinsam regelbar ist, muss immer auf gleicher Augenhöhe ausgehandelt werden. Was Kinder und Jugendliche aber alleine können und wollen, ist ihnen zu übertragen."

"Schulleiter sind Schwungräder für Innovation"

Die Landrätin, Monika Bachmann (Landkreis Saarlouis), zeigte sich nicht minder inspiriert von dem Gedanken einer partizipativen lokalen Bildungslandschaft. Diese habe einen ökonomischen Kern, denn die Frage der Abwanderung von Arbeitskräften an kinderfreundliche Orte, wo sie Familien gründen könnten, stelle sich überall. Allerdings könne die Ganztagsschule das Problem von zunehmend flexiblen Arbeitszeiten über die schulischen Zeiten hinaus nicht allein lösen. Es brauche für solche und andere Fragen gute Ideen, die Programm werden müssten und nicht in den Schubladen schlummern dürften: "Wir wollen schließlich Vorzeigemodell sein." Der Kreistag würde diese Ideen positiv begleiten.

Blick in einen Garten mit Tischen und Bänken
Max-Planck-Gymnasium Saarlouis: Schule als Bewegungs- und Erholungsraum

Das Team um Margit Jungmann vom Schul- und Kulturamt und Natalie Sadik, das diese Ideen umsetze, sei "unschlagbar", lobte die Landrätin. Für Sadik, die zuvor bei der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Saarland arbeitete, ist eigens eine Stelle "Programmleiterin für Schulentwicklung" eingerichtet worden. Sie hielt den nächsten Redebeitrag. Doch statt ihre Redezeit ganz auszufüllen, ließ Natalie Sadik zunächst Schülerinnen und Schülern des Max-Planck-Gymnasiums Saarlouis den Vortritt. Diese erläuterten, wie sie das neu gestaltete Gelände des Gymnasiums bepflanzt und für mehr Bewegung und gesunde Ernährung eingerichtet hatten.

"Schulleiter wie Dr. Jürgen Hannig sind Schwungräder für solche Entwicklungen", lobte Sadik anschließend die Initiative der Schulleitung. Danach führte sie die konkrete Umsetzung einer "Zukunftswerkstatt" am Max-Planck Gymnasium sowie an der erweiterten Realschule Saarlouis im Jahr 2009 als Beispiel an: "Vom Anfang bis zur Umsetzung benötigt man einen langen Atem und die Unterstützung des Schulträgers." Die Einbeziehung der Kinder und Eltern sowie des gesellschaftlichen Umfeldes sei ganz wichtig gewesen, um die Maßnahme in die Bildungslandschaft einzubinden. Die Zukunftswerkstatt teilte sich auf in eine Kritikphase, eine Visionsphase sowie die Realisierungsphase.

Dimensionen von Qualitätsentwicklung

Meist würden die Kinder vier zentrale Bedürfnisse angeben: Bewegung, Entspannung, Spiel und Freizeit, Kommunikation, soziales Leben. Die Voraussetzungen dafür finden sich primär in den Ganztagsschulen. Doch nicht nur die Raumgestaltung trieb die Kinder, Eltern und Lehrkräfte an, sondern auch eine gesundheitsfördernde Schulverpflegung. Am Gymnasium entstand ein ökologischer Lernort, und die neuen Pflanzen und Bäume wurden gemeinsam mit der Landrätin bepflanzt. In beiden Projekten sei es zu einer Verknüpfung zwischen dem schulischen und dem gesellschaftlichen Lebensumfeld gekommen. Abschließend ließ Sadik die Schülerin Kim zu Wort kommen: "Wir haben einen Eindruck davon bekommen, wie es ist, gesellschaftliche Verantwortung zu tragen."

Nachdem der erste Teil der Veranstaltung nach dem Vortrag von Natalie Sadik endete, machten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei strahlendem Sonnenschein zu Fuß bzw. mit bereitgestellten Bussen auf dem Weg zum Max-Planck-Gymnasium. Bei dem gemeinsamen Mittagessen in der neuen Mensa der Schule konnten sie sich davon überzeugen, was gesunde Schulernährung bieten kann. Im Anschluss stand die pädagogische Praxis auf der Tagesordnung. Im Atrium der Schule waren eigens Modelle aus den Zukunftswerkstätten, Präsentationen sowie Ausstellungen zu besichtigen, die von Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften präsentiert wurden.

Praxisbeispiele aus dem Landkreis Saarlouis

 Darüber hinaus führten vier Schulen des Landkreises Saarlouis konkrete Praxisbeispiele vor. Die Erweiterte Realschule Überherrn (ERS), die Martin-Luther-King-Schule, das Stadtgartengymnasium und das Max-Planck-Gymnasium zeigten gelungene Beispiele der Planung und der Realisierung von Partizipationsprojekten, wie die Gestaltung von Schulhöfen, Bibliotheken und Schulkantinen, neue Ideen zu Rhythmisierung des Schulalltags oder zur Umwelterziehung. Ein besonderer Akzent lag auf der Darstellung der Vernetzung mit außerschulischen Kooperationspartnern mit denen zusammen sich der Landkreis Saarlouis als Modell für eine zukunftsorientierte "Bildungslandschaft" präsentierte.

Ein Junge mit Kamera um den Hals und zwei Frauen lächeln in die Kamera.
Natalie Sadik und Margit Jugmann mit dem Schülerfotograf

 Zum Abschluss der Tagung hielt Marika Puskeppeleit, Programmleiterin im Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen." einen interessanten Vortrag zum Thema Bildungslandschaft. Um der "Versäulung" und "Verinselung" in den Kommunen entgegenzuwirken, müsse man die Bildungslandschaft professionell und ausgehend vom lernenden Subjekt gestalten. Kurzfristige Lösungen seien für Probleme wie den demographischen Wandel und die Chancengleichheit im Rahmen der Bildungslandschaft nicht zu erwarten. Wichtig sei daher ein substanzieller und systematischer Einstieg in das Thema, bei dem fünf Dimensionen von Qualitätsentwicklung berücksichtigt werden sollten: Aufbau von Strukturen, Fokussierung auf Bildung, Kultur der Bildungslandschaft, Management und Führung.

Kategorien: Ganztag vor Ort

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